Winkend und mit dünnem Lächeln kam Wendell Packer näher.
Er war Ende dreißig wie Mitch, ein großer, schlanker Mann mit schütterem Haar und ebenmäßigen Zügen, die nur durch eine Knollennase ein wenig gestört wurden. Er hatte einen dicken Pullover und eine Daunenjacke an; in der Hand trug er einen kleinen Lederbeutel.
»Ich wollte schon immer mal einen Film über diese Wiese machen«, sagte Packer und faltete nervös die Hände.
»Was für einen?«, fragte Mitch, schon mit einem engen Gefühl in der Brust. Er hatte sich zwingen müssen anzurufen und auf das Universitätsgelände zu kommen. Allmählich lernte er, die Nervosität der früheren Bekannten und Wissenschaftlerkollegen zu ignorieren.
»Nur eine Szene. Januar, schneebedeckte Erde; Obstblüte im April. Ein hübsches Mädchen geht genau hier entlang. Allmähliche Überblendung: Erst ist sie von fallenden Schneeflocken umgeben, und später verwandeln sie sich in Blütenblätter.« Packer zeigte auf den Weg, wo die Studenten zu ihren Vorlesungen schlenderten. Dann wischte er den Matsch auf der Bank beiseite und setzte sich neben Mitch. »Du hättest auch in mein Büro kommen können. Du bist kein Ausgestoßener, Mitch. Niemand wird dich mit einem Fußtritt aus der Uni befördern.«
Mitch zuckte die Achseln. »Ich bin ein unruhiger Mensch geworden, Wendell. Ich schlafe nicht viel. In meiner Wohnung habe ich einen Stapel Lehrbücher … ich beschäftige mich den ganzen Tag mit Biologie. Ich weiß nicht, wo ich am meisten nachzuholen habe.«
»Jaja, na gut, verabschieden wir uns vom élan vital. Wir sind jetzt Ingenieure.«
»Ich würde dich gern zum Mittagessen einladen und dich ein paar Dinge fragen. Und dann wollte ich fragen, ob ich ein paar Vorlesungen in deinem Institut hören kann. Die Lehrbücher reichen mir einfach nicht.«
»Ich kann die Professoren fragen. Hattest du bestimmte Vorlesungen im Auge?«
»Embryologie. Entwicklung der Wirbeltiere. Ein bisschen Geburtshilfe, aber das ist nicht deine Abteilung.«
»Warum?«
Mitch blickte über die Wiese hinweg zu den ockerfarbenen Fassaden der Universitätsgebäude. »Ich muss noch eine Menge lernen, damit ich mir nicht den Mund verbrenne oder wieder etwas Dummes anstelle.«
»Zum Beispiel was?«
»Wenn ich dir das sage, hältst du mich mit Sicherheit für verrückt.«
»Mitch, einen der schönsten Augenblicke seit vielen Jahren habe ich erlebt, als ich mit meinen Kindern nach Ginkgo Tree gefahren bin. Es hat ihnen gefallen, sie sind überall herumgelaufen und haben Fossilien gesucht. Ich habe stundenlang auf den Boden gestarrt und mir im Nacken einen Sonnenbrand geholt. Da wurde mir klar, warum du hinten an der Mütze einen Nackenschutz hattest.«
Mitch lächelte.
»Ich bin immer noch dein Freund, Mitch.«
»Das bedeutet mir wirklich viel.«
»Es ist kalt hier«, sagte Packer. »Wohin wolltest du mich zum Essen einladen?«
»Magst du asiatische Küche?«
Sie saßen in dem kleinen chinesischen Restaurant in einem Erker am Fenster und warteten auf Reis, Nudeln und Curry. Packer nippte an einer Tasse heißem Tee, Mitch trank widersinnigerweise kalte Limonade. Das beschlagene Fenster ging auf die graue so genannte Ave hinaus, die in Wirklichkeit keine Avenue war, sondern die am Rand des Universitätsgeländes verlaufende University Street. Ein paar Jugendliche mit Lederjacken und weiten, schlotternden Hosen stapften rauchend um einen geschlossenen Zeitschriftenstand herum. Es hatte aufgehört zu schneien, und die Straßen glänzten schwarz.
»Also, warum willst du nun die Vorlesungen hören?«, fragte Packer.
Mitch entfaltete drei Zeitungsausschnitte mit Berichten über die Ukraine und Georgien. Packer las sie mit gerunzelter Stirn.
»Jemand hat versucht, die Mutter in der Höhle umzubringen.
Und Jahrtausende später bringen sie Mütter mit der Herodes-Grippe um.«
»Aha. Du meinst, die Neandertaler … Das Baby, das man außerhalb der Höhle gefunden hat.« Packer warf den Kopf zurück.
»Ich bin ein bisschen verwirrt.«
»Du lieber Gott, Wendell, ich war dort. Ich habe das Baby in der Höhle gesehen. Ich bin sicher, dass die Wissenschaftler in Innsbruck es inzwischen bestätigt haben, sie sagen es nur keinem.
Ich habe ihnen geschrieben, aber sie machen sich nicht einmal die Mühe, mir zu antworten.«
Packer dachte mit tief gerunzelter Stirn darüber nach und versuchte, sich ein vollständiges Bild zu machen. »Du glaubst, du bist über ein kleines Stück unterbrochenes Gleichgewicht gestolpert.
In den Alpen.«
Eine kleine Frau mit rundem, hübschem Gesicht brachte das Essen und legte Essstäbchen neben die Teller. Als sie gegangen war, fuhr Packer fort: »Du glaubst, sie haben in Innsbruck eine Gewebeübereinstimmung und geben nur die Befunde nicht bekannt?«
Mitch nickte. »Die Idee ist so weit hergeholt, dass niemand etwas sagt. Es ist ein unglaublich weiter Gedankensprung. Hör mal, ich will dich nicht nerven … ich will dich nicht mit den ganzen Details belästigen. Gib mir nur die Chance herauszufinden, ob ich Recht habe oder nicht. Vermutlich liege ich so weit daneben, dass ich besser eine neue Laufbahn im Straßenbau anfangen sollte. Aber … ich war dort, Wendell.«
Packer sah sich im Restaurant um, schob die Stäbchen beiseite, verteilte ein paar Löffel Chilisauce auf seinem Teller und fuhr mit der Gabel in das CurrySchweinefleisch mit Reis. Zwischen zwei Bissen sagte er: »Wenn ich dich ein paar Vorlesungen hören lasse, setzt du dich dann ganz hinten hin?«
»Ich bleibe draußen vor der Tür«, erwiderte Mitch.
»Es war doch nur ein Scherz«, sagte Packer. »Glaube ich jedenfalls.«
»Ich weiß«, sagte Mitch und lächelte. »Aber jetzt möchte ich dich noch um einen anderen Gefallen bitten.«
Packer hob die Augenbrauen. »Du treibst es ganz schön weit, Mitch.«
»Gibt es bei euch Postdocs, die mit SHEVA arbeiten?«
»Worauf du dich verlassen kannst«, sagte Packer. »Die CDC haben ein Programm zur Koordination der Forschung, und wir sind beigetreten. Hast du auf dem Universitätsgelände die vielen Frauen mit Gesichtsmasken gesehen? Wir würden gern ein bisschen Vernunft in die ganze Sache bringen. Verstehst du … Vernunft?«
Er blickte Mitch durchdringend an.
Mitch zog seine beiden Glasgefäße hervor. »Die sind für mich sehr wertvoll«, sagte er. »Ich will sie nicht verlieren.« Er legte sie auf die geöffnete Handfläche. Sie klackten leise aneinander; der Inhalt sah aus wie zwei kleine Schnipsel Dörrfleisch.
Packer legte die Gabel hin. »Was ist denn das?«
»Neandertalergewebe. Das eine von dem Mann, das andere von der Frau.«
Packer hörte auf zu kauen.
»Wie viel davon brauchst du?«, fragte Mitch.
»Nicht viel«, erwiderte Packer mit dem Mund voller Reis. »Vorausgesetzt, ich kann überhaupt etwas damit anfangen.«
Mitch wiegte die Hand, und die Gefäße rollten langsam hin und her.
»Wenn ich dir glauben soll«, sagte Packer.
»Ich muss dir glauben«, erwiderte Mitch.
Packer blinzelte durch die beschlagenen Fensterscheiben; draußen tollten immer noch die Jugendlichen herum; sie lachten und rauchten Zigaretten.
»Testen … auf was? SHEVA?«
»Oder etwas Ähnliches wie SHEVA.«
»Warum? Was hat SHEVA mit Evolution zu tun?«
Mitch tippte auf die Zeitungsausschnitte. »Es wäre eine Erklärung für das ganze Gerede über die Satanskinder. Da spielt sich etwas sehr Merkwürdiges ab. Ich glaube, das hat es auch schon früher gegeben, und ich habe den Beleg gefunden.«