Ihr Rundgang endete in einem Raum, der selbst Warstein mehr an die Kommandozentrale eines Raumschiffes erinnerte als an ein physikalisches Forschungslabor. Drei der vier Wände waren vollgestopft mit Schaltschränken, Monitoren, Computerbänken und zahllosen anderen technischen Apparaturen, deren Bedeutung ihm größtenteils verschlossen blieb. Aber Warstein entging auch nicht, daß die meisten dieser Geräte tot waren. Die Bildschirme waren erloschen, Bandspulen hatten aufgehört sich zu drehen, blinkende Leuchtdioden hatten sich in blind starrende, erloschene Augen verwandelt. Von den zahlreichen Telefonen im Raum schien nur noch ein einziges zu funktionieren, und Techniker waren emsig damit beschäftigt, an mindestens ebenso vielen auseinandergebauten Computerschränken gleichzeitig herumzubasteln. Wie es schien, nicht unbedingt mit Erfolg. Wenn er berücksichtigte, daß sich im Moment mindestens dreißig Personen in dem Raum aufhielten, war es erstaunlich leise; aber er konnte die Anspannung deutlich fühlen, die von allen hier drinnen Besitz ergriffen hatte. Warstein war nicht der einzige, dem aufgefallen war, daß hier etwas nicht stimmte.
Lohmann ließ seinen Blick mit unverhohlenem Spott durch den Raum wandern, und er versuchte erst gar nicht, die Schadenfreude aus seiner Stimme zu verbannen. »Beeindruckend, Professor«, sagte er. »Wirklich beeindruckend. Was wird es, wenn es fertig ist? Ein Computerladen?«
Franke mußte wohl endgültig zu dem Schluß gekommen sein, daß Ignorieren die einzig erfolgversprechende Methode war, mit Lohmann umzugehen, denn er beachtete weder ihn noch seine hämische Frage, sondern wandte sich direkt an Warstein.
»Ich habe Ihnen das alles nicht gezeigt, um anzugeben, Warstein«, sagte er. »Oder um Sie zu beeindrucken. Ich hoffe, daß Sie begriffen haben, was wir hier tun.«
»Ich ... bin nicht sicher«, gestand Warstein. »Aber ich denke, es ist eine großartige Leistung, ja.« Er war tatsächlich ein wenig verwundert. Während der vergangenen halben Stunde hatte der Wissenschaftler in ihm wieder die Oberhand gewonnen, und für einige wenige kurze Momente waren selbst seine Angst und die Sorge um das, was draußen geschah, in den Hintergrund getreten. Aber er hatte sie keineswegs vergessen. Jetzt fragte er sich, warum Franke so viel von ihrer angeblich so kostbaren Zeit opferte, um ihm und Lohmann dieses Labor zu zeigen.
»Es ist nicht mein Verdienst allein«, antwortete Franke. »Wir haben die klügsten Köpfe der Welt hier versammelt und die beste Technik, die für Geld zu bekommen war. Ich dachte, daß es Sie interessiert.« Er lächelte flüchtig. »Irgendwie ist es ja auch ein bißchen Ihr Werk.«
»Aber das ist nicht der Grund, warum Sie es uns gezeigt haben«, vermutete Warstein. Wenn Frankes Worte schmeichelhaft gemeint waren, so verfehlten sie die angestrebte Wirkung gründlich. Er rieb Salz in offene Wunden.
»Nein«, sagte Franke. Sein Gesicht verdüsterte sich. Er sah auf die Uhr, ehe er weitersprach. »Ich möchte, daß Sie mir glauben, daß wir alles in unserer Macht Stehende getan haben. Wenn es eine wissenschaftliche Lösung für dieses Problem gäbe, dann hätten wir sie gefunden.«
Das hatte Warstein nie bezweifelt. Ganz egal, was er von Franke hielt - er war ein fähiger Wissenschaftler. Vielleicht einer der besten auf seinem Gebiet. »Das alles hier ist ... wirklich großartig«, sagte er. »Es muß Millionen gekostet haben. Wie haben Sie es geschafft, die Gelder dafür aufzutreiben, noch dazu in so kurzer Zeit? Normalerweise dauert es doch drei Jahre, von der Regierung auch nur eine Erhöhung der Portopauschale zu bekommen.«
»Das kommt immer darauf an, an welche Stellen man sich wendet«, antwortete Franke ausweichend.
»An welche -?« Warstein stockte. Er blickte Franke durchdringend an, dann begriff er. Und plötzlich war sein Zorn wieder da. »Sagen Sie mir, daß das nicht wahr ist«, sagte er. »Sie haben nicht das getan, was ich vermute, oder?«
Franke antwortete nicht, sondern starrte an ihm vorbei ins Leere. Aber sein Schweigen war Antwort genug.
»Sie verdammter Mistkerl«, sagte Warstein leise.
»Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Lohmann ärgerlich. »Ich meine nur, falls es Ihnen nicht zu viel ausmacht - wäre es vielleicht möglich, nicht in Hieroglyphen zu reden?«
»Wovon ich rede?« Warstein deutete anklagend auf Franke. »Ich rede davon, daß er das ganze Projekt meistbietend verschachert hat! Oder woher glauben Sie, ist das ganze Geld gekommen, mit dem das hier aufgebaut worden ist?«
»Woher soll ich das wissen?« antwortete Lohmann.
»Sind Ihnen die vielen Uniformen auf dem Weg hierher nicht aufgefallen?«
Lohmann riß die Augen auf. »Das Militär?« fragte er.
»Ganz genau das«, bestätigte Warstein. »Er hat das ganze Projekt ans Militär verkauft.«
»Aber das ist doch nicht möglich!« behauptete Lohmann. »Wir sind hier in der Schweiz. Die werden den Teufel tun und ausländische Soldaten auf ihrem Grund und Boden -«
»Sie haben garantiert nichts davon gewußt«, fiel ihm Warstein ins Wort. Franke schwieg noch immer. »Oh, ich bin sicher, daß er sehr geschickt vorgegangen ist - habe ich recht? Wahrscheinlich hat keiner der Beteiligten auch nur geahnt, woher das Geld gekommen ist.« Er lachte böse. »Wie haben Sie es Ihnen schmackhaft gemacht, Franke? Haben Sie Ihnen erzählt, Sie könnten irgendeine neue Superwaffe konstruieren? Eine kleine Black-Hole-Bombe vielleicht?«
»Unsinn«, antwortete Franke. Er klang nervös. Sein Blick wich dem Warsteins immer noch aus. Warstein ahnte, daß er mit seiner Vermutung der Wahrheit zumindest nahegekommen sein mußte.
»Schade«, sagte er leise. »Ich hatte gerade angefangen, so etwas wie Sympathie für Sie zu empfinden. Aber das ist -«
»Was?« unterbrach ihn Franke scharf. »Hören Sie doch endlich auf, mir Vorwürfe zu machen, Warstein! Ja, verdammt, ich habe meine Seele verkauft - und? Ich würde es wieder tun, wenn es sein müßte. Was hätte ich tun sollen? Zum Forschungsministerium gehen? Ich würde heute noch dasitzen und Anträge ausfüllen, und wir wären in zwanzig Jahren nicht so weit gekommen!«
»Vielleicht wäre das besser gewesen«, sagte Lohmann.
Franke beachtete ihn nicht. »Erzählen Sie mir nicht, daß Sie an meiner Stelle anders gehandelt hätten!« fuhr er fort. »Und wenn doch, sind Sie ein Idiot. Ich wollte das hier, und ich habe es bekommen. Und es ist mir ziemlich egal, wer es bezahlt hat.«
»Und auch, was daraus wird?« fragte Warstein.
Franke fegte seine Worte mit einer zornigen Bewegung beiseite. »Hören Sie endlich auf, den Moralapostel zu spielen«, sagte er verächtlich. »Wo ist der Unterschied? Glauben Sie, das Militär hätte meine Entdeckung nicht für seine Zwecke genutzt, wenn das Geld aus einer anderen Kasse gekommen wäre? Es hätte nichts geändert. Es hätte die ganze Sache nur unnötig verzögert.«
Das Schlimme ist, dachte Warstein, daß er damit vermutlich recht hat. »Was ist hier passiert?« fragte er mit einer Geste auf die tot daliegenden Computer und Bildschirme. »Ein Unfall?«
Franke zuckte unglücklich mit den Schultern. »Ich wollte, ich wüßte es«, gestand er. »Es hat angefangen, als die Lichter am Himmel erschienen.«
»Was?« fragte Lohmann.
»Ich kann es Ihnen nicht sagen«, wiederholte Franke. »Auch die Techniker wissen es nicht. Sie arbeiten daran, Sie sehen es ja. Sie haben ein paar Geräte wieder zum Laufen gebracht, aber anscheinend weiß niemand genau, wieso.«
»Sie meinen, das alles hier ist ... einfach ausgefallen?« vergewisserte sich Lohmann.
»Das meiste«, bestätigte Franke. »Einige Geräte funktionieren noch. Ein paar Computer, die meisten elektrischen Anlagen und seltsamerweise zwei Telefonleitungen. Der Rest ist tot. Es scheint kein System darin zu geben. Und wenn doch, dann kann ich es nicht erkennen.«
»Im Klartext, Sie sind blind und taub«, sagte Lohmann. »Ich hoffe doch, das war nicht die Lösung, von der Sie vorhin gesprochen haben.«