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»Ich auch«, sagte Toni leise.

Die Musik setzte ein. Jean Claude blickte Toni an. »Hast du Lust zu tanzen?«

»Aber gern.«

Toni war eine leidenschaftliche Tänzerin, und sobald sie auf der Tanzfläche stand, vergaß sie alles andere. Als kleines Mädchen hatte sie mit ihrem Vater getanzt, und ihre Muter hatte gesagt: »Das Kind ist ein Trampel.«

Jean Claude hielt sie eng an sich geschmiegt. »Du bist eine wunderbare Tänzerin.«

»Danke.« Hast du das gehört, Mutter?

Ich wünschte, es würde ewig so weitergehen, dachte Toni.

Auf dem Rückweg zum Hotel sagte Jean Claude: »Cherie -hast du Lust, auf einen kurzen Schlummertrunk mit zu mir nach Hause zu kommen?«

Toni zögerte. »Nicht heute abend, Jean Claude.«

»Morgen, peut-etre?«

Sie drückte seine Hand. »Morgen.«

Als Rene Picard um drei Uhr morgens mit seinem Streifenwagen die Grande-Allee im Quartier Montcalm entlangfuhr, bemerkte er, daß die Tür eines einstöckigen roten Ziegelhauses weit offenstand. Er hielt an, stieg aus und ging zu der Haustür, um nachzusehen, was da los war. »Bonsoir. Y a-t-il, quel-qu’un?« rief er.

Keine Antwort. Er trat in den Vorsaal und ging dann zu dem großen Salon. »C’est la police. Y a-t-il, quelqu’un?«

Wieder meldete sich niemand. Es war verdächtig still in dem Haus. Streifenpolizist Picard knöpfte seine Pistolentasche auf und ging durch sämtliche Zimmer im Erdgeschoß, wobei er ein ums andere Mal laut nach den Bewohnern rief. Die Stille war geradezu unheimlich. Er kehrte in die Eingangshalle zurück. Von hier aus führte eine elegant geschwungene Treppe ins Obergeschoß. »Allo?« Wieder keine Antwort.

Picard stieg die Treppe hinauf. Oben angelangt, zog er die Pistole. Wieder rief er laut nach den Bewohnern, ehe er den langen Flur entlangging. Vor ihm stand eine Schlafzimmertür einen Spaltbreit offen. Er ging hin, riß sie weit auf und wurde kreidebleich. »Mon Dieu!«

Um fünf Uhr morgens saß Inspektor Paul Cayer in seinem Büro in der Centrale de Police am Story Boulevard, dem aus grauen Steinen und gelben Ziegeln gebauten Polizeipräsidium von Quebec. »Was haben wir vorliegen?« fragte er seinen Mitarbeiter.

»Beim Opfer handelt es sich um einen gewissen Jean Claude Parent«, erwiderte Detective Guy Fontaine. »Die Leiche weist ein gutes Dutzend Stichverletzungen auf. Außerdem wurde er entmannt. Der Coroner meint, daß der Mord vor etwa drei, vier Stunden stattgefunden haben muß. In Parents Jackentasche haben wir eine Rechnung vom Pavillon gefunden. Er hat dort zu Abend gegessen. Wir haben den Besitzer des Restaurants aus dem Bett geklingelt.«

»Und?«

»Monsieur Parent war mit einer gewissen Toni Prescott dort, einer brünetten, sehr attraktiven Frau, die mit englischem Akzent sprach. Der Geschäftsführer von Monsieur Parents Juwelierladen sagt, daß er im Laufe des Tages mit einer Frau, die er als Toni Prescott vorstellte und auf die diese Beschreibung zutrifft, im Geschäft gewesen sei. Er hat ihr einen kostbaren Smaragdring geschenkt. Außerdem glauben wir, daß Monsieur Parent kurz vor seinem Tod mit jemandem Geschlechtsverkehr hatte. Bei der Tatwaffe handelt es sich allem Anschein nach um einen Brieföffner mit stählerner Schneide. Wir haben Fingerabdrücke darauf gefunden. Wir haben sie an unser Labor gegeben und ans FBI geschickt. Im Augenblick warten wir noch auf eine Antwort.«

»Hat man diese Toni Prescott aufgegriffen?«

»Non.«

»Und warum nicht?«

»Wir konnten sie noch nicht ausfindig machen. Wir haben sämtliche Hotels in der Stadt überprüft. Wir haben unsere Akten und die Unterlagen des FBI zu Rate gezogen. Es liegt keine Geburtsurkunde von ihr vor, keine Sozialversicherungsnummer, kein Führerschein.«

»Das ist doch unmöglich! Könnte sie die Stadt verlassen haben?«

Fontaine schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Inspektor. Der Flughafen schließt um Mitternacht. Der letzte Zug ist gestern um siebzehn Uhr fünfunddreißig abgefahren. Der nächste fährt erst heute morgen um sechs Uhr neununddreißig. Wir haben die Personenbeschreibung an den Busbahnhof, die beiden Taxiunternehmen und die Mietwagenfirma weitergegeben.«

»Herrgott noch mal, wir wissen, wie sie heißt, wie sie aussieht, und wir haben ihre Fingerabdrücke. Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.«

Eine Stunde später traf der Bericht des FBI ein. Man hatte die Fingerabdrücke nicht zuordnen können. Außerdem gab es keinerlei Unterlagen über eine Toni Prescott.

8

Fünf Tage nach ihrer Rückkehr aus Quebec bekam Ashley einen Anruf von ihrem Vater. »Ich bin wieder da.«

»Da?« Es dauerte einen Moment, bis Ashley sich erinnerte. »Oh. Dein Patient in Argentinien. Wie geht’s ihm?«

»Er wird überleben.«

»Das freut mich.«

»Kannst du morgen zum Abendessen nach San Francisco hochkommen?«

Ihr graute beim bloßen Gedanken daran, ihn sehen zu müssen, aber ihr fiel keine Ausrede ein. »Von mir aus.«

»Wir treffen uns im Restaurant Lulu. Um acht Uhr.«

Ashley wartete bereits, als ihr Vater in das Restaurant kam. Wieder sah sie die bewundernden Blicke, die ihm die Leute zuwarfen, als sie ihn erkannten. Ihr Vater war ein berühmter Mann. Würde er alles, was er geleistet hatte, aufs Spiel setzen, nur damit —?

Dann war er an ihrem Tisch.

»Schön, dich zu sehen, mein Schatz. Tut mir leid, daß wir das Weihnachtsessen ausfallen lassen mußten.«

»Mir auch«, erwiderte sie. Sie mußte sich regelrecht dazu zwingen.

Sie starrte auf die Speisekarte, ohne sie wahrzunehmen, und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.

»Was möchtest du denn?«

»Ich - ich bin eigentlich gar nicht hungrig«, sagte sie.

»Du mußt aber etwas essen. Du wirst zu schmal.«

»Ich nehme das Hühnchen.«

Sie betrachtete ihren Vater, als er das Essen bestellte, und fragte sich, ob sie es wagen sollte, das Thema anzuschneiden.

»Wie war’s in Quebec?«

»Sehr interessant«, erwiderte Ashley. »Es ist eine wunderschöne Stadt.«

»Irgendwann müssen wir mal zusammen dorthin fahren.«

»Ja«, sagte sie und faßte einen Entschluß. Sie versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. »Übrigens - ich war letzten Juni zum zehnjährigen Klassentreffen in Bedford.«

Er nickte. »Hat es dir gefallen?«

»Nein.« Sie sprach langsam, wählte sorgfältig ihre Worte. »Ich - ich habe erfahren, daß man einen Tag, nachdem du und ich nach London abgereist sind, Jim Clearys Leiche gefunden hat. Er wurde erstochen ... und entmannt.« Sie saß da und beobachtete ihn, wartete auf eine Reaktion.

Dr. Patterson runzelte die Stirn. »Cleary? Ach ja. Dieser Junge, der hinter dir her war. Vor dem habe ich dich bewahrt, nicht wahr?«

Was meinte er damit? War das ein Geständnis? Hatte er Jim Cleary umgebracht, weil er sie vor ihm bewahren wollte?

Ashley holte tief Luft und fuhr fort: »Dennis Tibble wurde auf die gleiche Art ermordet. Er wurde erstochen und entmannt.« Sie sah, wie ihr Vater ein Brötchen nahm und es sorgfältig mit Butter bestrich.

»Das überrascht mich nicht, Ashley«, sagte er schließlich. »Mit schlechten Menschen nimmt es meist ein böses Ende.«

Und das sagte ein Arzt, ein Mann, der eigentlich anderen Menschen das Leben retten sollte. Ich werde ihn nie verstehen, dachte Ashley. Ich glaube, ich will es gar nicht.

Als sie gegessen hatten, war Ashley der Wahrheit keinen Schritt nähergekommen.