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»Darauf kannst du wetten«, erwiderte sie krächzend und zog ihre Decke enger um die knorrigen Schultern. »Ach, was das für Zeiten waren, als die Reichen vor Mütterchen Mitternacht erbebten und der Kampfschrei der meinen die Wälder zum Lodern brachte. Nichts geht über das Räuberdasein und die -«

Alberich unterbrach sie mit einem lauten Hüsteln. »Du hast das Ende deines Liedes vergessen, Mütterchen. Warum verschweigst du uns, wie es Räuber Rohland an den Kragen ging?«

»Weil’s keine Rolle spielt«, gab sie barsch zurück.

»Dann laß mich die letzten Strophen für dich singen«, sagte Alberich, und zu Löwenzahns und Mütterchens Überraschung sang er mit klarer, schöner Stimme:

Gute Obrigkeiten dachten

Auf geschickte Pläne nun,

Einhalt diesem Räuberwesen,

Dieser Mörderbrut zu tun.

Und es wurden wackre Truppen

Sie zu fangen ausgesandt.

Aber keiner von der Bande

Kam in dieser Helden Hand.

Endlich drangen tapfre Recken

Tief in einem stillen Tal

Auf die Räuber ein, es fielen

Hundert Krieger an der Zahl.

Bald auch fiel die Räuberrotte

In dem wilden Kampfgewühl.

Rohland mit zehn Schandgesellen

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Tief im Kerker und in Ketten

Warteten der Strafe sie,

Die schon bald sie dann erlitten.

Mensch, vergiß dies Beispiel nie!

Als Alberich geendet hatte, rief Mütterchen aus: »Papperlapapp! Nichts sagt das aus über die Herrlichkeit der Räuberei, über die Schönheit des freien Lebens in den Wäldern, über die Freude, von anderen zu nehmen und sich selbst daran zu berauschen.«

Löwenzahn zwinkerte Alberich zu. »Mir scheint, wir sollten unsere Reisegefährten sorgsamer wählen.«

Mütterchen kicherte. »Ich bin alt geworden, viel zu alt, um eine gute Räuberin zu sein. Manchmal denke ich, es wäre besser gewesen, ein Schwertstreich hätte mich in der Blüte der Jugend niedergestreckt, auf dem Höhepunkt meiner Kraft.«

»Zumindest bliebe uns dein Gejammer erspart«, brummte der Zwerg.

»Mit dir nehme ich es dreimal auf, mein Freund«, entgegnete sie, aber es klang nicht feindselig.

Er lachte auf. »Warst nicht du es, die mir zur Unverwundbarkeit verhelfen wollte?«

»Ein Fehler, ohne Zweifel.«

Sodann legten sie sich frohgemut nieder und schliefen bis zum Morgen.

Sonnenstrahlen glitzerten durchs Blätterdach, als Alberich erwachte. Mütterchen kehrte gerade mit dem Pony vom Fluß zurück, wo sie das Tier hatte trinken lassen.

»Wir sollten ihm einen Namen geben«, sagte sie.

»Dem Pony?«

»Dem Lagerfeuer, Dummkopf. Natürlich dem Pony.«

»Sicherlich hat es schon einen von Obbo bekommen.«

»Er hat ihn uns nicht genannt.«

Alberich seufzte. »Was schlägst du also vor?«

Löwenzahn reckte sich und gähnte. »Wie wär’s mit Siegfried?«

»Sehr passend, wirklich«, gab Alberich zurück.

»Ich dachte an Rohland«, sagte Mütterchen.

»Wie dein Räuber?«

»Ein Mann von Ehre.«

»Wie dies Pony.«

Löwenzahn trat vor das Tier und tätschelte ihm die Mähne. »Was sagst du dazu?«

Mütterchen lächelte. »Es ist einverstanden.«

Alberich warf ihr einen schrägen Blick zu. »Woher willst du das wissen?«

»Ich verstehe, was es sagt.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Aber ja doch«, antwortete sie stolz. »Wenn du dein Leben lang in den Wäldern haust, lernst du solche Dinge.«

»Ich hause mein Leben lang in den Bergen«, knurrte Alberich, »und ich verstehe nicht, was die Steine sich zu sagen haben.«

Mütterchen seufzte betont. »Weil sie nicht reden können, Zwergenhirn. Aber Tiere sprechen. Und manchmal, nur manchmal, kann ich die Bedeutung verstehen. Keinen Wortlaut, aber ich weiß, was sie mir sagen wollen.«

»Und das Pony sagte ›Nenn mich Rohland‹?«

»So ungefähr.«

Löwenzahn schulterte seinen Rucksack und zog die Riemen straff. »Laß ihr doch ihren Willen, Zwergling. Welche Bedeutung hat es, ob das Pony einen Namen hat oder nicht?«

Ehe Alberich sich über die neuerliche Anrede »Zwergling« erregen konnte, stieß das Pony ein empörtes Schnauben aus. Ob es verstanden hatte, was Löwenzahn gesagt hatte, oder ob es ein Zufall war, blieb ungewiß. Mütterchen zumindest schien sicher zu sein, daß die Bemerkung des Riesen das Tier verärgert hatte, und sie schalt ihn heftig für seine Leichtfertigkeit.

Sie brachen auf und folgten weiterhin dem Weg nach Norden. Schon nach kurzer Zeit schlängelte er sich linker Hand bis ans Ufer heran, so daß auf der einen Seite der Rhein floß, die andere von dunklem Gehölz beschattet wurde.

Alle hingen ihren Gedanken nach, bis Löwenzahn sagte: »Habt ihr je von den Nordmännern gehört, die sich vor dem Kampf ihre Bärte anzünden?«

»Wieso sollte jemand das tun?« fragte Alberich zweifelnd und faßte sich gleich an seinen eigenen Bart. Er war sein ganzer Stolz, über viele Jahrzehnte gehegt und gepflegt.

»Um dem Feind Furcht einzujagen«, erklärte der Riese voller Bewunderung. »Mit brennenden Gesichtern stürmen sie auf ihre Gegner ein, und jeder hält sie für Kreaturen aus Hels schwarzen Schlünden.«

»Du bist ein Hunne und glaubst an Hel?« fragte Mütterchen erstaunt.

»Ich sagte dir doch, meine Mutter war eine Frau wie du, aus diesem Land. Sie zog mich auf, nicht mein Vater, und ihr Glaube ist es, dem ich folge. Keinem anderen, auch nicht dem des Christenheilands. Kein Platz ist in seiner Predigt für Krieger wie uns.«

Dem stimmten alle zu. Nach einer Weile fragte Löwenzahn:

»Sag, Alberich, was hat es mit dieser Tarnkappe auf sich, die dein war? Ich hörte nur, daß sie ihren Träger unsichtbar macht.«

Alberich verzog das Gesicht. Der Gedanke an den Diebstahl schmerzte ihn noch immer. »Sie ist ein Teil der alten Zwergenmagie, aus einer Zeit, als die Zwerge noch ein Volk des Nebels waren. Mit dem Nebel dampften sie am Morgen aus Wiesen und Tälern, und in Nebel vermochten sie sich zu verwandeln, wenn Feinde drohten, oder einfach wenn ihnen danach war. Lange schon hat mein Volk diese Fähigkeit verloren, aber die Tarnkappe stammt noch aus jenen alten Tagen. Sie vermag ihren Träger für die Augen anderer in feinen Dunst zu verwandeln, macht ihn vollkommen unsichtbar.« Er schnaubte zornig. »Und nun fiel sie in die Hände des Xanteners, eines Menschen! Durch meine Schuld, noch dazu!« Er wandte den Blick ab, aus Furcht, die anderen könnten die Tränen sehen, die in seinen Augen blitzten. Seine Niederlage hatte den Verlust eines der größten Schätze des alten Zwergenreiches mit sich gebracht. Verluste wie dieser trugen die Schuld, daß die Erinnerung an die Zwerge mehr und mehr aus der Welt verschwand. Irgendwann würden sie völlig vergessen sein, nichts als ein Schemen in der Geschichte, der Stoff von Legenden und Ammenmärchen.

»Gräme dich nicht«, sagte Mütterchen mitfühlend, reichte Löwenzahn die Zügel des Ponys und legte eine Hand auf Alberichs Schulter. »Es ist nicht deine Schuld, daß der Zauber vergeht.«

Der Zwerg starrte betrübt zu Boden. »Kommende Generationen werden Alberich verspotten als denjenigen, der die Magie der Zwerge an einen Menschen verlor. Und sie werden recht haben mit ihrem Urteil.«