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»Natürlich. Wir zahlen die medizinische Behandlung und einen Tagessatz. Zu so etwas kann man selbst im Fall des nationalen Notstandes niemanden zwingen.«

»Warum dürfen die Ehemänner sie nicht besuchen?«

»Das dürfte meine Schuld sein«, sagte Dicken. »Auf unserer letzten Besprechung habe ich über Anhaltspunkte berichtet, wonach die Herodes-Grippe auch ohne sexuelle Betätigung zu einer zweiten Schwangerschaft führt. Die Mitteilung geht heute Abend an alle beteiligten Wissenschaftler.«

»Was für Anhaltspunkte? Du liebe Güte, reden wir hier von unbefleckter Empfängnis?« Kaye stemmte die Hände in die Hüften, drehte sich um und sah ihn durchdringend an. »Dieser Sache sind Sie auf der Spur, seit wir uns in Georgien kennen gelernt haben, stimmt’s?«

»Schon vor Georgien. Ukraine, Russland, Türkei, Aserbeidschan, Armenien. In diesen Ländern ist die Herodes-Grippe vor zehn, zwanzig Jahren ausgebrochen, vielleicht sogar noch früher.«

»Dann haben Sie meine Artikel gelesen, und auf einmal passte alles zusammen? Sie sind also so eine Art wissenschaftlicher Geheimagent?«

Dicken verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Wohl kaum.«

»Und ich bin der Auslöser?«, fragte Kaye ungläubig.

»So einfach ist das nicht, Kaye.«

»Es wäre mir sehr Recht, wenn man mich auf dem Laufenden halten würde, Chris.«

»Christopher, bitte.« Er wirkte unangenehm berührt und kleinlaut.

»Es wäre mir sehr Recht, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten würden. Sie laufen hier ständig wie ein Schatten hinter mir her — was glauben Sie wohl, warum ich Sie für einen der wichtigsten Leute in der Taskforce halte?«

»Danke, aber das ist eine weit verbreitete Fehleinschätzung«, sagte er mit gequältem Lächeln. »Ich versuche, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, aber ich glaube, das gelingt mir nicht.

Manchmal, wenn die Belege stichhaltig sind, hören sie mir zu, und in diesem Fall ist es so — Berichte aus armenischen Krankenhäusern, sogar aus ein paar Kliniken in Los Angeles und New York.«

»Christopher, wir haben noch zwei Stunden bis zur nächsten Besprechung«, sagte Kaye. »Seit zwei Wochen hänge ich jetzt in Konferenzen über SHEVA. Die glauben, ich hätte da meine ökologische Nische gefunden. Ein gemütliches kleines Plätzchen, wo ich nach anderen HERV suchen kann. Marge hat mir in Baltimore ein hübsches Labor eingerichtet, aber … ich glaube nicht, dass die Taskforce mich wirklich gebrauchen kann.«

»Dass Sie zu Americol gegangen sind, hat Augustine wirklich durcheinander gebracht. Ich hätte Sie warnen sollen.«

»Also werde ich mich auf die Arbeit für Americol konzentrieren müssen.«

»Das wäre nicht schlecht. Die haben das Geld, und es sieht so aus, als ob Marge Sie mag.«

»Ich wüsste gern mehr darüber, wie es … an der Front aussieht?

Sagt man so?«

»An der Front«, bestätigte Dicken. »Manchmal sagen wir, jetzt gehen wir zu den richtigen Soldaten, zu denen, die krank werden.

Wir sind nur Arbeiter; sie sind die Soldaten. Für Leiden und Sterben sind vor allem sie zuständig.«

»Ich fühle mich wie ein Zaungast. Reden Sie überhaupt mit Außenstehenden?«

»Aber mit Vergnügen«, erwiderte Dicken. »Sie wissen doch, wogegen ich hier kämpfe, oder?«

»Gegen die Mühlen der Bürokratie. Die glauben, sie wüssten, was die Herodes-Grippe ist. Aber … eine zweite Schwangerschaft, und das ohne Sex!« Kaye spürte ein leichtes Frösteln.

»Das haben sie schon begriffen«, sagte Dicken. »Heute Nachmittag werden wir über einen möglichen Mechanismus reden. Sie wollen alle Karten auf den Tisch legen.« Er verzog das Gesicht wie ein kleiner Junge, der ein schlimmes Geheimnis verbirgt. »Wenn Sie allerdings Fragen stellen, die ich nicht beantworten kann oder darf …«

Aufgebracht ließ Kaye die Hände von den Hüften fallen. »Und was sind die Fragen, die Augustine nicht stellt? Was ist, wenn wir völlig falsch liegen?«

»Genau das ist die Frage«, erwiderte Dicken. »Genau das, Kaye.

Ich wüsste, dass Sie es verstehen würden. Während wir über alle möglichen Wenns reden … Haben Sie etwas dagegen, dass ich Ihnen mein Herz ausschütte?«

Bei dieser Aussicht fuhr Kaye zurück.

»Wissen Sie, ich bewundere Ihre Arbeit so sehr …«

»Ich hatte Glück, und ich hatte Saul«, antwortete Kaye steif. Dicken wirkte verletzlich, und das mochte sie nicht. »Christopher, was um alles in der Welt verheimlichen Sie?«

»Es würde mich wundern, wenn Sie es nicht schon wüssten. Wir schrecken alle vor dem Offensichtlichen zurück — oder jedenfalls vor dem, was für ein paar von uns offensichtlich ist.« Mit zusammengekniffenen Augen forschte er aufmerksam in ihrem Gesicht.

»Ich werde Ihnen sagen, was ich denke, und wenn Sie auch der Meinung sind, dass es möglich ist — dass es wahrscheinlich ist —, müssen Sie mich entscheiden lassen, wann ich damit herausrücke.

Wir warten, bis wir alle erforderlichen Belege haben. Ich habe ein Jahr lang in einem Land der Vermutungen gelebt, und ich weiß ganz genau, dass weder Augustine noch Shawbeck mir zuhören werden. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin nur ein besserer Laufbursche. Also …« Er trat von einem Fuß auf den anderen.

»Bleibt das unter uns?«

»Natürlich«, sagte Kaye und sah ihn durchdringend an. »Sagen Sie mir, wie es Ihrer Ansicht nach mit Mrs. Hamilton weitergehen wird.«

34

Seattle

Mitch wusste, dass er schlief oder sich vielmehr im Halbschlaf befand. Gelegentlich verarbeitete sein Geist die Tatsachen seines Daseins, seine Pläne, seine Vermutungen eigenständig und mit hartnäckiger Unabhängigkeit, und das geschah immer am Rande des Schlafes.

Er hatte schon oft von der Stelle geträumt, wo er gerade grub, aber jedes Mal in einem anderen zeitlichen Zusammenhang. Heute Morgen — sein Körper war gefühllos und sein bewusster Geist wie ein Zuschauer in einem Theater — sah er einen jungen Mann und eine junge Frau. Sie waren in leichte Pelze gehüllt, und an ihren Fußknöcheln hatten sie abgetragene Sandalen aus Schilf und Tierhäuten befestigt. Die Frau war schwanger. Zuerst sah er sie im Profil wie auf einem rotierenden Präsentierteller, und eine Zeit lang hatte er Spaß daran, sie aus unterschiedlichen Winkeln zu betrachten.

Nach und nach verschwand dieses Bild; jetzt gingen der Mann und die Frau im hellen Tageslicht — dem hellsten, das er jemals in einem Traum gesehen hatte — über frisch gefallenen Schnee und vom Wind glatt gefegtes Eis. Das Eis glitzerte, und sie hielten schützend die Hand über die Augen.

Auf den ersten Blick hielt er sie für seinesgleichen. Aber schon bald erkannte er, dass diese Menschen ihm nicht glichen. Anfangs kam ihm der Verdacht nicht wegen der Gesichtszüge, sondern wegen des komplizierten Musters von Bart und Gesichtsbehaarung bei dem Mann und wegen der dicken, weichen Mähne rund um das Gesicht der Frau, das ihre Wangen, das fliehende Kinn und die niedrige Stirn freiließ, sich aber über die Augenbrauen hinweg von einer Schläfe zur anderen zog. Die Augen unter ihren buschigen Brauen waren sanft und dunkelbraun, ja sogar fast schwarz, und ihre Haut olivfarben. Die Finger waren grau, rosa und voller Schwielen. Beide hatten breite, dicke Nasen.

Das sind keine Menschen wie ich, dachte Mitch, aber ich kenne sie.

Die beiden lächelten. Die Frau bückte sich und hob ein wenig Schnee auf. Verstohlen knabberte sie daran, aber als der Mann gerade einmal nicht hinsah, formte sie ihn schnell zu einem harten Ball und warf ihn ihrem Begleiter an den Kopf. Der Getroffene geriet durch den Stoß ins Taumeln und schrie mit heller, glockenreiner Stimme, die fast wie die eines Beagle klang. Die Frau tat, als wollte sie sich ducken, aber dann lief sie weg, und der Mann rannte hinter ihr her. Er zog sie trotz ihres wiederholten, unterwürfigen Grunzens zu Boden, trat dann einen Schritt zurück, hob die Arme zum Himmel und überhäufte sie mit lauten Worten. Aber obwohl seine Stimme einen tiefen, grollenden Tonfall hatte, schien sie nicht sonderlich beeindruckt. Sie wedelte mit den Händen in seiner Richtung und schürzte die Lippen, wobei sie laute Schmatzgeräusche von sich gab.