»Was kannst du überhaupt tun, Wendell?«, fragte Mitch, wobei er den Kopf hob und den Freund ansah. »Ich sitze hier auf der tollsten Geschichte in der modernen Naturwissenschaft. In Innsbruck werden sie mauern, das rieche ich jetzt schon. Sie werden alles abstreiten. Das ist der einfache Ausweg. Aber was soll ich tun?
Zu wem soll ich gehen?«
Packer rieb sich die Augen und schnäuzte sich in ein Taschentuch. »Du musst jemanden finden, der nicht so vorsichtig ist. Außerhalb der Universitäten. Ich kenne ein paar Leute bei den CDC.
Beispielsweise unterhalte ich mich öfter mit einem Freund in den Instituten in Atlanta — eigentlich ist es der Freund einer früheren Freundin, aber wir haben immer noch ein gutes Verhältnis. Sie hat ein paar Mal Leichengewebe analysiert, und zwar für einen Virusforscher namens Dicken von der HerodesTaskforce der CDC.
Wie nicht anders zu erwarten, hat er bei Leichen nach SHEVA gesucht.«
»Leichen aus Georgien?«
Packer begriff nicht sofort. »Du meinst Georgia, wo Atlanta liegt?«
»Nein, Republik Georgien.«
»Äh … ja, stimmt. Aber er hat auch in historischen Aufzeichnungen nach Anhaltspunkten für die Herodes-Grippe gesucht. In früheren Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten.« Packer tippte Mitch viel sagend auf die Hand. »Vielleicht wüsste er gerne, was du weißt?«
33
Magnuson Clinical Center, National Institutes of Health, Bethesda
In dem hell erleuchteten Zimmer saßen vier Frauen. Die Ausstattung des Raumes bestand aus zwei Sofas, zwei Sesseln, einem Fernseher mit Videorecorder, Büchern und Zeitschriften. Kaye fragte sich, wie Krankenhausarchitekten es immer wieder schafften, eine so sterile Atmosphäre zu verbreiten: Holz in der Farbe von Asche, Wände in kühlem, gebrochenem Weiß, gesundheitsfördernde Pastellbilder von Stränden, Wäldern und Blumen. Eine bleiche, beruhigende Welt.
Für kurze Zeit beobachtete sie die Frauen durch die Glasscheibe des Seiteneingangs, während sie darauf wartete, dass Dicken und die Leiterin des klinischen Forschungsprojektes zu ihr aufschlossen.
Zwei schwarze Frauen. Die eine, Ende dreißig und stämmig, saß aufrecht in einem Sessel und blickte, ein Heft von Elle auf dem Schoß, desinteressiert auf den Fernseher. Die andere war höchstens Anfang zwanzig und sehr schlank, mit kleinen, spitzen Brüsten und kurzer Zöpfchenfrisur. Sie saß, die Wange auf eine Hand gelegt und den Ellenbogen auf der Armlehne, in einem der Sofas.
Und zwei weiße Frauen, beide in den Dreißigern, die eine strohblond, abgehärmt und mit benommenem Blick, die andere gut gekleidet und mit ausdrucksloser Miene. Sie lasen in abgeschabten Exemplaren von People und Time.
Dicken näherte sich zusammen mit Dr. Denise Lipton durch den mit grauem Teppichboden ausgelegten Korridor. Lipton war Anfang vierzig, klein und auf eine herbe Weise hübsch. Ihre Augen sahen aus, als könnten sie Funken sprühen, wenn sie sich ärgerte. Dicken stellte sie vor.
»Sind Sie bereit, sich unsere Freiwilligen anzusehen, Ms. Lang?«, fragte Lipton.
»Bereiter geht’s nicht«, erwiderte Kaye. Lipton lächelte mechanisch. »Sie fühlen sich nicht besonders wohl. In den letzten paar Tagen mussten sie sich so vielen Tests unterziehen, dass … nun ja, dass sie sich jetzt nicht besonders wohl fühlen.«
Die Frauen in dem Zimmer blickten beim Klang der Stimmen auf. Lipton strich sich den weißen Kittel glatt und stieß die Tür auf.
»Guten Tag, meine Damen«, sagte sie zur Begrüßung.
Das Zusammentreffen verlief recht gut. Dr. Lipton brachte drei der Frauen in ihre Einzelzimmer, sodass Dicken und Kaye sich ausführlicher mit der vierten unterhalten konnten. Es war die ältere schwarze Frau, Mrs. Luella Hamilton aus Richmond in Virginia.
Als Erstes fragte Mrs. Hamilton, ob sie einen Kaffee bekommen könne.
»Die haben mir so viel abgezapft. Wenn es nicht an den Blutabnahmen liegt, spielen vielleicht meine Nieren verrückt.« Dicken versprach, für jeden eine Tasse zu holen, und verließ den Raum.
Mrs. Hamilton blickte Kaye durchdringend an und kniff die Augen zusammen. »Wir haben gehört, Sie hätten diese Bazillen entdeckt.«
»Nein«, sagte Kaye. »Ich habe ein paar Artikel darüber geschrieben, aber entdeckt habe ich den Erreger eigentlich nicht.«
»Man kriegt nur ein bisschen Fieber«, sagte Mrs. Hamilton. »Ich habe schon vier Kinder, und jetzt haben sie mir gesagt, dieses Mal würde es kein richtiges Baby werden. Aber sie wollen es mir nicht rausnehmen. Sie sagen, sie wollen der Krankheit ihren Lauf lassen.
Ich bin doch bloß ein großes Versuchskaninchen, oder?«
»Hört sich so an. Werden Sie gut versorgt?«
»Ich bekomme zu essen«, erwiderte sie mit einem Achselzucken.
»Das Essen ist gut. Die Bücher und Filme gefallen mir nicht. Die Schwestern sind nett, aber diese Dr. Lipton — die ist ein harter Brocken. Sie benimmt sich freundlich, aber ich glaube, in Wirklichkeit mag sie niemanden.«
»Ich bin überzeugt, dass sie gute Arbeit leistet.«
»Jaja, na gut, junge Frau, Miz Lang, setzen Sie sich mal ’ne Zeit lang hier hin, und dann sagen Sie noch mal, es gäbe nix zu meckern.«
Kaye lächelte.
»Es kotzt mich an, dieser schwarze Pfleger da, der behandelt mich immer wie’n Vorbild. Der will, dass ich so stark bin wie seine Mammi.« Sie sah Kay mit weit geöffneten Augen unverwandt an und schüttelte den Kopf. »Ich will nicht stark sein. Ich will heulen, wenn sie die Untersuchungen machen, wenn ich an dieses Baby denke, Miz Lang. Kapiert?«
»Ja«, sagte Kaye.
»Es fühlt sich an wie bei den anderen um diese Zeit. Ich sage, vielleicht haben sie sich geirrt und es ist doch ein Baby. Bin ich deshalb doof?«
»Wenn sie die Untersuchungen gemacht haben, wissen sie genau Bescheid«, sagte Kaye.
»Nicht mal mein Mann darf mich besuchen. Steht im Vertrag.
Von ihm habe ich diese Grippe, und von ihm habe ich dieses Baby, aber er fehlt mir. Es war doch nicht seine Schuld. Ich rede am Telefon mit ihm. Er klingt ganz munter, aber er vermisst mich auch, das weiß ich. Macht mich nervös, dass ich weg bin, verstehen Sie?«
»Wer kümmert sich um Ihre Kinder?«, fragte Kaye.
»Mein Mann. Die Kinder dürfen mich besuchen kommen.
Mein Mann bringt sie her, und dann kommen sie rein zu mir, und er bleibt draußen im Auto. Vier Monate dauert es noch, vier Monate!« Mrs. Hamilton drehte den dünnen goldenen Ehering an ihrem Finger. »Er sagt, er ist so einsam, und die Kinder, mit denen ist es manchmal auch nicht einfach.«
Kaye fasste Mrs. Hamiltons Hand. »Ich weiß, wie tapfer Sie sind, Mrs. Hamilton.«
»Sagen Sie Luella zu mir«, erwiderte sie. »Und noch maclass="underline" Ich bin nicht tapfer. Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»Kaye.«
»Ich hab’ Angst, Kaye. Wenn Sie rausfinden, was wirklich los ist, sagen Sie’s mir als Erstes, okay?«
Kaye ließ Mrs. Hamilton allein. Sie fühlte sich ausgedörrt, außerdem war ihr kalt. Dicken begleitete sie ins Erdgeschoss und aus der Klinik hinaus. Immer wenn sie es nicht bemerkte, sah er sie an.
Sie bat ihn, einen Augenblick stehen zu bleiben. Mit verschränkten Armen blickte sie über ein kurz geschnittenes Rasenstück hinweg zu einer kleinen Baumgruppe. Der Rasen war von Gräben umgeben. Das NIH Gelände war zum größten Teil ein Labyrinth aus Umleitungen und Baustellen, Löchern, die mit nackter Erde gefüllt waren, Beton und aufragenden Wäldern aus Moniereisen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Dicken.
»Nein«, sagte sie. »Ich bin niedergeschmettert.«
»Wir müssen uns daran gewöhnen. Es geschieht überall.«
»Die Frauen haben sich alle freiwillig gemeldet?«