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Als sie begann, lehnte auch Löwenzahn sich zurück und hörte schweigend zu.

»Nun, nun«, setzte sie wieder an den Anfang, »es heißt, einige Tage, nachdem Siegfried von Xanten dem Geschlecht der Nibelungen den Garaus machte, kam er an eine mächtige Klippe über dem Rhein. Dort, so erfuhr er von einem verängstigten Köhler, hauste ein mächtiger Drache, ein Lindwurm, größer als alle, die bislang das Antlitz der Welt beschmutzten.«

»Aber die Lindwürmer sind ausgestorben«, stieß Löwenzahn hervor. »Seit Monaten schon suche ich einen, um ihm den Schädel zu spalten.«

»Du bist auf der Suche nach Heldentaten, Dummkopf?« fragte Mütterchen verächtlich. »Dann solltest du wissen, daß es lange schon Gerüchte gab, ein einziger Lindwurm, der letzte, lebe irgendwo in diesen Landen. Viel wurde davon gemunkelt, und so wie es aussieht, hat der Xantener ihn gefunden. Auf einer weiten Heide, hoch über dem Rhein, da soll er hausen, so hieß es, und -«

Wieder war es Mütterchen nicht vergönnt, ihr Garn zu Ende zu spinnen. Denn nun ertönte von draußen eine Stimme. Heftige Flüche drangen durch die Tür, schlimmer als alle, die Obbo bislang vernommen hatte. Dabei war er stolz auf jene, die er kannte, kam einem Wirt doch mancher Schimpf zu Ohren.

Die Tür flog auf, und herein kam Alberich.

»Wo sind meine Eier-im-Schmalz? Wo sind sie, Obbo

Der Wirt rutschte vor Schreck vom Hocker. Mit eingezogenem Kopf landete er auf dem Hinterteil am Boden, inmitten der Sägespäne, die überall die Bohlen bedeckten. Die Beine lang ausgestreckt, hockte er da und bemühte sich, dem lodernden Zorn des Zwerges zu entgehen.

»Sie sind... sie sind...«

»Was sind sie?« grollte der Horthüter.

»Sie... sie...«

»Was?«

»Nicht fertig.« Schützend schlug Obbo die Arme vors Gesicht.

Alberich stand da, gerüstet mit goldenem Helm und goldener Brünne, in seiner Hand eine goldene Geißel. Daran baumelten sieben Stachelkugeln, gleichfalls vergoldet. Er war klein, wie es so Sache der Zwerge ist, und selbst Obbo, der ja am Boden saß, mußte nicht zu ihm aufschauen; vielmehr befanden sich ihre Augen auf gleicher Höhe. Alberichs Gesicht war so faltig wie ein Bratapfel, seine Augen groß und schwarz, die Nase gewaltig. Ein eisgrauer Bart reichte ihm bis hinab zum Bauchnabel. Gewöhnlich trug er braune Gewänder und einen riesigen Hut mit breiter Krempe. Weshalb er sich heute in Rüstmontur geworfen hatte, wußte Obbo nicht. Er würde doch wegen ein paar Eiern kaum mit der Geißel auf ihn einschlagen?

Die breiten Nasenflügel des Horthüters zitterten, als sie sich mühten, den Duft gebratener Eier einzufangen. Doch da war nichts dergleichen. Nur Mütterchens Pfeifenrauch und der Gestank von verlaustem Fell.

»Nicht... fertig?« Die Erkenntnis traf Alberich wie ein Schlag. Sein Gesicht färbte sich rot.

Obbo versuchte, die Katastrophe abzuwenden. »Nicht ganz.« Und geschwind sprang er auf, eilte in die Küche, fort aus dem Blickfeld des zürnenden Zwerges, und befühlte die Bratplatte. Prompt verbrannte er sich die Fingerkuppen und sprang fluchend im Kreis. Dann erst kippte er die Eier über das zerlaufene Schmalz. Es zischte.

»Obbo!« schrie es von draußen.

Zu seiner Überraschung war es nicht Alberich, der seinen Namen rief. Statt seiner war es Mütterchen Mitternacht.

Zögernd näherte er sich der Küchentür, blickte zaghaft hinterm Rahmen hervor. »Ja, bitte?«

Der Anblick hätte ihn nicht unvermuteter treffen können.

Alberich lag zusammengesunken am Boden, kaum mehr bei Besinnung. Mütterchen kniete neben ihm und hielt seinen Kopf. Mit den Fingern träufelte sie Bier aus Löwenzahns Humpen auf die farblosen Lippen des Zwerges. Der Krieger stand dabei und beobachtete das Schauspiel halb mitfühlend, halb blöde. Er war wohl lange nicht so kampflustig, wie er tat.

»Bring kaltes Wasser!« rief Mütterchen, ohne in Obbos Richtung zu blicken. »Und irgendwas zu essen! Der kleine Mann ist halb verhungert.«

Halb verhungert? Alberich?

Obbo holte Wasser und einen Kanten Brot und brachte beides in den Schankraum. Wenig später war der Zwerg wieder klar genug, um die drei Gestalten zu erkennen, die sich über ihn beugten. Und er sah auch die schrägstehenden Augen des Riesen.

»Ein Hunne!« entfuhr es ihm, doch er war zu schwach, um sich zu erheben und den Fremden anzugreifen.

Der Krieger grinste und entblößte seine Zahnlücke. »Löwenzahn zu Euren Diensten, Herr Horthüter.«

»Zu meinen Diensten

»Ich bin hier, um Euch beizustehen.«

Alberich riß die Augen auf, als müßte er abermals in Ohnmacht fallen. »Wie das?«

Obbo wunderte sich, wie ruhig der Zwerg blieb. Er verabscheute Hilfe jeglicher Art, fast so sehr wie Hunnen. Daß er Löwenzahn nicht gleich an die Kehle ging, konnte nur an seiner üblen Verfassung liegen.

»Man hört weithin vom Schicksal der Fürsten Nibelung und Schilbung«, erklärte der Riese mit schwerer Zunge; es klang ein wenig, als lalle er im Suff. »Überall erzählt man sich, wie die Fürsten den Helden Siegfried baten, das Erbe ihres Vaters für sie aufzuteilen. Der Xantener aber erschlug sie beide und ihre Männer noch dazu und erhob eigens Anspruch auf den Schatz. Es heißt, er habe Euch, Herr Horthüter, im Kampf besiegt und Euch die Tarnkappe entrissen.«

Alberichs Miene wurde noch verkniffener, als sie von Natur aus war. »Das erzählt man sich? Von Alberich, dem Verlierer?«

»Nein«, widersprach Löwenzahn erstaunlich flink. »Nicht vom Verlierer, sondern von Alberich dem Tapferen, der den Listen des Xanteners unterlag. Es heißt, ohne Tarnkappe werde es Euch schwerfallen, den unermeßlichen Hort der Nibelungen zu bewachen. Deshalb bin ich hier, um mit Euch neue Heldentaten zu vollbringen.«

Mütterchen Mitternacht lachte krächzend auf. »Du willst dich in die Lieder einschleichen, die man über Alberich Horthüter singt.«

»Ich will meinen Platz darin verdienen, alte Vettel.«

»Wer gab dir diesen dämlichen Namen, Hunne?« fragte Alberich und setzte sich auf. Noch immer machte er keine Anstalten, den Riesen zu erschlagen.

Ehe jener antworten konnte, erklärte Mütterchen schnippisch: »Stark und tödlich wie der Zahn eines Löwen. Hah!«

»Was ist daran so lustig, Weib?« grollte der Krieger.

Obbo wollte es ihm erklären, ihm gar einen Löwenzahn aus dem Garten pflücken, doch Alberich ging dazwischen.

»Ich will deine Hilfe nicht, Hunne. Alberich braucht niemandes Hilfe.«

»Vielleicht doch.«

Der Blick des Zwerges wurde lauernd. »Wie meinst du das?«

»Es heißt, Räuber aus dem ganzen Land seien unterwegs hierher, um den Hort zu gewinnen.«

Alberich schnaubte. »Sie werden sich am Horthüter die Zähne ausbeißen.«

Jetzt war es Mütterchen, die sagte: »Mit Verlaub, mein Freund, aber im Augenblick siehst du aus, als könnte sogar Obbo dir mit der Bratpfanne eins überziehen.«

Alberich ballte die Faust vorm Gesicht des verdutzten Wirtes. »Soll er’s doch versuchen!«

»Aber ich wollte doch gar nicht...« stammelte Obbo, ehe Mütterchen dazwischenging.

»Gemach, Alberich Horthüter. Es ist nicht Obbos Pfanne, die du zu fürchten hast.«

»Nichts fürchte ich!« schimpfte der Zwerg erregt. »Nichts auf der Welt!«

»Ja, ja«, besänftigte ihn Mütterchen. »Sag’ uns lieber, was dich so geschwächt hat.«

»Der Hunger«, entgegnete der grimmige Zwerg. »Hab’ seit Wochen nichts gegessen.«

»Gold kaut sich wohl schlecht«, bemerkte die Räuberin.

»In der Tat«, brummte Alberich durch seinen Bart. »Mußte achtgeben, daß keine Räuber und Hunnen meine Schätze stehlen.«

Mütterchen und Löwenzahn wechselten vielsagende Blicke.

»Hatte keine Zeit zum Essen«, fuhr der Zwerg fort. »Mußte Ausschau halten nach Feinden vorm Tor des Hohlen Berges. Erst heute ging es nicht mehr anders, ich mußte kommen und gebratene Eier essen.« Dabei zitterten seine empfindlichen Nasenflügel erneut. Auch die anderen bemerkten jetzt den Geruch nach Verbranntem.