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»So funktioniert es nicht«, erwiderte Warstein. »Ich rede nicht über Taschenspielertricks, Lohmann. Sie müssen es wirklich wollen. Tief in sich müssen Sie wissen, daß es so und nicht anders sein kann.«

Lohmann sah ihn verstört an, starrte dann wieder auf die Zigarettenpackung und steckte sie ein. Er sagte nichts mehr.

Ohne ein weiteres Wort setzten sie ihren Weg fort. Es war tatsächlich nicht etwa so, daß sie plötzlich über Zauberkräfte verfügten; obwohl Warstein es niemals zugegeben hätte, ertappte auch er sich ein paarmal dabei, es insgeheim zu versuchen. Er fixierte einen Punkt am Wegesrand und konzentrierte sich mit aller Macht darauf, dort einen blühenden Rosenbusch entstehen zu lassen, aber der Waldrand veränderte sich nicht, und auch sein Versuch, seine nassen Kleider trocken zu zaubern oder wenigstens etwas wärmer werden zu lassen, führte zu keinem Ergebnis. Aber sie waren noch keine fünf Minuten unterwegs, als der Weg plötzlich eine Biegung machte und die Eisenbahntrasse unter ihnen lag. Nicht weit dahinter erhob sich der gewaltige Torbogen des Tunneleingangs. Dabei hätten sie noch Kilometer davon entfernt sein müssen.

Der Anblick erfüllte ihn mit einer Mischung aus Unbehagen und Erleichterung. Erleichterung, weil er wie die beiden anderen einfach am Ende seiner Kräfte war; einen weiteren, kilometerlangen Marsch über die abschüssige Straße hätte er kaum noch durchgestanden, und wahrscheinlich war dies auch ganz genau der Grund, weswegen er ihnen erspart geblieben war. Aber auch Unbehagen, denn indem sie das Ende ihres Weges erreicht hatten, mußte er nun endgültig die Entscheidung treffen, die er bisher so erfolgreich vor sich her geschoben hatte; so wie er seit Jahren jede Entscheidung vermieden hatte.

Sie stiegen die Böschung hinauf und betraten die Geleise. Ihre Schritte wurden unwillkürlich langsamer, als sie sich dem Tunnel näherten. Zehn Meter davor blieb Lohmann schließlich stehen. Aufmerksam sah er nach rechts und links und versuchte dann, die Schwärze jenseits des fünf Meter hohen Torbogens mit Blicken zu durchdringen. »Seltsam«, sagte er.

»Was ist seltsam?« fragte Angelika.

»Es ist niemand zu sehen«, antwortete Lohmann. »Ich hätte damit gerechnet, daß sie wenigstens hier eine Wache aufstellen.«

»Vielleicht hatten sie es ja«, erwiderte Angelika.

»Ja, natürlich.« Lohmann gab sich vergebens Mühe, seiner Stimme einen möglichst sarkastischen Ausdruck zu verleihen. Er klang nur trotzig. »Das habe ich ganz vergessen. Wir haben sie weggewünscht, nicht wahr?« Er deutete in den Tunnel hinein. »Warum wünschen wir uns nicht gleich einen Zug, der dort auf uns wartet? Das würde uns einen langen Fußmarsch ersparen.«

Angelika würdigte ihn nicht einmal einer Antwort, sondern ging weiter.

Lohmann folgte ihr. Warstein schloß sich ihnen an, allerdings erst nach kurzem Zögern und in einem Abstand von sieben, acht Schritten. Plötzlich war er nicht mehr sicher, was er tun sollte. Während Angelika und Lohmann sich in der Mitte der doppelten Eisenbahntrasse bewegten, ging er weiter nach rechts und blieb zwei Schritte hinter dem Tunneleingang stehen. Es war so dunkel, daß er die schmale, eiserne Klappe, die unmittelbar hinter dem Eingang in die Wand eingelassen war, nur schemenhaft erkannte. Aber er wußte, daß sie da war. Und er wußte auch, was dahinter lag. Er brauchte nur die Hand auszustrecken und sie zu öffnen. Aber er brachte die Kraft dazu einfach nicht auf.

»Ist es das?« fragte Lohmann hinter ihm.

Warstein fuhr erschrocken zusammen. Er hatte nicht einmal bemerkt, daß der Journalist kehrtgemacht hatte und zu ihm zurückgekommen war. Auf Lohmanns Gesicht lag ein sonderbarer Ausdruck, den er im ersten Moment nicht zu deuten vermochte.

»Was?« fragte er ausweichend.

Lohmann runzelte die Stirn. »Das Telefon«, erwiderte er.

Warstein fuhr zum zweiten Mal sichtlich zusammen. »Woher...?«

Lohmann machte eine ärgerliche Geste. »Halten Sie mich für blöd?« fragte er. »Ich habe diesen Tunnel vielleicht nicht mitgebaut wie Sie, aber selbst ich weiß, daß es hier irgendwo ein Telefon geben muß. Sie hatten vor, Franke damit anzurufen, nicht wahr?«

»Das hatte ich«, gestand Warstein.

Lohmann blickte ihn durchdringend an. Er wirkte nicht einmal verärgert. »Und jetzt?«

»Jetzt nicht mehr«, sagte Warstein. Die Entscheidung, vor der er sich so gefürchtet hatte, war längst gefallen, das begriff er erst jetzt. Es war nicht mehr nötig, die beiden anderen zu verraten, ebensowenig wie es jetzt noch nötig gewesen wäre, gegen Franke zu kämpfen. Die Dinge hatten längst ihren Lauf genommen, und das Geschehen, das sie aufhalten wollten, hatte schon längst begonnen. Nicht mehr sie waren es, die den Ablauf der Ereignisse bestimmten, die Ereignisse bestimmten ihr Verhalten. Der Gedanke erfüllte Warstein mit einem Gefühl von Ohnmacht, dem aber jede Verbitterung fehlte. Vielleicht, weil er ebenso deutlich fühlte, daß alles so kam, wie es kommen mußte, weil es in dem großen, komplizierten Muster des Universums so vorgesehen war.

»Gehen wir weiter«, sagte er. »Wir haben noch einen langen Weg vor uns.« Lohmann wirkte ein wenig überrascht. Er lächelte, drehte sich herum und wartete, bis Warstein an ihm vorbeigegangen war. Nebeneinander gingen sie zu Angelika, die in einigen Schritten Entfernung stehengeblieben war und etwas ansah, das sie erst erkannten, als sie neben ihr angelangt waren.

»Sehen Sie, Lohmann«, sagte sie. »Ist das ungefähr das, was Sie sich vorgestellt haben?«

Lohmann sagte nichts, aber trotz der Dunkelheit, die sie umgab, konnte Warstein erkennen, wie jede Farbe aus seinem Gesicht wich, während er den kleinen, vierrädrigen Wagen ansah, der wenige Schritte vor ihnen auf den Schienen stand und auf den Angelika deutete.

16

Dem ersten Helikopter waren zwei weitere gefolgt, die in kurzem Abstand auf der Straße am Ufer landeten und denen insgesamt mehr als zwei Dutzend Soldaten entstiegen. Die Männer hatten die Straße in weitem Umkreis abgeriegelt. Wer nicht schon vor den Hubschraubern in Panik davongelaufen war, den trieb der Anblick der bewaffneten Gestalten zurück, und in einigen wenigen Fällen auch der Einsatz von - mehr oder weniger - sanfter Gewalt. Was Roglers Polizisten in einer guten Stunde nicht gelungen war, das schafften die Soldaten binnen weniger als fünf Minuten. Als ihr Aufmarsch beendet war, befanden sich auf der Uferpromenade nur noch Uniformierte. Nur die Männer jenseits der Mauer, denen die Anwesenheit und auch die Befehle der Soldaten galten, waren noch da. Ein grauhaariger Offizier mit den Rangabzeichen eines Majors kommandierte die Truppe. Er mußte nicht sehr viele Befehle geben. Die Männer schienen genau zu wissen, was von ihnen erwartet wurde, und sie erfüllten ihre Aufgabe so schnell und präzise, daß jedem Beobachter schon nach Augenblicken klargeworden wäre, daß es sich bei ihnen um eine gut trainierte und seit Jahren aufeinander eingespielte Elitetruppe handelte. In einer Entfernung von zweihundert Metern zu beiden Seiten der Straße wurden Barrieren errichtet, und einige Männer umgingen das Lager der reglos dastehenden Gestalten in weitem Umkreis und bildeten eine Kette zwischen ihnen und dem See, um es auch in dieser Richtung abzuriegeln. Längst war klargeworden, daß es sich bei diesen Schamanen und Zauberern um Druiden handelte, die letzten Wächter der Welt. Keiner von ihnen schien Notiz davon zu nehmen, was um sie herum geschah.

Der Major wartete. Er hatte Befehl, die Gruppe am Ufer zu umstellen, aber nichts zu tun, solange sie nichts taten, und auch, wenn er sich insgeheim fragte, was an diesem Haufen offensichtlich verrückter alter Männer den Einsatz einer auf den Nahkampf spezialisierten Eliteeinheit wie seiner rechtfertigte, so stellte er seinen Befehl trotzdem nicht in Frage, sondern folgte ihm Wort für Wort. Zeit verging. Fünf Minuten, zehn, eine halbe Stunde, schließlich eine ganze. Keiner der Soldaten rührte sich. Von Zeit zu Zeit erschien ein Schatten hinter einem erleuchteten Fenster auf der anderen Straßenseite oder wurde eine Tür geöffnet, nur um sofort und sehr hastig wieder geschlossen zu werden, denn vor jedem einzelnen Haus auf der anderen Seite der Straße stand ein Posten, der dafür sorgte, daß niemand versuchte, es zu verlassen.