Seine Augen trübten sich. Er war erschöpft, aber als er hier den Beweis sah, dass die Sache in vollem Gang war, dass Menschen aus der ganzen Welt zusammenfanden, mit ihren Familien umzogen und ihre Lebensläufe umkrempelten, war er tief bewegt.
Freedman gab ihm einen Styroporbecher. »Er ist ganz frisch.
Wir machen guten Kaffee.«
»Harntreibend«, sagte er. »Müsste euch helfen, das Tritium loszuwerden.«
Freedman verzog das Gesicht.
»Könnt ihr die Expression schon induzieren?«
»Nein«, sagte Freedman. »Aber das verstreute ERV bei Affen ist dem SHEVA mit seinem Genom beängstigend ähnlich. Wir beweisen gerade, was wir schon immer vermutet haben: Das Zeug ist uralt. Es ist ins Genom der Affen eingedrungen, bevor wir und die Meerkatzen getrennte Wege gegangen sind.«
Dicken trank schnell den Kaffee aus und wischte sich den Mund ab. »Dann ist es eigentlich keine Krankheit«, sagte er.
»Oha! Das habe ich nicht gesagt.« Freedman nahm ihm den Becher ab und warf ihn weg. »Es wird exprimiert, es verbreitet sich, es infiziert. Es ist also eine Krankheit, ganz gleich, woher es stammt.«
»Ben Tice hat zweihundert abgestoßene Feten untersucht. Bei allen war eine große Follikelmasse vorhanden, so ähnlich wie ein Eierstock, aber nur mit etwa zwanzig Follikeln. Bei allen …«
»Ich weiß, Christopher. Höchstens drei geplatzte Follikel. Er hat mir gestern Abend den Bericht geschickt.«
»Marian, die Plazenten sind winzig, das Amnion ist nur ein dünner kleiner Sack, und nach der unglaublich leicht verlaufenden Fehlgeburt — bei vielen Frauen tut es nicht einmal weh — wird auch die Gebärmutterschleimhaut nicht abgestoßen. Es ist, als wäre die Frau immer noch schwanger.«
Freedman wurde sehr unruhig. »Bitte, Christopher …«
Zwei weitere Wissenschaftler, beides junge Schwarze, kamen herein. Sie erkannten Dicken, obwohl sie ihm noch nie begegnet waren, nickten ihm zur Begrüßung zu und gingen zum Kühlschrank hinüber. Freedman dämpfte die Stimme.
»Christopher, ich möchte nicht zwischen dir und Augustine stehen, wenn die Fetzen fliegen. Ja, du hast nachgewiesen, dass die Opfer aus Georgien SHEVA im Gewebe hatten. Aber ihre Babys waren keine missgebildeten EierstockDinger, sondern ganz normal entwickelte Feten.«
»Ich würde liebend gern einen davon genauer untersuchen.«
»Dann nimm ihn woandershin mit. Christopher, wir sind kein kriminaltechnisches Labor. Ich habe hier hundertdreiundzwanzig Leute, dreißig Meerkatzen und zwölf Schimpansen, und wir arbeiten ganz gezielt an einem Auftrag. Wir erforschen die Expression endogener Viren im Gewebe von Affen. Das ist alles.« Die letzten Worte hatte sie Dicken an der Tür leise ins Ohr geflüstert. Dann sagte sie lauter: »Komm mit, sieh dir an, wie weit wir sind.«
Sie führte Dicken durch ein Labyrinth aus Bürokabinen, jede mit eigenem kleinen Flachbildschirm ausgestattet. Unterwegs begegneten ihnen mehrere Frauen in weißen Laborkitteln und ein Techniker im grünen Overall. Es roch nach Desinfektionsmitteln, bis Marian die Stahltür zum Haupttierlabor öffnete. Dort stieg Dicken der Geruch von altem Brot — Affenfutter —, der scharfe Gestank von Urin und Kot, aber auch der Geruch von Seife und Desinfektionsmitteln in die Nase.
Sie brachte ihn in einen großen Raum mit Betonwänden, in dem drei Schimpansenweibchen lebten, jedes in einer eigenen, luftdicht verschlossenen Zelle aus Kunststoff und Stahl. Jede Zelle wurde durch ein eigenes Ventilationssystem mit Luft versorgt. In den Käfig, der ihnen am nächsten war, hatte eine Tierpflegerin eine Fixierklammer gebracht, und der Schimpanse versuchte eifrig, sich der stählernen Fessel zu entziehen. Die Tierpflegerin zog die Schrauben an, sodass die Klammer sich immer weiter schloss, und wartete mit unmelodischem Pfeifen, bis das Affenweibchen sich schließlich in sein Schicksal ergab. Die Klammer hielt es so fest, dass es fast flach da lag. Es konnte nicht mehr beißen, nur ein Arm winkte gegenüber der Seite, an der die Pflegerin ihre Arbeit verrichtete, durch die Stangen.
Marian sah mit ausdrucksloser Miene zu, wie der gefesselte Schimpanse aus dem Käfig geholt wurde. Die Fixiervorrichtung wurde auf Gummirollen herumgedreht, und eine Assistentin nahm Blut und Vaginalabstriche ab. Das Schimpansenweibchen kreischte protestierend und schnitt Grimassen. Weder die Tierpflegerin noch die Assistentin achteten auf die Schreie.
Marian ging zu der Fixierklammer und berührte die ausgestreckte Hand des Affen. »Ist ja schon gut, Kiki. Ist ja schon gut, Mädchen. Braves Mädchen. Tut uns Leid, Schätzchen.«
Die Finger des Schimpansenweibchens strichen mehrmals über Marians Handfläche. Der Affe verzog immer noch das Gesicht und wand sich, schrie aber nicht mehr. Als das Weibchen wieder in den Käfig gebracht wurde, wandte Marian sich um. Sie sah die Tierpflegerin und die Assistentin an.
»Aus dem Idioten, der diese Tiere wie Maschinen behandelt, mache ich Hackfleisch in Dosen«, sagte sie mit leisem, unwirschem Knurren. »Habt ihr das verstanden? Sie braucht Zuwendung. Sie ist verletzt worden und will jemanden berühren, um sich zu beruhigen. Ihr seid am ehesten das, was Freunden und Angehörigen entspricht. Klar?«
Die Tierpflegerin und die Assistentin entschuldigten sich verlegen.
Marian stapfte an Dicken vorüber und bedeutete ihm mit einer ruckartigen Kopfbewegung, ihr zu folgen.
»Es wird sicher gut klappen«, sagte Dicken, bekümmert über die Szene. »Ich vertraue dir vorbehaltlos, Marian.«
Marian seufzte. »Dann komm wieder mit in mein Büro und lass uns weiter reden.«
Der Korridor vor dem Büro war menschenleer, die Türen an beiden Enden waren geschlossen. Mit ausholender Geste erklärte Dicken: »Ich habe Ben auf meiner Seite. Er hält es für einen sehr bedeutsamen Vorgang, nicht nur für eine Krankheit.«
»Will er sich denn gegen Augustine stellen? Unsere ganze Finanzierung wird mit der Suche nach einer Therapie begründet, Christopher! Wie soll man eine Therapie finden, wenn es keine Krankheit ist? Die Menschen sind unglücklich, die Menschen sind krank, und sie glauben, dass sie ihre Babys verlieren.«
»Diese abgestoßenen Feten sind keine Babys, Marian.«
»Was um alles in der Welt sind sie dann? Ich muss von dem ausgehen, was ich weiß, Christopher. Wenn wir völlig theoretisch werden …«
»Ich bohre weiter«, sagte Dicken. »Ich möchte wissen, was du denkst.«
Marian stand hinter ihrem Schreibtisch, legte die Hände auf die Resopalplatte und trommelte mit ihren kurzen Fingernägeln dagegen. Sie sah aufgebracht aus. »Ich bin Genetikerin und Molekularbiologin. Ansonsten habe ich keine Ahnung. Ich brauche jeden Abend fünf Stunden, um nur ein Hundertstel von dem zu lesen, was ich auf meinem eigenen Gebiet eigentlich wissen müsste.«
»Hast du dich schon mal bei MedWeb eingeloggt? Bei Bionet? Virion?«
»Ich bin nicht viel im Netz, außer um meine Mails zu lesen.«
»Virion ist ein kleines, inoffizielles Netzmagazin aus Palo Alto.
Nur Privatabonnenten. Es wird von Kiril Maddox betreut.«
»Ich weiß. Ich hatte in Stanford mal was mit Kiril.«
Dicken zuckte zusammen. »Das wusste ich nicht.«
»Erzähl’ es bitte nicht weiter! Er war schon damals ein hochintelligenter, revolutionärer kleiner Scheißer.«
»Großes Pfadfinderehrenwort. Aber du solltest es dir mal ansehen. Dreißig anonyme Beiträge. Kiril versichert mir, es seien alles seriöse Wissenschaftler. Und der Wirbel dreht sich nicht um Krankheit oder Therapie.«
»Ja, und wenn sie an die Öffentlichkeit gehen, komme ich mit und gehe mit dir zu Augustine ins Büro.«
»Versprochen?«
»Niemals! Ich bin keine schlaue Forscherin, und ich habe keinen internationalen Ruf zu verteidigen. Ich bin so eine Art Fließbandmalocherin mit Spliss in den Haaren und einem beschissenen Sexualleben, aber ich liebe meine Arbeit und will meinen Job behalten.«