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Jenseits der Schienen, zu erreichen über eine Fußgängerbrücke, lag der Ort, eigentlich kaum mehr als eine Reihe von Läden und der Bahnhofsparkplatz.

Ein schwarzer Lexus bog in den Parkplatz ein; Mitch sah, wie ein rothaariger Mann ausstieg, durch den Maschendrahtzaun des Bahngeländes spähte und winkte.

»Er heißt William Daney. Ihm gehört der größte Teil von Beresford — das heißt, seiner Familie. Etwa zehn Minuten von hier haben sie ein Anwesen, das es mit dem Buckingham Palace aufnehmen kann. In meiner Naivität hatte ich vergessen, was für eine Art Königtum Amerika hervorbringt — altes Geld, auf seltsame Weise angelegt.«

Mitch hörte Mertons Erzählungen zu, während der Journalist mit ihm eine gewundene, zweispurige Allee mit großartigen Laubbäumen entlang fuhr. Die frischen Blätter der Ahornbäume und Eichen leuchteten so kräftig grün, dass er sich vorkam wie in einem Film. Die Sonne warf goldene Flecken auf die Straße. Seit fünf Minuten war ihnen kein anderes Auto begegnet.

»Daney war früher Jachteigner. Hat Millionen ausgegeben, um ein elegantes großes Boot zu perfektionieren, und dann hat er ein paar Regatten verloren. Das ist über zwanzig Jahre her. Später hat er die Anthropologie entdeckt, aber da gab es ein Problem: Er hat etwas gegen Dreck. Er liebt das Wasser, verabscheut den Dreck, verabscheut das Buddeln. In Amerika Auto zu fahren, macht Spaß, aber hier ist es fast wie in England. Ich könnte mich sogar …« Merton schwenkte kurz über die Mittellinie auf die linke Fahrspur »… von meinem Instinkt leiten lassen.« Er lenkte den Wagen schnell wieder nach rechts und lächelte Mitch an.

»Schrecklich, die Tumulte. In England ist es noch relativ ruhig, aber ich rechne jeden Augenblick mit einem Regierungswechsel.

Der gute alte Premierminister hat es noch nicht kapiert. Er glaubt, die größte Sorge sei die Einführung des Euro. Die gynäkologische Seite in dem ganzen Kuddelmuddel ist ihm zuwider. Wie geht es Mr. Dicken? Und Ms. Lang?«

»Gut«, sagte Mitch. Er wollte nicht viel reden, bevor er nicht wusste, in was er hier hineingezogen wurde. Merton gefiel ihm ganz gut — er fand ihn interessant, traute ihm aber absolut nicht über den Weg. Vor allem hatte er Vorbehalte, weil der Mann offenbar eine Menge über sein Privatleben wusste.

Daneys Landsitz, ein dreistöckiger, halbkreisförmiger Bau aus grauem Stein, lag am Ende einer ziegelgepflasterten Auffahrt, die von vollendet gepflegten Rasenflächen flankiert wurde, die wie Golfanlagen wirkten. Einige Gärtner waren mit Heckenschneiden beschäftigt. Eine ältere Frau mit Reithosen und breitem, ausgefranstem Strohhut winkte ihnen zu, als Merton vorüberfuhr.

»Mrs. Daney, die Mutter unseres Gastgebers«, erklärte der Journalist und winkte zurück. »Wohnt im Gärtnerhaus. Nette alte Dame. Kommt nicht oft in die Gemächer ihres Sohnes.«

Merton hielt vor den braunen Sandsteinstufen, die zu der riesigen, zweiflügeligen Eingangstür führten.

»Alle da«, sagte er. »Sie, ich, Daney und Herr Professor Friedrich Brock, früher Universität Innsbruck.«

»Brock?«

»Ja.« Merton lächelte. »Er sagt, Sie seien sich schon einmal begegnet.«

»Stimmt«, erwiderte Mitch. »Ein Mal.«

Der Eingang des Landhauses führte in eine riesige, düstere, mit dunklem Holz getäfelte Halle. Durch ein Oberlicht fielen drei parallele Sonnenstrahlen auf den altersdunklen Kalksteinboden und ließen eine riesige chinesische Porzellanvase aufleuchten, aus deren Mitte ein runder, von einer Halbkugel aus Blumen gekrönter Tisch erwuchs. Im Schatten neben dem Tisch stand ein Mann.

»William, das ist Mitch Rafelson«, sagte Merton, griff nach Mitchs Ellenbogen und führte ihn weiter.

Der Mann im Schatten streckte die Hand in einen der Sonnenstrahlen; an seinen dicken, kräftigen Fingern glänzten drei goldene Ringe. Mitch schüttelte die Hand herzhaft. Daney war Anfang fünfzig, sonnengebräunt und hatte gelblichweißes Haar, das aus einer Wagnerschen Stirn zurückwich. Seine kleinen, vollkommen geformten Lippen schienen immer zu einem Lächeln aufgelegt, die Augen waren dunkelbraun, die Wangen glatt wie bei einem Baby.

Seine Schultern wirkten durch ein wattiertes Jackett breiter als sie eigentlich waren, aber die Arme sahen muskulös aus.

»Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen«, sagte Daney. »Wissen Sie, ich hätte Ihren Freunden die Mumien abgekauft, wenn man sie mir angeboten hätte. Und dann hätte ich sie nach Innsbruck geschickt und denen dort überlassen. Das habe ich auch Herrn Professor Brock gesagt, und er hat mir Absolution erteilt.«

Mitch lächelte höflich. Er sollte hier also mit Brock zusammentreffen.

»William sammelt eigentlich gar keine echten Überreste von Menschen«, sagte Merton.

»Ich gebe mich mit Kopien, Abgüssen und Skulpturen zufrieden«, fügte Daney hinzu. »Ich bin kein Wissenschaftler, sondern nur Liebhaber, aber ich möchte die Vergangenheit ehren, indem ich sie zu verstehen versuche.«

»Also auf in die Ruhmeshalle der Menschheit«, sagte Merton mit einer gezierten Handbewegung. Daney warf stolz den Kopf zurück und ging voraus.

Die Eingangshalle führte in einen ehemaligen Ballsaal im Ostflügel des Gebäudes. Was Mitch hier sah, kannte er bisher nur aus Museen: Reihen mit Dutzenden von Glasvitrinen, die durch teppichbedeckte Gänge getrennt waren. Jede Vitrine enthielt Abgüsse und Kopien von bedeutsamen anthropologischen Funden. Australopithecus afarensis und robustus; Homo habilis und erectus. Mitch zählte sechzehn unterschiedliche Neandertalerskelette, alle professionell aufgebaut; bei sechs Skeletten hatte man das Aussehen der Individuen mit Hilfe von Wachs rekonstruiert. Nirgendwo war der Versuch unternommen worden, aus Schamgefühl etwas zu verfälschen: Sämtliche Modelle waren nackt und unbehaart, was Spekulationen über Kleidung und Haarwuchs von vornherein ausschloss.

Reihe um Reihe mit haarlosen Affen, angestrahlt durch elegante, respektvoll abgedämpfte Scheinwerfer, starrte Mitch mit leerem Blick an, als er daran vorüberging.

»Unglaublich«, bemerkte er ein wenig verlegen. »Warum habe ich noch nie von Ihnen gehört, Mr. Daney?«

»Ich habe nur zu wenigen Leuten Kontakt. Zur Familie Leakey, zu Björn Kurten und noch ein paar anderen. Zu meinen engen Freunden. Ich weiß, ich bin ein Exzentriker, aber ich hänge es nicht gern an die große Glocke.«

»Jetzt gehören Sie zu den Auserwählten«, sagte Merton zu Mitch.

»Professor Brock ist in der Bibliothek.« Daney zeigte ihnen den Weg. Mitch wäre gern noch länger in dem Saal geblieben.

Es waren ausgezeichnete Wachsfiguren, und die Reproduktionen der Funde waren erstklassig, vom Original kaum zu unterscheiden.

»Nein, ich bin schon hier. Ich konnte es nicht erwarten.« Brock kam hinter einer Vitrine hervor. »Ich glaube, wir kennen uns, Dr. Rafelson. Und haben wir nicht gemeinsame Bekannte?«

Unter Daneys strahlendem, beifällig beobachtendem Blick gaben Brock und Mitch einander die Hand. Sie gingen ein paar Dutzend Meter weiter in die benachbarte Bibliothek, die wie ein Musterbeispiel edwardianischer Eleganz wirkte: drei Stockwerke mit Galerien, von Geländern gesäumt und durch zwei schmiedeeiserne Brücken verbunden. Beiderseits des einzigen hohen, nach Norden gehenden Fensters hingen riesige Gemälde, dramatische Stimmungsbilder des YosemiteTals und der Alpen.

Sie setzten sich um einen großen, niedrigen Tisch, der die Mitte des Raumes einnahm. »Als Allererstes habe ich eine Frage«, sagte Brock. »Träumen Sie eigentlich von ihnen, Dr. Rafelson? Bei mir ist das nämlich der Fall, und zwar oft.«

Daney servierte selbst den Kaffee, den eine stämmige, trübsinnig wirkende Frau im schwarzen Kostüm in die Bibliothek gerollt hatte. Er schenkte jedem in eine Tasse aus FloraDanicaPorzellan ein — das Dekor des Services, gemalt nach wissenschaftlichen Zeichnungen des neunzehnten Jahrhunderts, zeigte mikroskopisch kleine, in Dänemark heimische Pflanzen. Mitch betrachtete seine Untertasse, die mit drei wunderschön ausgeführten Dinoflagellaten verziert war, und fragte sich, was er wohl tun würde, wenn er so viel Geld hätte, dass er unmöglich alles ausgeben konnte.