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»Die progressiveren Evolutionsbiologen«, erwiderte Merton und runzelte die Stirn, als sei das ein Widerspruch in sich. »Zurzeit beschränkt sich die Auswahl da auf Molekularbiologen und ein paar ausgesuchte Paläontologen wie Jay Niles.«

»Ich kenne nur konservative Kollegen«, sagte Brock. »In Innsbruck habe ich mit den falschen Leuten Kaffee getrunken.«

»Wir brauchen ein wissenschaftliches Fundament«, sagte Mitch.

»Eine Sperrminorität aus angesehenen Fachleuten.«

»Das kann Wochen oder sogar Monate dauern«, erwiderte Merton. »Immerhin steht für alle die Karriere auf dem Spiel.«

»Wie wäre es, wenn wir mehr Geld in die privatwirtschaftliche Forschung stecken?«, fragte Daney.

»An der Stelle könnte Mr. Daney hilfreich sein«, sagte Merton und blickte unter seinen buschigen roten Augenbrauen zu ihrem Gastgeber auf. »Sie haben die Mittel, um eine hochkarätig besetzte Konferenz einzuberufen, und genau die brauchen wir jetzt. Um ein Gegengewicht zu den öffentlichen Verlautbarungen der Taskforce zu schaffen.«

Daneys Miene verdüsterte sich. »Wie viel würde das kosten?.

Hunderttausende? Millionen vielleicht?«

»Eher Ersteres als Letzteres, nehme ich an«, erwiderte Merton mit unterdrücktem Lachen.

Daney sah ihn besorgt an. »Bei so viel Geld muss ich meine Mutter fragen«, erklärte er.

59

National Institutes of Health, Bethesda

»Ich lasse sie gehen«, sagte Dr. Lipton und setzte sich an ihren Schreibtisch. »Ich lasse sie alle gehen. Der Forschungsleiter der Klinik sagt, wir hätten genügend Erkenntnisse, um die Patienteninformationen zusammenzustellen und mit den Versuchen aufzuhören.«

Kaye starrte sie wie vor den Kopf gestoßen an. »Sie entlassen sie … einfach so aus der Klinik und schicken sie nach Hause?«

Lipton nickte. In ihren Wangen bildeten sich kleine Grübchen.

»Es war nicht meine Entscheidung, Kaye, aber ich musste mich fügen. Die Grenzen der Ethik waren überschritten.«

»Und was ist, wenn sie zu Hause Hilfe brauchen?«

Lipton blickte auf die Schreibtischplatte. »Wir haben ihnen mitgeteilt, dass ihre Kinder mit schweren Fehlbildungen zur Welt kommen und wahrscheinlich nicht überleben werden. Wir haben sie zur ambulanten Behandlung an ihre Heimatkrankenhäuser überwiesen. Wir kommen für alle ihre Kosten auf, auch wenn es Komplikationen gibt. Vor allem, wenn es Komplikationen gibt.

Alle befinden sich in der Wirksamkeitsphase.«

»Sie nehmen RU-486?«

»Das ist ihre eigene Entscheidung.«

»So etwas ist nicht üblich, Denise.«

»Ich weiß. Sechs Frauen haben darum gebeten. Sie wollten abtreiben. Wenn es so weit ist, können wir nicht weitermachen.«

»Haben Sie ihnen gesagt …?«

»Kaye, die Vorschriften sind eindeutig. Wenn das Kind nach unserer Beurteilung das Leben der Mutter gefährdet, verschaffen wir ihr die Möglichkeit zum Abbruch. Ich unterstütze sie in ihrer Entscheidungsfreiheit.«

»Natürlich, Denise, aber …« Kaye drehte sich um, betrachtete das vertraute Büro, die Diagramme an den Wänden, die Bilder von Feten in verschiedenen Entwicklungsstadien. »Ich kann es einfach nicht glauben.«

»Augustine hat uns gebeten, die Gabe von RU-486 so lange hinauszuschieben, bis man sich auf ein einheitliches Verfahren geeinigt hat. Aber hier hat der Forschungsleiter der Klinik das Sagen.«

»Na gut«, erwiderte Kaye. »Wer hat denn nicht um das Medikament gebeten?«

»Luella Hamilton«, sagte Lipton. »Sie hat es mitgenommen und versprochen, sich regelmäßig von ihrem Frauenarzt untersuchen zu lassen, aber sie hat es nicht unter unserer Aufsicht geschluckt.«

»Dann ist also alles vorbei?«

»Wir haben die Finger nicht mehr im Spiel«, sagte Lipton leise.

»Wir hatten keine andere Wahl. Ethisch, politisch, so oder so hätten wir Prügel bezogen. Wir haben uns für die Ethik und die Unterstützung der Patientinnen entschieden. Aber wenn es heute geschehen würde … Wir haben neue Anweisungen vom Gesundheitsministerium. Keine Empfehlung zum Schwangerschaftsabbruch und keine Abgabe von RU-486. Wir haben uns kurz vor Toresschluss aus der Sache mit den Babys verabschiedet.«

»Ich habe von Mrs. Hamilton weder die Heimatadresse noch die Telefonnummer«, sagte Kaye.

»Die werden Sie von mir auch nicht bekommen. Sie hat ein Recht auf Privatsphäre.« Lipton starrte sie an. »Stellen Sie sich nicht außerhalb des Systems, Kaye.«

»Ich glaube, das System wird mich jeden Augenblick rauswerfen«, erwiderte sie. »Danke, Denise.«

60

Staat New York

Im Zug nach Albany, im muffigen Geruch von anderen Fahrgästen, sonnendurchwärmtem Polsterstoff, Desinfektionsmitteln und Plastik, ließ Mitch sich in seinen Sitz fallen. Ihm war, als käme er gerade aus einer anderen Welt. Die Begeisterung, mit der Daney einen »neuen Menschen« in seine Familie holen wollte, faszinierte ihn und erfüllte ihn zugleich mit Angst. Die Menschheit war mittlerweile so gehirnbetont und hatte so viel Kontrolle über ihre biologische Entwicklung übernommen, dass sie diese unerwartete, uralte Form der Fortpflanzung, der Schaffung neuer Spielarten einer Spezies, entweder im Keim ersticken oder aber sich daran wie an einer Art Spiel beteiligen konnte.

Er blickte aus dem Fenster auf kleine Ortschaften, Wälder mit jungen Bäumen und größere Städtchen mit grauen Lagerhäusern und Fabriken — langweilig, schmutzig und produktiv.

61

AmericolZentrale, Baltimore

Kay griff nach den Artikeln, die sie über MedLine bestellt hatte — acht verschiedene Aufsätze in je zwanzig Exemplaren, alle fein säuberlich zusammengeheftet. Während sie in den Aufzug stieg, schüttelte sie den Kopf und überflog eines der Konvolute.

In der zehnten Etage brauchte sie noch einmal fünf Minuten, um die verschiedenen Sicherheitskontrollen zu passieren. Wachleute wedelten mit Detektoren, überprüften ihren Firmenausweis und fuhren mit Gasspürgeräten über ihre Hände und Handtasche.

Schließlich bat der Personenschutzleiter des Vizepräsidenten jemanden aus dem Vorstandskasino, für sie zu bürgen. Dicken kam heraus und versicherte, sie persönlich zu kennen, sodass sie eine Viertelstunde nach Beginn der Besprechung das Restaurant betreten konnte.

»Sie kommen zu spät«, flüsterte Dicken.

»Ich habe im Stau gesteckt. Wissen Sie schon, dass man die Sonderstudie eingestellt hat?«

Dicken nickte. »Jetzt zieren sich alle, und niemand will Zugeständnisse machen. Niemand will für irgendetwas die Schuld zugeschoben bekommen.«

Ziemlich weit vorn sah Kaye den Vizepräsidenten und neben ihm den wissenschaftlichen Berater sitzen. Im Raum waren mindestens vier Sicherheitsleute — sie war froh, dass Benson draußen geblieben war.

Auf einem Tisch auf der Rückseite des Raumes waren alkoholfreie Getränke, Obst, Käse und Gemüse aufgebaut, aber niemand aß etwas. Der Vizepräsident hielt eine PepsiDose umklammert.

Als Dicken mit Kaye zu ihrem Klappstuhl auf der linken Seite des Raumes ging, beendete Frank Shawbeck gerade eine kurze Zusammenfassung über die Befunde der NIHStudien.

»Das hat nur fünf Minuten gedauert«, flüsterte Dicken in Kayes Ohr.

Shawbeck raffte seine Papiere auf dem Rednerpult zusammen und trat zur Seite. Als Nächster war Mark Augustine dran. Er stützte sich auf das Pult.

»Dr. Lang ist jetzt hier«, sagte er ausdruckslos. »Wenden wir uns nun den gesellschaftlichen Fragen zu. Wir hatten mittlerweile zwölf größere Unruhen quer durch die Vereinigten Staaten. Die meisten davon wurden offensichtlich durch die Ankündigung ausgelöst, wir würden RU-486 kostenlos abgeben. Derartige Pläne wurden bisher nicht vollständig ausgearbeitet, aber sie sind natürlich in der Diskussion.«