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»Lösung?«

Lohmann gestikulierte heftig mit beiden Händen. »Die Notbremse. Die letzte Möglichkeit, von der Sie uns erzählt haben. Schon vergessen?«

»Notbremse?« Franke lächelte flüchtig. »Eine interessante Bezeichnung. Nein, das war es nicht.« Er sah wieder auf die Uhr, überlegte einen Moment und wandte sich dann zum Ausgang. »Kommen Sie. Es wird sowieso Zeit.« Sie verließen den Raum und gingen wieder in die große Halle, in der sie Angelika und Rogler zurückgelassen hatten.

Das Bild hatte sich nicht verändert. Die Männer saßen noch immer in einem unregelmäßigen Kreis auf dem Boden und rührten sich nicht. Trotzdem spürte Warstein, daß zwischen - oder vielleicht mit? - ihnen etwas geschah. Daß sie irgend etwas taten. Nach dem kalten technischen Ambiente des Computersaales kam Warstein der Anblick doppelt unheimlich und bizarr vor. Er führte ihm mit fast körperlicher Intensität wieder vor Augen, warum sie hier waren.

Warstein entdeckte Angelika neben ihrem Mann, der auf der anderen Seite des Kreises saß. Sie war neben ihm niedergekniet und hatte die Hände nach ihm ausgestreckt. Aber sie brachte es aus irgendeinem Grund nicht über sich, ihn wirklich zu berühren; ihre Finger verharrten wenige Zentimeter vor seinem Gesicht, und auf ihren Zügen lag ein Ausdruck von Qual, der Warstein mit einem plötzlichen, sehr tiefen Mitgefühl erfüllte. Sie hatte ihm erzählt, daß sie ihn nicht mehr liebte und daß sie im Grunde selbst nicht wußte, warum sie eigentlich hierhergekommen war, aber der Anblick dort drüben machte ihm klar, daß das nicht stimmte.

Franke räusperte sich übertrieben, und Angelika sah tatsächlich auf. Sie verharrte noch reglos in der gleichen Stellung, in der sie vielleicht die ganze Zeit über dagesessen haben mochte, während Franke Lohmann und ihm das Labor gezeigt hatte. Dann nahm sie die Hände herunter, richtete sich langsam auf und ging auf sie zu. Ihre Bewegungen waren steif.

»Es tut mir leid, Sie stören zu müssen«, begann Franke, »aber wir -«

»Es ist schon gut«, unterbrach ihn Angelika. »Ich kann ... sowieso nichts für ihn tun.« Sie gab sich einen sichtbaren Ruck und wandte sich an Warstein. »Es ist der gleiche Ort, nicht?« fragte sie. »Sie waren damals hier?«

»Nicht genau«, antwortete Franke an Warsteins Stelle. Er deutete auf die Felswand zur Rechten. »Der Tunnel verläuft zwanzig Meter weiter südlich. Aber Sie haben recht. Sie sind alle hierher zurückgekommen.« Plötzlich war in seiner Stimme so etwas wie eine ängstlich unterdrückte Hoffnung. »Hat er Ihnen irgend etwas gesagt? Wissen Sie, warum...«

»Nein«, sagte Angelika. »Er hat nichts gesagt. Ich glaube, er ... er hat nicht einmal gemerkt, daß ich hier bin.« Sie begann zu zittern, und aus ihren Augen rannen plötzlich Tränen. »Ich möchte gehen«, sagte sie. »Bitte.«

»Selbstverständlich.« Franke machte eine entsprechende Geste, und Rogler öffnete die Tür und trat rasch beiseite, um Angelika vorbeizulassen. Sie rannte fast aus dem Raum und blieb auch draußen erst wieder stehen, nachdem sie sich gute zehn Meter von der Tür entfernt hatte. Lohmann wollte ihr folgen, aber Warstein legte ihm rasch die Hand auf den Arm und schüttelte den Kopf. Der Journalist zeigte ausnahmsweise so etwas wie Feingefühl und blieb zurück, während Warstein ihr allein folgte.

Er ging sehr langsam und hatte fast Angst, als er sie erreichte. Denn eigentlich wußte er nicht, was er sagen sollte. Er hatte Momente wie diese immer gehaßt. Einen halben Meter hinter ihr blieb er stehen und berührte ihren Arm, zog die Hand aber sofort wieder zurück, als er sah, wie sie unter seiner Berührung zusammenfuhr. Trotzdem drehte sie sich zu ihm um und sah ihn an. Ihre Augen waren noch immer voller Tränen, aber der Schmerz darin war von einer anderen Art, als er erwartet hatte.

»Angelika«, begann er, »es tut -«

»Jetzt nicht.« Sie unterbrach ihn mit einer fast zornigen Geste, atmete tief und hörbar ein und fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht, um die Tränen fortzuwischen. Warstein trat mit einem wortlosen Nicken zurück. Er verstand, daß Angelika diesen Moment für sich brauchte. Sie waren sich nahegekommen, in den letzten Tagen, aber der Schmerz, den sie empfinden mochte, war zu intim, als daß sie ihn mit ihm zu teilen bereit war.

»Habt ihr ... eine Lösung gefunden?« fragte sie.

»Wir wären schon froh, wenn wir das Problem gefunden hätten«, sagte Franke. Im allerersten Moment empfand Warstein diese Art der Antwort als vollkommen unpassend. Aber Angelika lächelte plötzlich wieder. Natürlich heiterten Frankes Worte sie nicht wirklich auf, aber sie schien die gute Absicht, die dahinter steckte, in diesem Moment deutlicher zu spüren als Warstein.

»Vielleicht sollten wir noch einmal gemeinsam danach suchen«, schlug sie vor. Franke machte eine einladende Geste. Sie verließen das Labor unter dem Berg auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren, und auf die gleiche, umständliche Weise. Nach allem, was Warstein in der letzten Stunde erfahren hatte, kamen ihm die Sicherheitsvorkehrungen hier drinnen geradezu lächerlich vor. Sie hatten über nichts Geringeres als den Weltuntergang gesprochen, und sie verloren kostbare Zeit damit, einem Computer ihre Plastikausweise zurückzugeben! Er protestierte nicht, sondern ließ die Prozedur klaglos über sich ergehen.

Er atmete erleichtert auf, als sie endlich wieder in den Tunnel hinaustraten. Erst im Nachhinein wurde ihm klar, warum er sich die ganze Zeit über, in der sie in Frankes geheimem Labor gewesen waren, so unwohl gefühlt hatte. Es war das Gefühl gewesen, eingesperrt zu sein. Im Grunde hatte sich an ihrer Umgebung nicht viel geändert, aber dort drinnen hatte er das Gewicht der Millionen und Abermillionen Tonnen Fels, das über ihnen schwebte, beinahe zu fühlen geglaubt, und obwohl die klimaanlagengefilterte Luft dort drinnen fast besser gewesen war als hier im Tunnel, glaubte er wieder freier atmen zu können. Die Soldaten, die sie bis zur Tür begleitet hatten, warteten noch immer auf sie. Sie hielten auch jetzt einen respektvollen Abstand zu ihnen ein, als sie sich nach links wandten und Franke folgten, aber sie blieben auch nicht zurück. Warstein war plötzlich gar nicht mehr so sicher wie noch vor einer halben Stunde, ob es überhaupt in Frankes Macht gestanden hätte, sie wegzuschicken. Seinen Worten und auch seinem Benehmen nach hielt er sich für den uneingeschränkten Herrscher über dieses Projekt, aber vielleicht stimmte das nicht. Vielleicht waren diese Männer nicht nur hier, um ihn zu beschützen.

Sie bewegten sich von den beiden ICEs fort und auf einen dritten, von einer schweren Diesellok gezogenen Zug zu, der hundert Meter vor ihnen auf den Schienen stand. Als sie näher kamen, sah Warstein, daß er nur einen einzigen Hänger hatte, der jedoch von geradezu gewaltigen Ausmaßen war. Es handelte sich um einen jener niedrigen, ungemein massiven Spezialwagen, die für Schwersttransporte gebaut waren. Auf der mit Stahlträgern verstärkten Ladefläche befand sich jedoch kein Brückenpfeiler oder das Segment eines zehn Meter durchmessenden Betontunnels, sondern ein dunkelgrün lackierter, quadratischer Block, der so massiv aussah, als wäre er aus einem einzigen Stück gegossen. Unterarmdicke Stahltrossen sicherten ihn in alle Richtungen, und an seiner Rückseite befand sich eine massiv aussehende Buchse, von der eine Kabelverbindung ausging. Sie endete in einem transportablen Schaltpult, das neben dem Gleis aufgebaut worden war.

»Was ist das?« fragte Lohmann.

»Gleich«, antwortete Franke. Er gestikulierte dem Journalisten zu, von den Schienen herunterzutreten, und Lohmann beeilte sich, der Aufforderung zu folgen, als sich der Zug mit einem leichten Ruck und einem lang nachhallenden Scheppern und Klirren in Bewegung setzte. Er rollte jedoch nur zwei oder drei Meter weit, ehe er wieder stehenblieb. Franke betrachtete ihn nachdenklich, zog einen winzigen Computer aus der Jackentasche und klappte ihn auf.