»Ich sage meinen Leuten, sie sollen sich darum kümmern. Wir werden etwas Hübsches für Sie finden, in Atlanta oder Baltimore, ganz gleich, wo Sie wohnen möchten.«
»Du lieber Gott.« Kaye lächelte schwach.
»Noch etwas anderes dürfte Sie interessieren. Sie haben zusammen mit Saul viel in Georgien gearbeitet. Wahrscheinlich könnte ich das mit meinen Kontakten retten. Ich würde die Phagentherapie gerne viel gründlicher erforschen. Vermutlich könnte ich die Leute in Tiflis dazu bringen, dass sie keinen politischen Druck mehr ausüben. Das Ganze ist ohnehin lächerlich — eine Laienspieltruppe, die da etwas in die Hand nehmen will.«
Cross legte eine Hand auf Kayes Arm und drückte ihn sanft.
»Kommen Sie jetzt mit! Wir fliegen nach Washington, gehen zu Mark und Frank, treffen uns mit jedem anderen, den Sie gerne sprechen möchten, bekommen ein Gefühl für die ganze Sache.
Entscheiden können Sie sich in ein paar Tagen. Fragen Sie Ihren Anwalt, wenn Sie wollen. Wir stellen Ihnen sogar einen Vertragsentwurf zur Verfügung. Wenn es nicht klappt, überlasse ich Sie ohne Meckern und Murren den CDC.«
Kaye wandte sich zu Kushner. Im Gesicht ihrer Lehrerin erkannte sie den gleichen Ausdruck wie damals, als sie verkündet hatte, sie werde Saul heiraten. »Wo ist der Haken an der Sache, Marge?«, fragte Kushner leise und faltete dabei die Hände auf ihrem Schoß.
Cross lehnte sich zurück und spitzte die Lippen. »An keiner von den üblichen Stellen. Die wissenschaftliche Anerkennung geht an die Arbeitsgruppe. Die Werbeabteilung der Firma koordiniert alle Presseerklärungen und überwacht sämtliche wissenschaftlichen Veröffentlichungen, damit die Informationen zum richtigen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit gelangen. Keine PrimadonnaAllüren.
Die finanziellen Erlöse werden nach einem sehr großzügigen Prämiensystem verteilt.« Cross verschränkte die Arme. »Kaye, Ihr Anwalt ist schon ziemlich alt und nicht sehr versiert in solchen Angelegenheiten. Judith kann Ihnen sicher einen besseren empfehlen.«
Kushner nickte. »Ich werde ihr einen sehr guten nennen … falls Kaye Ihr Angebot ernsthaft in Erwägung zieht.« Sie klang ein wenig bedrückt, enttäuscht.
»Mit so vielen Konfektschachteln und Rosensträußen umworben zu werden, bin ich nicht gewohnt, das können Sie mir glauben«, sagte Kaye und starrte auf die Ecke des Teppichs hinter dem Couchtisch. »Bevor ich mich entscheide, wüsste ich gern, was man bei der Taskforce von mir erwartet.«
»Wenn Sie mit mir in Augustines Büro marschiert kommen, weiß er, was ich vorhabe. Und ich denke, er wird einverstanden sein.«
Zu ihrer eigenen Überraschung sagte Kaye: »Dann würde ich gern mit Ihnen nach Washington fliegen.«
»Sie haben es verdient, Kaye«, sagte Cross, »und ich brauche Sie.
Das Ganze wird kein Spaziergang. Ich will die besten Wissenschaftler haben, das beste Arsenal, das ich bekommen kann.«
Draußen schneite es jetzt stärker. Kaye sah, dass der Fahrer sich in den Wagen zurückgezogen hatte und mit einem Handy telefonierte. Eine andere Welt — so schnell, so beschäftigt, so verwoben und mit so wenig Zeit, um wirklich nachzudenken.
Vielleicht brauchte sie jetzt genau das.
»Ich kann diesen Anwalt anrufen«, sagte Kushner. Dann wandte sie sich zu Cross: »Ich würde gern ein paar Minuten allein mit Kaye sprechen.«
»Natürlich«, erwiderte Cross.
In der Küche griff Judith Kushner nach Kayes Arm und sah sie mit einer konzentrierten Grimmigkeit an, die Kaye nur selten bei ihr beobachtet hatte.
»Dir ist doch klar, was passieren wird?«, fragte sie.
»Was?«
»Du sollst das Aushängeschild abgeben. Die Hälfte deiner Zeit wirst du in großen Räumen mit Leuten sprechen, die dich erwartungsvoll anlächeln, dir alles ins Gesicht sagen, was du hören willst, und dann hinter deinem Rücken tratschen. Man wird dich als eines von Marges Haustieren bezeichnen, als einen von ihren Zöglingen.«
»Meinst du wirklich?«, fragte Kaye.
»Du wirst glauben, dass du tolle Arbeit leistest, und eines Tages wird dir dann klar, dass du die ganze Zeit nach ihrer Pfeife getanzt hast und sonst gar nichts. Sie glaubt, die Welt gehöre ihr und alles gehe nach ihrer Nase. Und dann wird jemand kommen müssen, der dich rettet, Kaye. Ob ich das jemals sein könnte, weiß ich nicht. Und ich hoffe für dich, dass es niemals ein zweiter Saul sein wird.«
»Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, danke«, sagte Kaye leise, aber auch mit einem Anflug von Trotz. »Aber ich lasse mich auch von meinem Instinkt leiten. Und außerdem will ich herausfinden, was die Herodes-Grippe eigentlich ist. Das wird nicht billig. Ich denke, mit den CDC hat sie Recht. Und wenn wir … die Arbeit am Eliava-Institut abschließen können? Für Saul? Im Andenken an ihn?«
Kushners Anspannung ließ nach. Sie lehnte sich gegen die Wand und schüttelte den Kopf. »Na gut.«
»Du redest von Cross, als sei sie der Teufel persönlich«, sagte Kaye.
Kushner lachte. »Der Teufel nicht gerade. Aber auch nicht meine Kragenweite.«
Die Küchentür öffnete sich, und Debra Kim kam herein. Sie blickte nervös zwischen den beiden hin und her und sagte dann bittend: »Kaye, eigentlich will sie dich und nicht mich. Wenn du nicht mit einsteigst, wird sie Mittel und Wege finden, damit meine Arbeit den Bach runtergeht …«
»Ich mache es«, sagte Kaye. »Aber um Himmels willen, ich kann jetzt nicht sofort weg. Das Haus …«
»Darum wird Marge sich schon kümmern«, sagte Kushner, als müsste sie einer begriffsstutzigen Studentin bei einem Thema auf die Sprünge helfen, das ihr selbst keinen Spaß macht.
»Ganz bestimmt«, bestätigte Kim eilig, und ihr Gesicht heiterte sich auf. »Sie ist einfach toll.«
29
Primatenlabor der Taskforce, Baltimore
Februar
»Morgen, Christopher! Wie geht’s Europa?« Marian Freedman hielt die Tür an der obersten Betonstufe auf. Durch die Straße fegte ein eiskalter Wind. Dicken zog seinen zerknitterten Schal hoch und rieb sich vielsagend ein tränendes Auge, während er die Treppe hochstieg.
»Ich bin noch die Genfer Uhrzeit gewohnt. Schöne Grüße von Ben Tice.«
Freedman salutierte forsch. »Europa meldet sich zur Stelle«, rief sie dramatisch. »Wie geht’s Ben?«
»Er ist todmüde. Letzte Woche haben sie die Hüllproteine untersucht. Schwieriger als sie dachten. SHEVA kristallisiert nicht.«
»Er hätte mich fragen sollen«, sagte Marian.
Dicken legte Schal und Mantel ab. »Hast du heißen Kaffee?«
»Im Aufenthaltsraum.« Sie führte ihn durch einen Flur, dessen Wände in einem bizarren Orange gestrichen waren, und dirigierte ihn nach links durch eine Tür.
»Was macht das Gebäude?«
»Schrecklich. Hast du gehört, dass die Bauaufsicht Tritium in den Rohrleitungen gefunden hat? Das hier war letztes Jahr noch eine Anlage zur Aufarbeitung von Krankenhausabfällen, aber irgendwie ist Tritium in die Leitungen geraten. Wir hatten keine Zeit, abzulehnen und wieder auf die Suche zu gehen. Verrückter Markt! Also … Geigerzähler und Nachrüstung haben zehn Riesen gekostet. Außerdem müssen wir jeden zweiten Tag einen Inspekteur vom Nuklearrat mit seinem Schnüffelapparat durch das Haus führen.«
Dicken stand im Aufenthaltsraum vor dem schwarzen Brett. Es war in zwei Abschnitte geteilt: eine große breite Kunststofftafel und daneben eine kleinere Pinnwand aus Kork voller angehefteter Zettel. »Mitbewohner für billige Wohnung gesucht.« »Kann jemand am nächsten Mittwoch meine Hunde vom DullesAirport abholen?
Sie sind dort in Quarantäne. Bin den ganzen Tag beschäftigt.« »Wer kennt eine gute Kindertagesstätte in Arlington?« »Mitfahrgelegenheit nach Bethesda am Montag gesucht. Am liebsten jemand aus der Stoffwechsel- oder Exkretionsgruppe. Wir müssen uns sowieso unterhalten.«