Franke nickte widerwillig, aber Warstein machte ein überraschtes Gesicht, so daß der Reporter in erklärendem Tonfall hinzufügte: »Der Tunnel wurde fast drei Monate nach dem geplanten Termin eröffnet. Sagen Sie bloß, das wußten Sie nicht.«
Nein, das hatte er tatsächlich nicht gewußt. Als der Tunnel offiziell fertiggestellt worden war, hatte sein Absturz längst eine Geschwindigkeit erreicht, die ihn sich nicht mehr für irgend etwas außerhalb seiner eigenen, zusammenbrechenden kleinen Welt interessieren ließ. Für den Gridone-Tunnel und alles, was damit zusammenhing, schon gar nicht. Davon hatte er nichts mehr wissen wollen.
»Und wozu dient die ganze Anlage nun wirklich?« wollte Lohmann wissen. Sie hatten die Trennwand erreicht, und anstelle einer Antwort deutete Franke auf eine schmale, von einem Aluminiumrahmen eingefaßte Tür. Seine Finger bewegten sich rasch und sicher über die Zifferntasten. Ein leises Summen erklang, und die Tür sprang einen Spaltbreit auf. Franke trat nicht sofort ein, sondern sah Warstein noch eine Sekunde lang durchdringend und mit undeutbarem Ausdruck an, ehe er die Tür aufschob und ihn mit einer Handbewegung aufforderte hindurchzutreten.
Die Anordnung sah vollkommen anders aus als seine eigene, aber er erkannte sie sofort, im gleichen Sekundenbruchteil, in dem er den abgesperrten Bereich hinter den Kunststoffwänden betrat. Sie war ungleich größer, eleganter und sicherlich technisch perfekter; wahrscheinlich um ein Vielfaches leistungsfähiger, trotzdem war es nichts anderes als...
»Mein Laser«, flüsterte er. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Er konnte in diesem Moment nicht einmal selbst sagen, was er empfand. Zorn? Enttäuschung? Wut? Sicher von allem etwas, aber da war noch mehr in ihm, ein Gefühl, das über alle diese Empfindungen weit hinausging. Es war nicht der Anblick der Apparatur allein, der ihn so heftig traf. Es war das Wissen darum, was er bedeutete.
»Ja«, sagte Franke. »Oder zumindest ein Gerät, das auf dem gleichen Prinzip beruht. Wir haben ein paar Verbesserungen vorgenommen, aber die Idee, die dahintersteckt, ist die gleiche.«
Warstein konnte nicht antworten. Seine Hände begannen zu zittern, und seine Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Für einen Moment schien sich die gesamte Höhle um ihn zu drehen. Er empfand nichts als Zorn, einen unbeschreiblichen, kalten Zorn, der kein Ventil fand.
»Einen Moment«, sagte Lohmann. »Soll das heißen, das ist Ihr Gerät?« Er deutete auf die Anordnung von Spulen, Linsen, Kristallen und Verstärkereinheiten, die einen Großteil des vorhandenen Platzes vor ihnen einnahm. Weder Warstein noch Franke reagierten in irgendeiner Weise auf die Frage, und so fuhr er nach ein paar Sekunden fort: »Dasselbe Gerät, das Ihnen damals vor Gericht das Genick gebrochen hat, als Franke behauptete, es hätte nicht funktioniert? Der Apparat, mit dem er Sie vor der ganzen Welt lächerlich gemacht hat?«
»Sie ... Sie haben es die ganze Zeit über gewußt«, murmelte Warstein. »Vom ersten Tag an, nicht wahr? Sie ... Sie verdammter -«
»Vermutet, nicht gewußt«, unterbrach ihn Franke. »Jedenfalls am Anfang. Aber es stimmt, ja. Ich wußte, daß in diesem Berg mehr sein mußte als Felsen und Erde.« Seine Stimme wurde leiser. »Den endgültigen Beweis habe ich erst gefunden, nachdem sie fort waren.«
»Dann haben Sie die ganze Zeit über gelogen«, murmelte Warstein. »Sie wußten, daß ich recht habe, und Saruter auch. Verdammt noch mal, er hat es Ihnen sogar ins Gesicht gesagt, in meinem Beisein, und ich Idiot habe nicht begriffen, was er meint. Warum, Franke? Worauf waren Sie aus? Wollten Sie den ganzen Ruhm für sich haben, oder haben Sie einfach den Gedanken nicht ertragen, daß es hier etwas gibt, was Sie nicht erklären können?«
»Vielleicht«, antwortete Franke, ohne zu erklären, welcher der beiden Fragen diese Antwort galt. »Ich glaube nicht, daß das jetzt noch eine Rolle spielt, oder?« Ein flüchtiger Ausdruck von Trotz erschien auf seinem Gesicht und verschwand wieder. »Ihre Erfindung funktioniert, Warstein. Besser als Sie selbst je gewußt haben. Die Ergebnisse waren nicht falsch. Falsch waren nur die Fragen, die wir zu den Antworten gestellt haben, die uns das Gerät lieferte.«
»Also haben Sie etwas in diesem Berg gefunden«, sagte Lohmann. »Und Sie haben Warstein ins offene Messer laufen lassen, damit Sie in aller Ruhe weitermachen und den ganzen Ruhm für sich einheimsen konnten.«
Franke bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Sie wissen ja überhaupt nicht, worüber Sie da reden, Sie Dummkopf«, sagte er. »Ja, ich habe etwas entdeckt. Dieses Gerät hat es entdeckt, um genau zu sein. Und? Vielleicht war es ein Fehler, aber ich dachte, es wäre die Chance meines Lebens. Das, wovon jeder Wissenschaftler träumt. Etwas Neues zu entdecken. Etwas ganz Großes. Etwas zu sehen, was vor mir noch niemand gesehen hat. Falsch oder nicht, es tut mir nicht leid. Ich würde es wieder tun, wenn ich noch einmal vor der Entscheidung stünde.«
Lohmann atmete hörbar ein. »Das ist...«
»...genau dasselbe, weswegen Sie hier sind, Lohmann«, fiel ihm Warstein ins Wort. Er fragte sich, warum er eigentlich Franke verteidigte, ausgerechnet Franke, der mit dem, was er getan hatte, nicht nur sein, sondern vielleicht das Leben unzähliger Menschen in Gefahr gebracht hatte. Aber zugleich kannte er auch die Antwort auf diese Frage: weil er ihn verstehen konnte. Vielleicht hätte er an seiner Stelle nicht anders gehandelt. Die Verlockung war einfach zu groß gewesen.
»Aber wie haben Sie es entdeckt?« fuhr er fort, wieder an Franke gewandt. »Ich ... ich habe die Meßergebnisse hundertmal überprüft, ohne -«
»Ich habe sie gefälscht«, sagte Franke ruhig.
»Sie?«
»Nicht alle Hacker sind vierzehn Jahre alt und haben Akne und dicke Nickelbrillen«, antwortete Franke beleidigt. »Außerdem habe ich die Anlage eingerichtet, vergessen Sie das nicht. Der Computer hat Ihnen nur das erzählt, was ich ihm erlaubt habe.«
»Und was hat er wirklich gefunden?« fragte Warstein.
Franke starrte ihn an, schwieg. Nach einer kleinen Ewigkeit, wie es schien, senkte er den Blick und antwortete mit leiser, fast tonloser Stimme. »Ich weiß es nicht. Noch vor zwei Tagen hätte ich geglaubt, die Antwort zu kennen, aber jetzt... Ich weiß es einfach nicht, Warstein. Es sah nach einem Schwarzen Loch aus, einem winzigen Black Hole, das irgendwo in diesem Berg gefangen sein mußte. Sie kennen die Theorie, nach der es sie im Grunde überall geben kann.«
»Und Sie haben geglaubt, hier ein Black Hole gefunden zu haben«, vermutete Warstein. Er konnte Franke nicht einmal wirklich böse sein.
»Ich war sicher«, korrigierte ihn Franke. »Hundertprozentig sicher. Alles sah danach aus - es sieht noch danach aus. Jetzt mehr denn je.«
»Einen Moment«, mischte sich Lohmann ein. »Ich verstehe Sie richtig, ja? Sie wollen uns weismachen, das alles hier, diese ganze Anlage, die Millionen gekostet haben muß, diese ganze Geheimniskrämerei - von dem, was Sie Warstein angetan haben, einmal ganz zu schweigen -, Sie haben das alles nur veranstaltet, weil Sie der Meinung waren, irgendeine verrückte wissenschaftliche Theorie beweisen zu können?«
Franke starrte ihn an. »Wo haben Sie diesen Idioten eigentlich aufgetan, Warstein?« fragte er.
»He!« protestierte Lohmann. »Seien Sie vorsich...« Warstein unterbrach ihn mit einer besänftigenden Geste, die gleichermaßen ihm wie auch Franke galt.
»Wir reden hier nicht über eine wissenschaftliche Theorie, Lohmann«, sagte er.
»Sondern?«
»Über die Lösung aller Probleme dieser Welt, Sie Trottel«, sagte Franke abfällig. »Ich glaube nicht, daß Sie es wirklich verstehen, aber versuchen Sie es wenigstens.«
»Was?« fragte Lohmann. Seine Augen funkelten zornig.
»Franke hat recht«, sagte Warstein rasch. »Es ist im Grunde ganz einfach - zumindest, was die Idee angeht, verstehen Sie? Bisher weiß niemand wirklich, was ein Schwarzes Loch ist und was es bewirkt. Aber wenn es existiert, dann ist es die wahrscheinlich stärkste Energiequelle dieses Universums. Wenn es irgend jemandem gelänge, die Kräfte, die selbst in einem winzigen Black Hole gefangen sind, nutzbar zu machen, würde das das Ende sämtlicher Energieprobleme dieses Planeten bedeuten - und zwar für alle Zeiten.«