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Sie las noch einmal die Nachricht von Dicken. Jetzt musste sie einen Weg finden, um wieder Wind in die Segel zu bekommen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, wieder in den Wettlauf einzusteigen. Vielleicht war eine kurzfristige staatliche Stelle jetzt genau das Richtige. Warum Christopher Dicken auf sie Wert legte, konnte sie sich nicht vorstellen; sie hatte kaum eine Erinnerung an den kleinen, vierschrötigen Mann in Georgien. Auf ihrem Handy — die Telefonleitungen im Labor waren schon abgeschaltet — wählte sie Dickens Nummer in Atlanta.

25

Washington, D. C.

»Wir haben die Befunde von zweiundvierzig Kliniken aus dem ganzen Land«, sagte Augustine zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. »Bei den Mutationen des Typs, den wir untersuchen, mit nachfolgender Abstoßung des Fetus, wurde in allen Fällen ein eindeutiger Zusammenhang mit der Herodes-Grippe gefunden.«

Der Präsident saß am Kopfende des großen, polierten Ahorntisches im Lageraum des Weißen Hauses. Er war groß und stattlich, und der Kopf mit den weißen, gewellten Haaren wirkte wie ein Leuchtfeuer. Während seines Wahlkampfes hatte man ihn liebevoll auf den Spitznamen »QTip« getauft und damit einen abwertenden Begriff, den jüngere Frauen auf ältere Männer anwandten, in einen Ausdruck von Stolz und Zuneigung verwandelt. Neben ihm saßen: der Vizepräsident; der Sprecher des Repräsentantenhauses, ein Demokrat; der Mehrheitsführer im Senat, ein Republikaner; Dr. Kirby; Shawbeck; der Gesundheitsminister; Augustine; drei Berater des Präsidenten, darunter der Stabschef; der Verbindungsmann des Weißen Hauses für gesundheitspolitische Fragen; und eine Reihe Leute, die Dicken nicht einordnen konnte. Es war ein sehr großer Tisch, und für die Besprechung waren drei Stunden eingeplant.

Wie alle anderen hatte Dicken sein Handy, Pager und Palmtop bei der Sicherheitskontrolle am Eingang abgeben müssen — erst zwei Wochen zuvor hatte das explodierende »Handy« eines Touristen im Weißen Haus beträchtliche Schäden angerichtet.

Von dem Lageraum war er ein wenig enttäuscht — keine hochmodernen Wandbildschirme, Computerschalttafeln oder Warnlampen, sondern nur ein ganz normaler großer Raum mit einem großen Tisch und vielen Telefonen. Aber der Präsident hörte aufmerksam zu.

»SHEVA ist der erste nachgewiesene Fall eines endogenen Retrovirus, das von einem Menschen auf den anderen übertragen wird«, fuhr Augustine fort. »Die Herodes-Grippe wird von SHEVA verursacht, daran gibt es nicht den leisesten Zweifel. Etwas so Bösartiges habe ich in meiner ganzen Mediziner- und Wissenschaftlerlaufbahn noch nicht gesehen. Wenn eine Frau sich im Frühstadium der Schwangerschaft die Herodes-Grippe zuzieht, endet der Fetus — ihr Baby — als Fehlgeburt. Nach unserer Statistik können wir möglicherweise bereits über zehntausend Fehlgeburten auf das Virus zurückführen. Und wenn die derzeitigen Informationen stimmen, sind Männer die einzige Quelle für den Erreger.«

»Entsetzlicher Name«, sagte der Präsident. »Ein sehr treffender Name, Mr. President«, bemerkte Kirby. »Entsetzlich und treffend«, räumte der Präsident ein. »Was die Ausprägung bei Männern in Gang setzt, wissen wir nicht«, erklärte Augustine weiter, »aber wir haben den Verdacht, dass ein Pheromon, vielleicht von der Partnerin, der Auslöser ist. Und wir haben keine Ahnung, wie wir es aufhalten können.« Er ließ Papiere rund um den Tisch verteilen. »Unsere Statistiker sagen, wir könnten im kommenden Jahr mehr als zwei Millionen Fälle von Herodes-Grippe erleben. Zwei Millionen potenzielle Fehlgeburten.«

Der Präsident nahm die Aussage nachdenklich auf. Das meiste hatte er schon bei früheren Besprechungen von Frank Shawbeck und dem Gesundheitsminister gehört. Wiederholung ist notwendig, dachte Dicken, damit diese unwissenden Politiker begriffen, wie sehr die Fachleute eigentlich im Dunkeln tappten.

»Ich verstehe nicht, wie etwas aus uns selbst so viel Schaden anrichten kann«, sagte der Vizepräsident.

»Der Satan in uns«, fügte der Sprecher des Repräsentantenhauses hinzu.

»Ganz ähnliche genetische Abweichungen verursachen Krebs«, gab Augustine zu bedenken. Dicken hielt das für ein wenig zu stark vereinfacht, und Shawbeck schien der gleichen Ansicht zu sein. Für ihn war der Augenblick seines schwungvollen Vortrages gekommen, mit dem er sich als wichtigster Kandidat für Kirbys Nachfolge empfehlen wollte.

»Wir stehen hier ohne Zweifel vor einem ganz neuen medizinischen Problem«, sagte Shawbeck. »Aber wir haben auch HIV in den Griff bekommen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen bin ich zuversichtlich, dass wir innerhalb von sechs bis acht Monaten wichtige Fortschritte erzielen können. Überall im Land und auf der ganzen Welt stehen große Forschungszentren bereit, um sich der Sache anzunehmen. Wir haben ein nationales Programm geplant, das auf die Ressourcen der NIH, der CDC und des National Center for Infectious and Allergie Diseases zurückgreifen soll.

Wir teilen den Kuchen in Stücke, damit er schneller gegessen werden kann. Noch nie war unsere ganze Nation so rückhaltlos bereit, ein Problem dieser Größenordnung in Angriff zu nehmen.

Sobald das Programm angelaufen ist, werden über fünftausend Wissenschaftler an achtundzwanzig Forschungszentren sich an die Arbeit machen. Wir werden uns der Hilfe privater Firmen und der Fachleute auf der ganzen Welt bedienen. Ein internationales Programm wird gerade entwickelt. Alles nimmt hier seinen Anfang.

Wir brauchen nur eines: die schnelle, koordinierte Reaktion Ihrer jeweiligen Fachbereiche, Ladies und Gentlemen.«

»Ich kann auf beiden Seiten des Hohen Hauses nicht erkennen, dass irgendjemand einem außerordentlichen Bewilligungsgesetz im Wege stehen würde«, sagte der Sprecher des Repräsentantenhauses.

»Ebenso wenig im Senat«, fügte der Mehrheitsführer hinzu. »Ich finde die bisher geleisteten Arbeiten beeindruckend, meine Herren, aber was unsere wissenschaftlichen Fähigkeiten angeht, bin ich nicht so zuversichtlich, wie ich es gern wäre. Dr. Augustine, Dr. Shawbeck, es hat über zwanzig Jahre gedauert, bis wir überhaupt eine erste Handhabe gegen AIDS hatten, und das obwohl wir zigmilliarden Dollar in die Forschung gesteckt haben. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe vor fünf Jahren eine Tochter durch AIDS verloren.« Er blickte in die Runde. »Wenn diese Herodes-Grippe etwas so Neues ist, wie können wir dann in sechs Monaten mit einem Wunder rechnen?«

»Nicht mit einem Wunder«, sagte Shawbeck, »aber mit einem ersten Ansatz zum Verständnis.«

»Wie lange dauert es dann, bis wir eine Behandlungsmöglichkeit haben? Ich rede nicht von einer Heilung, meine Herren. Aber eine Behandlung? Oder wenigstens einen Impfstoff?«

Shawbeck räumte ein, er wisse es nicht.

»Wir können nur so schnell vorankommen, wie wir uns die Macht der Wissenschaft zunutze machen«, sagte der Vizepräsident. Er sah sich ein wenig verlegen um und fragte sich, wann es wohl vorüber wäre.

»Ich sage es noch einmal, ich habe meine Zweifel«, erwiderte der Mehrheitsführer. »Ich frage mich, ob es nicht ein Zeichen ist.

Vielleicht ist es an der Zeit, unser Haus zu bestellen und tief in unser Herz zu blicken, Frieden mit unserem Schöpfer zu machen.

Ganz offensichtlich haben wir hier irgendwelche gewaltigen Mächte gestört.«

Der Präsident machte ein ernstes Gesicht und legte einen Finger an die Nase. Shawbeck und Augustine wussten Bescheid und schwiegen.

»Senator«, sagte der Präsident, »ich bete darum, dass Sie Unrecht haben.«

Nach der Besprechung gingen Augustine und Dicken hinter Shawbeck durch einen Seitenkorridor an Kellerbüros vorüber zu einem hinteren Aufzug. Shawbeck war ganz offensichtlich verärgert. »So eine Heuchelei«, murmelte er. »Ich finde es widerlich, wenn sie sich auf Gott berufen.« Er schüttelte die Arme, um die Verspannung im Nacken zu lösen, und gab ein leises, knackendes Glucksen von sich. »Ich bin eher für Außerirdische. Fragen wir doch mal bei Akte X.«