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Obbo schluckte, sein Kopf ruckte hoch. »Herrgott, die Eier!« Er rannte los, stolperte über einen Hocker, fing sich gerade noch und verschwand in der Küche.

Ein Blick auf den Bratstein zeigte, daß er zu spät kam. Die Eier waren restlos verkohlt. Ein weiteres erstes Mal an diesem Tag. Fluchend machte er sich daran, die Überreste vom Stein zu schaben und neue Eier aufzuschlagen.

Derweil wurde Alberich von Mütterchen und Löwenzahn auf einen Hocker gehievt. Die goldene Rüstung wog schwer, aber er weigerte sich strikt, sie abzulegen. Beide entdeckten den großen Schlüssel, der unter der Brünne an einer Kette um seinen Hals hing.

Alberich bemerkte ihre Blicke. »Der Schlüssel zum Tor. Wer sich daran vergreift, der stirbt tausend Tode.«

»Niemand wird sich an deinem Schlüssel vergreifen«, besänftigte ihn Mütterchen.

»Das will ich hoffen.«

»Dann ist der Berg jetzt unbewacht?« fragte Löwenzahn.

»Unbewacht?« schrie der Zwerg im Zorn. »Warum willst du das wissen? Tausend Feuerdrachen hüten das Gold.«

»O ja, natürlich«, seufzte Mütterchen.

Obbo kehrte zurück. »Neue Eier sind unterwegs.«

Seine drei Gäste murmelten Flüche, denn allen knurrte der Magen, am allermeisten Alberich.

»Womit willst du die Eier bezahlen?« fragte Obbo den Zwerg, weil es seine Pflicht als Wirt war.

»Mit Gold, wie immer«, keifte Alberich zurück. Der Horthüter hatte in all den Jahrzehnten nicht eine einzige Geschichte erzählt. Abgesehen von seinen Schimpftiraden sprach er überhaupt nicht viel.

»Was ist nun?« erkundigte sich Löwenzahn. »Nehmt Ihr mich als Kampfgefährten an, Herr Horthüter?«

»Pah«, schnauzte Alberich. »Geh’ von mir aus zum Teufel, Hunne.«

»Ihr habt ein vorlautes Mundwerk, Zwergling.«

Alberich starrte ihn mit offenem Mund an. Kein Zwerg schätzt es, wenn man ihn »Zwergling« nennt. Aber den edlen Alberich mußte ein solches Wort besonders treffen.

»Wenn ich nicht so hungrig wäre, würde ich dir die Frechheiten austreiben!«

»Es wäre wenig heldenhaft, den großen Alberich mit leerem Magen zu erschlagen«, entgegnete Löwenzahn schulterzuckend. Manchmal war er schlagfertiger, als sein tumber Gesichtsausdruck und die lallende Sprache vermuten ließen.

Obbo unterbrach den Streit, als er drei Holzschüsseln in den Schankraum balancierte. Er stellte sie vor den drei Gästen ab und legte Alberichs Goldgeißel in die Waffentruhe.

Alle fielen mit Heißhunger über ihre Eier-im-Schmalz her, bestellten mehr Bier und vergaßen für eine Weile ihren Zank. Auch Obbo setzte sich schließlich dazu, aß selbst ein wenig Ei und genehmigte sich einen halbvollen Krug.

Löwenzahn wandte sich an Alberich. »Warum hat Siegfried dich eigentlich erst besiegt und dann doch wieder zum Horthüter ernannt?« fragte er kauend und verzichtete fortan auf die Anrede »Ihr«.

»Damit ich allen Hunnen den Schädel einschlage«, raunzte der Zwerg.

Mütterchen wischte sich Bierschaum vom Mund. »Im Ernst, Alberich. Wieso nahm er dir die Tarnkappe und trug dir trotzdem auf, auch in Zukunft den Schatz zu bewachen?«

»Weil ich der einzige bin, der sich in den Schatzkammern und Hallen im Hohlen Berg auskennt. Der verfluchte Xantener würde sich verlaufen und bis ans Ende seiner Tage durch den Berg kriechen, würde ich ihn nicht führen.«

»Dann sollte es dir nicht schwerfallen, ihn loszuwerden, wenn er zurückkehrt.«

Wütend blinzelte Alberich sie an. »Es betrügt sich schlecht, wenn man eine Klinge am Hals spürt.«

»Das muß allerdings schmerzlich für dich gewesen sein, Zwergling«, bemerkte Löwenzahn grinsend. »Wahrscheinlich hat er dich hochgehoben, du hast mit den Beinen gestrampelt und dich -«

»Schluß damit!« Alberich sah aus, als wolle er ihm seinen Holzlöffel - oder Schlimmeres - um die Ohren hauen. »Ich lasse mich nicht von einem stinkenden Hunnen beleidigen.«

»Ich kam als Bittsteller, und du hast mich beleidigt«, erinnerte ihn Löwenzahn.

Obbo fühlte sich einmal mehr in die Rolle des Schlichters gedrängt. »Was haltet ihr davon, wenn Mütterchen uns endlich ihre Geschichte erzählt?«

Löwenzahn hob seinen Krug und prostete in die Runde. »Ein Hoch auf die Kunst des Geschichtenerzählens.«

»Es geht um Siegfried«, warnte Mütterchen und sah dabei Alberich an.

Der knallte die Faust auf den Tisch. »Der Verfluchte!«

»Ein Held«, widersprach Löwenzahn, »ohne Zweifel. Er nahm es mit einem Drachen auf.«

»So, tat er das?« tobte der Zwerg. »Kein Wunder, mit meiner Tarnkappe. Auch ein Drache besiegt keinen Unsichtbaren.«

»Er hat sie nicht benutzt«, sagte Mütterchen. »Er hat das Untier allein mit dem Schwert bezwungen.«

»Zweifellos eine Lüge.«

»Ein Held ist er trotzdem.« Löwenzahn hob abermals den Krug und prostete ins Leere, als stünde der unsichtbare Siegfried neben ihm. »Soviel Respekt muß sein.«

»Auch ich bin ein Held!« zeterte Alberich.

»Ohne die Magie der Tarnkappe scheinst du mir ein gewöhnlicher Zwergling zu sein.«

»Ich zeig’ dir, wer ein Zwergling -«

Mütterchen hielt Alberich zurück und drückte ihn mit erstaunlicher Kraft auf seinen Hocker. »Warte ab, alter Freund. Höre meine Geschichte, und es mag sich ein Weg aufzeigen, wie du neue Magie gewinnen kannst, um deinen Hort zu hüten.«

»Neue Magie?« fragte er zweifelnd. »Ist das dein Ernst?«

»Allerdings.«

Alberich klammerte beide Hände um seinen Bierkrug und starrte verkniffen in den Schaum. »Dann laß hören...«

Endlich! dachte Obbo.

Mütterchen Mitternacht nahm einen heftigen Zug aus ihrem Humpen, dann sagte sie: »Nun, nun.« Obbo rückte sich auf seinem Hocker zurecht.

Die Räuberin schloß dort an, wo sie durch Alberichs Ankunft unterbrochen worden war. »Von einem Köhler also erfuhr der Xantener vom entsetzlichen Lindwurm, der hoch über dem Rhein auf seine Opfer lauert. Jeden Tag, so erzählte der verstörte Mann dem Recken, wälze sich das Untier aus seiner Höhle und liege auf einer hohen Klippe. Von dort aus strecke es sein Maul in die Fluten, um zu trinken.«

»Ich hörte, sie trinken nur flüssiges Gestein aus dem Glutschlund der Erde«, warf Löwenzahn ein.

»Dummes Geschwätz«, fuhr Mütterchen ihm über den Mund. »Das sind Ammenmärchen. Aber unterbrich mich nicht noch einmal.«

Löwenzahn schnitt eine Grimasse und schwieg fortan.

Mütterchen paffte einen gewaltigen Rauchring, der eine Weile über ihrem Kopf schwebte und schließlich zerstob. »Am frühen Morgen ritt Siegfried den Berg hinauf. Unweit der Klippe ließ er sein Pferd zurück, band es aber nicht fest, damit es entkommen konnte, falls ihm selbst etwas zustieße. Er erklomm den letzten Felswall und betrat die verfluchte Heide, die den oberen Teil der Klippe bedeckt. Schon von weitem sah er den schwarzen Rauch, der aus einem gewaltigen Höhlenloch aufstieg, denn darin lag der Drache und schlief. Siegfried entdeckte auch die breite Spur, die das Untier durch die Heide gezogen hatte, verriet sie doch den Weg, den der Lindwurm allmorgendlich zur Tränke nahm.

Der Xantener faßte sogleich einen kühnen Plan. In Windeseile grub er mit seinen übermenschlichen Kräften ein tiefes Loch, mitten in die Wälzspur des Drachen. Er hockte sich hinein, das mächtige Schwert Balmung im Anschlag, bereit, es dem Untier ins Herz zu stoßen, so es denn über die Grube hinwegkroch.«

»Balmung, der Nibelungenschlächter«, flüsterte Alberich tonlos.

Mütterchen nickte. »Siegfried mußte nicht lange warten. Bald schon kroch der stinkende Wurm nach dem Wasser, und ein furchtbares Erdbeben hob an, so daß Siegfried fürchtete, die Grube würde zusammenstürzen und ihn lebendig begraben. Das Untier spie Feuer und Gift vor sich her, ohne den Feind zu bemerken. Schon wälzte sich sein Schuppenleib über das Loch hinweg, da rammte der Recke die Klinge nach oben und grub sie tief in die Eingeweide der Bestie. Der Drache wälzte sich im Todeskampf, und immer mehr Blut pumpte aus seinem Körper in das Versteck seines Gegners. Es gelang Siegfried gerade noch, das Loch zu verlassen, ehe das Untier sich abermals darüber wälzen und ihn zermalmen konnte. Schwanz und Schädel schlugen wild in alle Richtungen, die riesigen Kiefer schnappten ins Leere.