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Trotzdem hielt Lohmann den Wagen in respektvollem Abstand zu dem Gitterzaun an. Er stieg nicht sofort aus, sondern blickte lange und aufmerksam in die irr-lichternde Dunkelheit beiderseits der Straße und dann mit unübersehbarer Sorge auf den Zaun.

»Der ist neu, nicht?« sagte er.

Warstein nickte. Zögernd öffnete er die Tür, stieg aus und sank fast bis über die Knöchel in den Schlamm ein, in dem sie angehalten hatten. Es war kalt und die Luft so feucht, daß Warstein im allerersten Moment glaubte, der Regen hätte noch gar nicht aufgehört.

Lohmann stieg auf der anderen Seite aus und gestikulierte Angelika zu, im Wagen zu bleiben. »Warten Sie hier«, sagte er. »Warstein und ich sehen nach, was da vorgeht.«

Vorsichtig näherten sie sich dem Tor. Blaue Funken und winzige Lichtblitze huschten über das Gitterwerk, und in der Luft lag ein schwacher Ozongeruch. Lohmann hob warnend die Hand, zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und warf ihn gegen die Stäbe. Nichts geschah. Lohmann tauschte einen fragenden Blick mit Warstein, zuckte die Achseln - und schloß die Hand mit festem Griff um einen der Gitterstäbe.

»So viel also zum Thema Vorsicht«, sagte Warstein.

»Irgendwie müssen wir ja schließlich herausfinden, ob der Zaun unter Strom steht oder nicht«, antwortete Lohmann. Er grinste, aber das Zittern in seiner Stimme verriet seine Erleichterung. Vielleicht war dies doch eine von den Ideen gewesen, die wirklich nur auf den allerersten Blick gut aussahen.

»Eine ziemlich eigenwillige Methode, das herauszufinden«, sagte Warstein dann auch.

»Aber auch eine sehr effektive«, behauptete Lohmann. »Sie führt immer zum Erfolg. Und wenn nicht, interessiert es einen hinterher nicht mehr.« Er hob auch die andere Hand ans Gitter, rüttelte mit aller Kraft daran und wäre um ein Haar gestürzt, als die beiden Torflügel quietschend aufschwangen. Sekundenlang kämpfte er hektisch um sein Gleichgewicht. Diesmal war es Warsteins Gesicht, auf dem sich ein schadenfrohes Grinsen ausbreitete.

»Sieht so aus, als wäre es offen. Ich möchte wissen, warum sich jemand die Mühe macht, ein solches Tor hierhin zu setzen, um es dann nicht abzuschließen«, sagte Warstein. Er trat ein Stück von der Straße herunter und folgte dem Zaun mit Blicken, bis er in der Dunkelheit verschwand.

»Es scheint, als hätten sie die ganze Gegend eingezäunt«, murmelte Lohmann. Er schüttelte verblüfft den Kopf. »Aber warum?«

Warstein machte eine hilflose Geste. »Es gibt im Umkreis von zweihundert Kilometern absolut nichts, was man einzäunen müßte.«

»Außer einem bestimmten Berg«, fügte Lohmann hinzu.

»Seien Sie nicht albern«, sagte Warstein ohne rechte Überzeugung. »Wer sollte einen Berg einzäunen?«

Angelika stieg aus dem Wagen und gesellte sich zu ihnen. Offenbar hatte sie einen Teil der Unterhaltung mitangehört, denn sie deutete nach links, auf einen senkrechten Schatten vier oder fünf Meter vor dem Zaun. Warstein hatte ihn für einen Baum gehalten, aber in Wirklichkeit war es ein rostiger Metallpfeiler, an dem ein rechteckiges Schild befestigt war, das in leuchtenden Farben und drei Sprachen verkündete:

QUARANTÄNEGEBIET! BETRETEN VERBOTEN! LEBENSGEFAHR!

»Quarantäne?« Lohmann runzelte verblüfft die Stirn. »Was ist denn das jetzt wieder für ein Unsinn?«

»Vielleicht ist eine ansteckende Krankheit ausgebrochen«, vermutete Angelika.

»Seit wann ist Paranoia ansteckend?« maulte Lohmann. Er schüttelte entschieden den Kopf. »Unmöglich. Von etwas, das schlimm genug ist, daß sie einen ganzen Landstrich abriegeln, hätte ich gehört. Die Geschichte stinkt zum Himmel!« Er versetzte dem Schild einen Tritt, der unerwartete Folgen hatte. Der ganze Pfahl zitterte, und nur einen Moment später fiel die Blechtafel in den Morast. Lohmann riß erstaunt die Augen auf, bückte sich danach und untersuchte sie eingehend.

»Vollkommen verrostet«, sagte er. »Eigentlich ist es schon fast ein Wunder, daß es nicht längst heruntergefallen ist.«

»Drei Jahre sind eine lange Zeit«, sagte Warstein.

»Das Ding hängt nicht seit drei Jahren hier«, behauptete Lohmann. Er deutete auf die untere rechte Ecke des Schildes, in der ein Datum zu lesen stand. »Keine drei Monate alt«, sagte er. »Aber es sieht aus, als ob es seit vierzig Jahren hier hängt.« Er schwenkte die Blechtafel hin und her - und sie zerfiel praktisch unter seinen Fingern zu rostigen Krümeln. Verblüfft ließ er die Überreste fallen. »Aber das ist...«

»...wirklich nichts, was im Moment wichtig wäre«, unterbrach ihn Angelika. Sie deutete auf den Zaun. »Macht das Tor auf. Ich fahre den Wagen hindurch.« Während sie zum Wagen zurückging, versuchten Warstein und Lohmann mit vereinten Kräften, die beiden Torflügel weiter aufzudrücken. Wenn man bedachte, daß Lohmann beinahe hindurchgefallen wäre, ging es jetzt erstaunlich schwer. Warstein mußte sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen den Torflügel stemmen, um ihn zu bewegen, und die ganze Konstruktion quietschte und knarrte so laut, daß man es eigentlich noch auf der anderen Seite des Berges hätte hören müssen.

Schwer atmend trat er zurück und betrachtete das Tor aufmerksam, während Angelika den Wagen durch die Lücke bugsierte. Die kleinfingerdicken Gitterstäbe waren vollkommen verrostet, und die Angeln boten einen Anblick, bei dem sich Warstein unwillkürlich fragte, wieso die gesamte Konstruktion nicht schon längst unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen war. Und noch etwas war seltsam - und beunruhigend: er war ziemlich sicher, daß sich ihnen der Zaun vorhin noch nicht in einem so schlechten Zustand dargeboten hatte.

Angelika brachte den Wagen einige Meter hinter dem Tor zum Stehen und stieß die Beifahrertür auf, ohne den Platz hinter dem Steuer zu räumen. Lohmann folgte der unausgesprochenen Einladung. Er ging um den Wagen herum, statt auf der Fahrerseite wieder einzusteigen. Vermutlich war er insgeheim froh, am Steuer abgelöst zu werden. Die letzten Stunden waren sehr anstrengend gewesen.

Nicht nur wegen der Kälte war Warstein erleichtert, wieder im Wagen zu sein. Er fühlte sich mit jedem Moment unbehaglicher. Die Lichter am Himmel waren nur der Anfang. Irgend etwas würde geschehen. Bald. Vielleicht geschah es schon jetzt.

»Wie weit ist es noch?« fragte Lohmann.

»Eine Stunde«, antwortete Warstein. »Ungefähr. Wenn kein weiteres Hindernis auftaucht.«

»Oder eine andere Überraschung«, fügte Lohmann hinzu. Sein Blick wanderte unstet hin und her und versuchte, die Dunkelheit jenseits des Weges zu durchdringen. Er wirkte sehr nervös.

»Bis jetzt hat noch niemand versucht, uns aufzuhalten«, sagte Angelika.

»Genau das macht mich nervös«, erwiderte Lohmann. »Irgend jemand hat sich verdammt viel Mühe gegeben, unerwünschte Besucher fernzuhalten. Und jetzt läßt man uns einfach so mir nichts dir nichts durch?« Er schüttelte den Kopf und versuchte, ein möglichst grimmiges Gesicht zu machen. »Da stimmt doch was nicht.«

Zumindest in diesem Punkt war Warstein mit ihm einer Meinung. Es fiel ihm noch immer schwer, tatsächlich zu glauben, daß jemand diesen ganzen Teil des Gebirges abgesperrt haben sollte, um irgend etwas vor dem Rest der Welt geheimzuhalten.

»Da vorne!« sagte Lohmann plötzlich. Er deutete auf einen Punkt rechts von der Fahrbahn, und diesmal sah auch Warstein sofort, was er entdeckt hatte. Vor ihnen stand ein verlassener Wagen. Er war mit dem rechten Vorderrad von der Fahrbahn abgekommen und offenbar hoffnungslos in den aufgeweichten Boden eingesunken, denn von einem Fahrer war weit und breit keine Spur zu entdecken. Es war auch nicht irgendein Wagen, sondern ein dunkelgrün lackierter Militärjeep mit einem schwarzen Stoffdach. Und noch etwas war seltsam: er hatte weder ein Nummernschild noch ein Nationalität skennzeichen. Lohmann und Warstein tauschten einen vielsagenden Blick und stiegen aus, während Angelika auch diesmal wieder zurückblieb. Ihrem angespannten Ausdruck nach zu schließen, schien ihr der Anblick des verlassenen Wagens ebensowenig zu behagen wie den beiden Männern.