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Kaye erschauerte wie bei einem Schüttelfrost. Jetzt fand sie sich langsam damit ab, dass die Sache endgültig war. Tapferkeit und Leugnen konnten die Tatsachen nicht aus der Welt schaffen — die Tatsache, dass alles ein Durcheinander und voller Blut war; die Tatsache, dass Saul ausgerastet war und der depressive/böse Saul, der Saul unter der schwarzen Decke, die Oberhand gewonnen hatte.

»Ich kann’s nicht sehen«, erklärte Kaye mit schriller Stimme und sah dabei auf das vom Wind aufgewühlte Meer hinaus. »Es hat ein rotes Segel. Da draußen ist es nicht.«

Sie fragten nach einer Beschreibung, einem Foto, und sie gab ihnen beides. Mr. Bulle ging nach unten und durch den Vordereingang zum Polizeiwagen. Kaye folgte ihm ein Stück weit und wandte sich dann zum Wohnzimmer. Sie hatte nicht vor, im Schlafzimmer zu bleiben. Mr. Tod und der Sanitäter waren noch da und stellten weitere Fragen, aber sie konnte ihnen kaum antworten. Ein Polizeifotograf und der Assistent des Leichenbeschauers gingen mit ihrer Ausrüstung die Treppe hoch.

Caddy beobachtete alles mit der Sorge einer Glucke und der Faszination einer Katze. Schließlich nahm sie Kaye in den Arm und sagte irgend etwas; ganz automatisch erwiderte Kaye, sie werde schon zurechtkommen. Caddy wollte eigentlich gehen, brachte es aber nicht übers Herz.

In diesem Augeblick kam Crickson ins Zimmer, der orangefarbene Kater. Kaye hob ihn hoch, streichelte ihn, fragte sich plötzlich, ob er es wohl gesehen hatte; dann bückte sie sich und ließ ihn sanft wieder auf den Fußboden gleiten.

Die Minuten dehnten sich zu Stunden. Das Tageslicht verdüsterte sich, Regen klatschte gegen die Wohnzimmerfenster.

Schließlich kam Mr. Bulle zurück, und jetzt war Mr. Tod an der Reihe zu gehen.

Caddy beobachtete alles mit schlechtem Gewissen, weil sie einerseits entsetzt, andererseits aber auch fasziniert war.

»Das Aufräumen können wir Ihnen nicht abnehmen«, sagte Mr.

Bulle. Er gab ihr eine Visitenkarte. »Die Leute hier haben eine kleine Firma. Die können so was sauber machen. Es ist nicht billig, aber sie arbeiten ordentlich. Mann und Frau. Christen. Nette Leute.«

Kaye nickte und nahm die Karte. Sie wollte jetzt nicht im Haus bleiben. Sie dachte daran, abzuschließen und wegzufahren.

Caddy ging als Letzte. »Wo willst du heute Nacht bleiben, Kaye?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Kaye.

»Du kannst gerne bei uns übernachten, Liebes.«

»Danke«, sagte Kaye. »Im Labor gibt es ein Feldbett. Ich glaube, heute Nacht werde ich dort schlafen. Könntest du dich um die Katzen kümmern? Ich kann jetzt nicht an sie denken.«

»Natürlich. Ich suche sie und nehme sie mit. Möchtest du, dass ich wiederkomme? Saubermachen, wenn … du weißt schon?

Wenn die anderen fertig sind?«

»Ich ruf dich an«, sagte Kaye, kurz vor einem neuen Zusammenbruch. Caddy umarmte sie so heftig, dass es wehtat, und machte sich dann auf die Suche nach den Katzen. Zehn Minuten später ging sie, und Kaye war allein im Haus.

Kein Brief, keine Notiz, nichts.

Das Telefon klingelte. Eine Zeit lang nahm sie nicht ab, aber es klingelte immer weiter, und der Anrufbeantworter war abgeschaltet — vielleicht hatte Saul das gemacht. Vielleicht war es Saul, dachte sie plötzlich erschrocken, und einen Augenblick lang hasste sie sich selbst, weil sie die Hoffnung für kurze Zeit aufgegeben hatte. Sofort nahm sie den Hörer ab.

»Sind Sie es, Kaye?«

»Ja.« Ihre Stimme klang heiser, sie räusperte sich.

»Mrs. Lang, hier ist Randy Foster von AKS Industries. Ich muss mit Saul sprechen. Über das Abkommen. Ist er zu Hause?«

»Nein, Mrs. Foster.«

Es entstand eine peinliche Pause. Was sollte sie sagen? Wem sollte sie es in dieser Situation sagen? Und wer war Randy Foster, und was für ein Abkommen?

»Schade. Sagen Sie ihm, wir haben es mit unseren Anwälten gerade geschafft. Die Verträge sind fertig. Sie werden morgen abgeliefert. Wir haben für 16 Uhr eine Besprechung angesetzt. Ich freue mich darauf, Sie kennen zu lernen, Mrs. Lang.«

Kaye murmelte etwas und legte auf. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, jetzt werde sie einen Zusammenbruch erleiden, und zwar einen großen. Stattdessen ging sie langsam und mit viel Willenskraft wieder die Treppe hinauf und packte die Kleidung, die sie in der kommenden Woche vielleicht brauchen konnte, in einen großen Koffer.

Dann ging sie aus dem Haus und fuhr mit dem Auto zu EcoBacter. Das Gebäude war zur Abendessenszeit fast leer, und sie hatte keinen Hunger. Sie schloss das kleine Büro auf, in dem Saul ein Feldbett und ein paar Decken deponiert hatte; bevor sie die Tür aufstieß, zögerte sie einen Augenblick. Schließlich ging sie langsam hinein.

Der kleine, fensterlose Raum war dunkel, leer und kühl. Es roch sauber. Alles in Ordnung.

Kaye zog sich aus und legte sich unter die beigefarbene Wolldecke mit den frischen weißen Laken.

Früh am Morgen, noch bevor es dämmerte, wachte sie schweißgebadet und zitternd auf; krank war sie nicht, aber entsetzt über das Gespenst ihres neuen Daseins — als Witwe.

20

London

Die Reporter stöberten Mitch schließlich in Heathrow auf. Sam saß ihm gegenüber an einem kleinen Tisch in dem abgegrenzten Bereich rund um die Meeresfrüchtebar, als fünf von ihnen — zwei Frauen und drei Männer — sich außerhalb der niedrigen Absperrung aus Plastikpflanzen zusammendrängten, um ihn mit Fragen zu bombardieren. Neugierige, irritierte Fluggäste sahen von den anderen Tischen aus zu oder hasteten mit ihren Gepäckkarren vorüber.

»Haben Sie als Erster bestätigt, dass sie prähistorisch waren?«, fragte eine ältere Frau, die Kamera mit einer Hand umklammert.

Unsicher wischte sie sich Strähnen ihrer hennagefärbten Haare aus dem Gesicht. Ihr Blick huschte nach rechts und links, bis er sich schließlich in Erwartung einer Antwort auf Mitch richtete.

Mitch stocherte in seinem Krabbencocktail.

»Glauben Sie, dass ein Zusammenhang mit dem Pasco-Menschen in den USA besteht?«, wollte einer der Männer wissen, ganz offensichtlich in der Hoffnung, Mitch zu provozieren.

Mitch konnte die drei Männer nicht auseinander halten. Alle waren zwischen dreißig und vierzig, in zerknitterte schwarze Anzüge gekleidet und mit Stenoblöcken und Digitalkassettenrecordern bewaffnet.

»Das war doch Ihr letztes Debakel, oder?«

»Wurden Sie aus Österreich abgeschoben?«, fragte ein anderer Mann.

»Wie viel haben die toten Bergsteiger Ihnen bezahlt, damit Sie die Sache für sich behalten? Was wollten sie für die Mumien verlangen?«

Mitch lehnte sich zurück, räkelte sich demonstrativ und lächelte.

Die Frau mit den Hennahaaren schrieb es pflichtschuldigst auf.

Sam schüttelte den Kopf und zog ihn dann ein, als ducke er sich vor einer Regenwolke.

»Fragen Sie mich nach dem Säugling«, sagte Mitch.

»Was für ein Säugling?«

»Fragen Sie mich nach dem Baby. Dem gesunden Baby.«

»Wie viele Fundstellen haben Sie geplündert?«, fragte Hennahaar fröhlich.

»Wir haben das Baby in der Höhle mit seinen Eltern gefunden«, sagte Mitch. Er stand auf und schob den Metallstuhl mit einem hässlich kratzenden Geräusch zurück. »Komm, Dad, wir gehen.«

»Gut«, sagte Sam.

»Welche Höhle? Die Höhlenmannhöhle?«, wollte der mittlere Mann wissen.

»Höhlenmann und Höhlenfrau«, korrigierte die jüngere Frau.

»Glauben Sie, dass sie das Baby gekidnappt hatten?«, fragte Hennahaar und leckte sich die Lippen.

»Ein Baby gekidnappt und ermordet, vielleicht als Proviant mit in die Alpen genommen … in einen Sturm geraten und gestorben!«, begeisterte sich der linke Mann.