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»Sagen Sie nicht, Sie hätten noch nicht daran gedacht«, erwiderte Augustine. Sein Gesicht war grau vor Anspannung.

»Diese Art von Fantasie habe ich nicht«, antwortete Dicken bitter.

Augustine drehte sich um und sah aus dem Fenster. »Bald ist Frühling. Veronika, der Lenz ist da und so. Genau der richtige Zeitpunkt, um die Geschlechtertrennung anzuordnen. Alle Frauen im gebärfähigen Alter, alle Männer. Das Finanzministerium kann sich damit amüsieren, die Verringerung des Bruttoinlandsproduktes auszurechnen, die so etwas bringt.«

Einen langen Augenblick saßen sie sich schweigend gegenüber.

»Warum sind Sie mit Kaye Lang in die Offensive gegangen?«, fragte Dicken.

»Weil ich weiß, woran ich mit ihr bin. Das andere … Berufen Sie sich nicht auf mich, Christopher. Ich sehe ein, dass es notwendig ist, aber verdammt noch mal, ich habe keine Ahnung, wie wir es politisch überleben sollen.« Er holte ein anderes Foto aus der Schublade und hielt es so, dass Dicken es sehen konnte. Es zeigte einen Mann und eine Frau vor einem alten Sandsteinhaus auf einer Veranda, auf der nur eine einzige Deckenlampe brannte. Die beiden küssten sich. Das Gesicht des Mannes war nicht zu erkennen, aber er war wie Augustine gekleidet und hatte auch seine Statur.

»Nur damit Sie nicht so ein schlechtes Gewissen haben. Sie ist mit einem gerade gewählten Kongressabgeordneten verheiratet«, sagte Augustine. »Wir haben Schluss gemacht. Es ist Zeit, dass wir alle erwachsen werden.«

Dicken stand vor der Zentrale der Taskforce im Gebäude 51 und fühlte sich ein wenig krank. Kriegsrecht. Geschlechtertrennung.

Er zog die Schultern ein und ging zum Parkplatz; dabei mied er die Fugen im Straßenpflaster.

Im Auto fand er auf dem Handy eine Nachricht vor. Er wählte und rief sie ab. Eine unbekannte Stimme versuchte, eine echte Abneigung gegen aufgezeichnete Nachrichten zu überwinden, und sagte nach mehreren ungeschickten Versuchen schließlich, sie hätten gemeinsame Bekannte — um zwei oder drei Ecken — und möglicherweise auch gemeinsame Interessen.

»Mein Name ist Mitch Rafelson. Ich bin zurzeit in Seattle, aber ich will bald an die Ostküste fliegen und mich mit mehreren Leuten treffen. Wenn Sie sich für … frühere Vorfälle mit SHEVA interessieren, für Beispiele aus sehr alter Zeit, nehmen Sie bitte mit mir Kontakt auf.«

Dicken schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Unglaublich.

Es war, als wüssten alle über seine abwegige Hypothese Bescheid.

Er notierte sich die Telefonnummer auf einem kleinen Block und starrte sie spöttisch an. Der Name des Mannes kam ihm bekannt vor. Er hielt ihn noch einmal auf dem Notizblock fest.

Dann kurbelte er das Fenster herunter und sog tief die frische Luft ein. Es wurde immer wärmer, und die Wolken über Bethesda lösten sich auf. Der Winter würde bald vorüber sein.

Gegen besseres Wissen, gegen jede Vernunft, tippte er Kaye Langs Nummer ein. Sie war nicht zu Hause.

»Ich hoffe, du kannst gut mit den großen Mädchen tanzen«, murmelte Dicken für sich und ließ das Auto an. »Und Cross ist nun wirklich ein sehr großes Mädchen.«

40

Baltimore

Der Anwalt hieß Charles Wothering. Er sprach reines BostonEnglisch, war mit zerknitterter Eleganz gekleidet und trug eine grob gestrickte Wollmütze sowie einen langen, dunkelroten Schal.

Kaye bot ihm Kaffee an, den er auch nahm.

»Sehr hübsch«, meinte er und sah sich in der Wohnung um. »Sie haben Geschmack.«

»Marge hat es mir eingerichtet«, erwiderte Kaye.

Wothering lächelte. »Marge hat innenarchitektonisch überhaupt keinen Geschmack. Aber Geld wirkt manchmal Wunder, finden Sie nicht?«

»Keine Ausflüchte«, sagte Kaye freundlich. »Warum hat sie Sie hergeschickt? Um … unsere Vereinbarungen zu ergänzen?«

»Keineswegs«, sagte Wothering. »Ihre Eltern sind doch tot, oder?«

»Ja.«

»Ich bin nur ein mittelmäßiger Anwalt, Ms. Lang — darf ich Kaye sagen?«

Kaye nickte.

»Mittelmäßig, was das Juristische angeht, aber Marge schätzt mich wegen meiner Menschenkenntnis. Ob Sie es glauben oder nicht: Marge kann Menschen nicht gut einschätzen. Viel Kraftmeierei, aber mehrere gescheiterte Ehen — ich habe vor langer Zeit mitgeholfen, das auseinander zu dröseln und so zu erledigen, dass sie nie wieder etwas davon zu hören bekam. Sie ist der Ansicht, Sie könnten meine Hilfe brauchen.«

»Wieso?«, fragte Kaye.

Wothering setzte sich auf das Sofa und nahm drei Löffel Zucker aus der Schale auf dem Serviertablett. Sorgfältig rührte er um.

»Haben Sie Saul Madsen geliebt?«

»Ja.«

»Und wie fühlen Sie sich jetzt?«

Kaye dachte darüber nach, wich dabei aber Wotherings stetigem Blick nicht aus. »Jetzt ist mir klar, wie viel Saul mir verheimlicht hat, nur damit wir unseren gemeinsamen Traum weiterträumen können.«

»Wie viel hat Saul geistig zu Ihrer Arbeit beigetragen?«

»Kommt darauf an, welche Arbeit Sie meinen.«

»Ihre Arbeiten mit den endogenen Retroviren.«

»Nur wenig. Das war nicht sein Spezialgebiet.«

»Was war denn sein Spezialgebiet?«

»Er hat sich gern mit der Hefe verglichen.«

»Wie bitte?«

»Er hat das Ferment beigesteuert. Von mir stammte der Zucker.«

Wothering lachte. »Hat er Sie angeregt, intellektuell meine ich?«

»Er hat mich herausgefordert.«

»Wie ein Lehrer, wie ein Vater oder … wie ein Partner?«

»Wie ein Partner«, erwiderte Kaye. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, Mr. Wothering.«

»Sie haben sich mit Marge verbündet, weil Sie sich nicht befähigt fühlten, allein mit Augustine und seinen Leuten zurecht zu kommen, stimmt’s?«

Kaye starrte ihn an.

Wothering hob eine seiner buschigen Augenbrauen.

»Nicht ganz«, erwiderte sie. Ihre Augen brannten, weil sie nicht zwinkerte. Wothering blinzelte um so häufiger und setzte die Kaffeetasse ab.

»Ich will es kurz machen. Marge hat mich hergeschickt, damit ich Sie auf jede nur erdenkliche Weise von Saul Madsen löse. Ich brauche Ihre Genehmigung, um EcoBacter, AKS und Ihre Verträge mit der Taskforce gründlich zu durchleuchten.«

»Ist das nötig? Ich habe jetzt sicher keine Leichen mehr im Keller, Mr. Wothering.«

»Wir können nicht vorsichtig genug sein, Kaye. Sie wissen doch, dass die ganze Sache sehr ernst wird. Jede Peinlichkeit kann schwere politische Auswirkungen haben.«

»Ich weiß«, sagte Kaye. »Ich habe ja schon gesagt, dass es mir Leid tut.«

Wothering streckte die Hand aus, machte ein besänftigendes Gesicht und strich mit den Fingern durch die Luft. Zu anderen Zeiten hätte er ihr mit väterlichem Gesicht über das Knie gestrichen. »Wir werden das in Ordnung bringen«. Seine Augen nahmen einen harten Ausdruck an. »Ich möchte Ihr wachsendes persönliches Verantwortungsgefühl nicht durch die automatische persönliche Betreuung eines guten Anwalts verdrängen«, sagte er.

»Sie sind eine erwachsene Frau, Kaye. Allerdings werde ich die Fäden entwirren, und dann … schneide ich sie durch. Dann sind Sie niemandem mehr etwas schuldig.«

Kaye biss sich auf die Lippen. »Ich möchte etwas klar stellen, Mr. Wothering. Mein Mann war krank. Er war psychisch krank.

Was er getan oder nicht getan hat, wirft kein schlechtes Licht auf mich — und auch nicht auf ihn. Er hat sich bemüht, sein inneres Gleichgewicht aufrecht zu halten, mit seinem Leben und seiner Arbeit klarzukommen.«

»Ich verstehe, Ms. Lang.«

»Saul war mir auf seine Weise eine große Hilfe, aber ich wende mich gegen die unausgesprochene Annahme, ich könne nicht selbst meine Frau stehen.«

»Eine solche Annahme lag nicht in meiner Absicht.«