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Lohmann schwieg einen Moment. Schließlich nickte er auf eine Art und Weise, die Warstein klarmachte, daß er zumindest anfing zu begreifen. »Sie meinen -«

»Ich meine«, fiel ihm Franke ins Wort, »das Ende aller Armut auf dieser Welt. Kein Mensch müßte mehr hungern. Wenn es in diesem Berg ein Black Hole gibt und wir es anzapfen könnten, dann hätten wir eine praktisch unversiegbare Energiequelle gefunden.«

»Und Sie haben sie entdeckt«, fügte Lohmann spöttisch hinzu. »Franke Messias, wie?« Er lachte. »Aber es hat nicht geklappt, oder?«

Zu Warsteins Überraschung blieb Franke ruhig. »Ich war völlig sicher«, sagte er.

»Und jetzt sind Sie es nicht mehr?« fragte Warstein.

»Ich habe gewisse Schwierigkeiten, Raumkrümmung und Schwarze Magie in Zusammenhang zu bringen«, gestand Franke. »Sie nicht?«

»Vielleicht ist der Unterschied nicht so groß, wie Sie glauben«, antwortete Warstein. »Es gibt manchmal mehr als einen Weg, etwas zu tun.«

»Dann nennen Sie ihn mir!« verlangte Franke. »Es spielt keine Rolle, ob ich Ihnen glaube oder nicht. Meine Lösung hat versagt - vielleicht hilft Ihre.«

»Aber ich habe keine«, sagte Warstein betont.

»Sie sind hier«, beharrte Franke. »Erzählen Sie mir nicht, daß Sie grundlos gekommen sind. Sie müssen etwas wissen.«

»Glauben Sie, ich würde es Ihnen verschweigen?«

»Nein«, antwortete Franke. »Natürlich nicht. Aber da muß noch etwas sein. Etwas, das wir alle übersehen haben. Vielleicht etwas, was Ihnen der alte Mann erzählt hat. Hat er Ihnen nichts gegeben? Nichts gesagt oder erklärt?«

»Nichts, was Sie nicht wüßten«, antwortete Warstein traurig. Ein Gefühl tiefer Resignation begann sich in ihm auszubreiten. Während der ganzen Zeit hatte er niemals wirklich über diese Frage nachgedacht. Er hatte sich einfach darauf verlassen, daß sie schon wissen würden, was zu tun war, sobald sie das Ziel ihrer Reise endlich erreicht hatten. Aber die göttliche Erleuchtung, auf die er wartete, kam nicht, und sie würde auch nicht kommen.

»Also können Sie überhaupt nichts mehr tun?« fragte Lohmann. »Sie wollen mir erzählen, daß Sie all das hier nur aufgebaut und hergebracht haben, um jetzt tatenlos zuzusehen, wie die Welt vor die Hunde geht? Ist es das, was Sie uns erzählen wollen?«

»Nein«, antwortete Franke. Er klang sehr müde. »Eine Möglichkeit gibt es vielleicht noch.«

»Und welche?« fragte Lohmann.

Diesmal dauerte es fast eine Minute, bis Franke antwortete; eine Zeitspanne, in der er einfach dastand und Warstein anstarrte. Aber zugleich schien sein Blick auch direkt durch ihn hindurchzugehen und sich auf einen Punkt irgendwo in der Unendlichkeit zu fixieren, und was Warstein in dieser Zeit in seinen Augen sah, das war schlimmer als die Furcht, die er bisher darin gelesen hatte.

»Kommen Sie, meine Herren«, sagte er.

17

Der Major hatte Angst. Das Flackern der Lichter am Himmel war anders geworden. Gleißende Blitze wie Klingen aus Licht, die das Firmament teilten, hatten die Stelle sanft wogender Farben und pastellener Lichtwolken eingenommen. Wo vor Minuten noch zarte Gebilde aus leuchtender Energie gewesen waren, tobte jetzt ein lautloses Gewitter, dessen Widerschein den See und das Ufer in ein stroboskopisch flackerndes Licht tauchte, in dem die Bewegungen der Männer sonderbar abgehackt und falsch aussahen und alle Schatten und Konturen bedrohlich und hart zu werden schienen. Etwas wie ein elektrisches Knistern lag in der Luft, ein Gefühl, als legten sich bei Schritt und Tritt unsichtbare brennende Spinnweben auf seine Haut. Das Atmen bereitete ihm Mühe, und die Luft schmeckte bitter.

Der Blick des grauhaarigen Offizieres wanderte immer wieder zwischen dem See und dem Bereich jenseits der Bäume hin und her. Der See lag jetzt wieder vollkommen ruhig da. Die Wellen hatten sich über den Köpfen der letzten Männer geschlossen, die ruhig und völlig gelassen in den Tod marschiert waren, ohne daß er oder einer seiner Soldaten irgend etwas daran hätten ändern können. Der Anblick der jetzt reglos daliegenden Wasserfläche erschien dem Major wie blanker Hohn. Er hatte den Schock immer noch nicht wirklich verarbeitet, ja, nicht einmal wirklich begriffen. Alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, daß er tatenlos hatte zusehen müssen, wie annähernd einhundert Menschen vor seinen Augen kollektiven Selbstmord begangen hatten.

Der Anblick auf der anderen Seite war fast noch schlimmer. Der Himmel über der Stadt leuchtete rot, und es war nicht nur das Gleißen dort oben, sondern auch der Widerschein zahlreicher Brände, die in der Stadt ausgebrochen sein mußten. Der Wind drehte ununterbrochen, und wenn er zu ihnen herabwehte, trug er Brandgeruch und die Schreie von Menschen mit sich. Der Major wußte nicht, was oben in der Stadt geschehen war, aber es gehörte nicht sehr viel Phantasie dazu, es sich vorzustellen. Der Lärm und der flackernde Feuerschein sprachen eine deutliche Sprache. Vor zehn Minuten hatte er zwei Männer losgeschickt, um die Lage jenseits des Parkes zu erkunden. Sie waren bisher nicht zurückgekehrt, und in ihm wuchs die Überzeugung, daß sie auch nicht wiederkommen würden. Auch der Kontakt zu den Soldaten, die er auf den Dächern dort oben postiert hatte, war abgebrochen. Ihre Lichtsignale wurden schon lange nicht mehr beantwortet. Dann und wann tauchte ein Schatten zwischen den Bäumen auf, verschwand aber immer wieder sofort, wenn er versuchte, ihn mit Blicken zu fixieren.

Die Soldaten hatten in einem dreifach gestaffelten Halbkreis am Ufer Aufstellung genommen. Die Läufe ihrer Waffen waren jetzt nach oben gerichtet, auf den Park und die dahinterliegende Straße, von der die Geräusche einer offensichtlich immer mehr um sich greifenden Panik zu ihnen herabdrangen. Bisher hatte sich niemand gezeigt, gegen den sie diese Waffen hätten einsetzen müssen, aber genau das war es, wovor der Major sich fürchtete wie vor nichts auf der Welt: daß er gezwungen sein könnte, seine Männer auf Zivilisten feuern zu lassen. Er begriff den grundsätzlichen Fehler in diesem Gedankengang nicht, ebensowenig wie irgendeiner der anderen Männer, die sich rings um ihn herum wie eine Herde verängstigter Tiere aneinandergedrängt hatten. Niemand hatte ihnen gesagt, was dort oben geschah. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß sie in Gefahr waren, geschweige denn, daß jemand den Trupp angreifen könnte. Trotzdem wußten sie, daß es so war. Sie waren Soldaten, dazu ausgebildet und hier, um zu kämpfen, und das war alles, wofür in ihren Gedanken noch Platz war. Der Wahnsinn, der von der ganzen Stadt Besitz ergriffen hatte, hatte sich längst auch in ihre Seelen geschlichen. Er versteckte sich noch hinter der antrainierten Disziplin und der Gewohnheit, nichts zu tun, solange man es ihnen nicht befahl, aber er war da, eine geduldig lauernde Spinne, die in ihrem Netz saß und darauf wartete, hervorzuspringen und ihre Fänge in den Leib ihres wehrlosen Opfers zu schlagen.

»Herr Major?«

Der Offizier fuhr erschrocken herum. Einer der Soldaten hatte die Waffe gesenkt und deutete mit dem Gewehrlauf auf den schwarzgekleideten Fremden, der noch immer neben dem toten Soldaten kniete.

Es dauerte nur eine Sekunde, bis er seinen Irrtum bemerkte. Der Mann war nicht tot. Seine Hände bewegten sich. Überrascht und sehr schnell - wenn auch erst nach einem letzten sichernden Blick zum Park hinauf - verließ der Major seinen Platz und eilte zu ihm.

»Was ist passiert?« fragte er. »Er lebt noch? Wieso haben Sie mich nicht -« Er sprach nicht weiter, als sein Blick auf das Gesicht des Verletzten fiel. Sein Atem stockte. Eine eisige Hand schien nach seiner Kehle zu greifen und sie zuzudrücken.

Was er sah, war unmöglich.