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Und absolut tot.

Warstein wollte schon wieder einhängen, als er doch etwas hörte: ein fernes Knistern und Rauschen, das ihn im allerersten Moment fast noch mehr erschreckte als das Schweigen zuvor - obwohl es nichts anderes war als das, was er sich gerade so sehnlichst gewünscht hatte: Störgeräusche.

Bei einer digitalen Verbindung?! Warstein spürte, wie sich ihm jedes einzelne Haar am Leib sträubte. Das war nicht möglich. Niemand konnte seinen Laser stören. Man konnte ihn unterbrechen, aber nicht stören.

»Zum Teufel noch mal, jetzt hört der Spaß endgültig auf!« blaffte Frankes Stimme in sein Ohr. »Legt die Spielkarten weg, oder was ihr sonst immer tut, und meldet euch!«

»Franke, Gott sei Dank!« sagte Warstein. Plötzlich wußte er, was man darunter verstand, wenn man sagte, daß einem ein Stein vom Herzen fiel. »Hören Sie, irgend etwas ist hier...«

»Also gut«, fuhr Franke in gefährlich leisem Ton fort. »Ihr habt es nicht anders gewollt. Wenn ihr euch einen Spaß mit uns erlauben wollt, werden wir sehen, wer zuletzt lacht.«

Warstein erstarrte. Der Stein war wieder da. Und er war gewachsen.

»Das ist die letzte Warnung. Wer immer gerade zuhört, tut besser daran, sich zu melden, oder ich ziehe euch die gesamte Schicht vom Lohn ab. Und zwar allen.« Warstein spürte, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Unter der im Moment reichlich durcheinandergewirbelten Oberfläche seiner Gedanken hatte er bereits begriffen, was Frankes Worte bedeuteten - aber er weigerte sich noch für einen Moment, es zu glauben.

»Also gut, meine Herren.« Er konnte hören, wie Franke den Hörer senkte und mit jemandem in seiner Nähe sprach. Die Worte waren um etliches leiser, aber noch immer gut zu verstehen. Für Warsteins Geschmack entschieden zu gut. »Vielleicht ist die Verbindung wieder einmal zusammengebrochen. Jemand nimmt ab, aber er antwortet nicht.«

»Dann sollten wir jemanden in den Tunnel schicken, der sich drum kümmert. Sie wissen, wie kleinlich die Gewerkschaft in Sicherheitsfragen ist.«

»In Ordnung.« Franke lachte leise. »Und ich weiß auch schon, wen.«

»Spielen Sie dem armen Jungen nicht ein bißchen zu sehr mit, in letzter Zeit?«

»Der arme Junge hat dieses Scheißsystem immerhin erfunden. Und ein kleiner Spaziergang wird ihm guttun. Er sieht in letzter Zeit wirklich schlecht aus.« Franke hängte ein. Die Verbindung war wieder tot. Ohne Störgeräusche. Ohne Frankes Stimme, die ein Gespräch führte, das mehr als zwei Stunden alt war und das stattfand, nachdem er, Franke, ins Rechenzentrum gekommen war, um ihm ein wenig Bewegung zu verschaffen!

3

Während er in der Mappe blätterte, hatte Angelika Berger offensichtlich Freundschaft mit Vlad geschlossen: Der Kater lag quer über ihren Beinen, ließ sich genüßlich hinter den Ohren kraulen und dankte es seiner Wohltäterin, indem er mit seinen Krallen Fäden aus ihrem Rock zog. Berger schien das nichts auszumachen. Zum ersten Mal, seit sie hereingekommen war, erblickte er ein Lächeln auf ihrem Gesicht, als er den Ordner nach einer halben Stunde zuklappte und aufsah. Sie war sehr viel hübscher, wenn sie lächelte, dachte er - aber wer war das nicht?

»Eine beeindruckende Sammlung«, sagte er, wobei er ganz bewußt darauf achtete, seine Stimme wertfrei klingen zu lassen. Er war nach wie vor entschlossen, sich nicht in ihre Angelegenheiten zu mischen; nach dem, was er in ihrer Mappe gelesen und gesehen hatte, weniger denn je. Aber er vergab sich nichts, wenn er seine Absage etwas freundlicher formulierte.

Berger hörte auf, den Kater zu kraulen; aber nur eine Sekunde lang - genau so lange brauchte Vlad nämlich, um ihr mit seinem melonengroßen Kopf einen freundschaftlichen Stupser unter das Kinn zu versetzen, der sie um ein Haar von der Couch gefegt hätte.

»Mein Mann hat drei Jahre lang alles gesammelt, was er über den Tunnel finden konnte«, antwortete sie, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden und die Hand hastig wieder zwischen Vlads Ohren gesenkt hatte. »Das ist noch nicht alles. Ich ... ich habe noch mehr zu Hause. Videos, Cassetten... Wenn ... wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«

»Wozu?« fragte Warstein beinahe sanft. Der schüchterne Funke von Hoffnung, der bei seinen Worten in ihren Augen aufgeglommen war, erlosch wieder.

»Aber ich dachte, Sie ... Sie interessieren sich...«

»...für den Berg?« Warstein schüttelte den Kopf, legte die Mappe auf den Tisch zurück und schob sie ihr mit einer demonstrativen Bewegung zu. »Nein. Nicht im mindesten. Wie ich Ihnen vorhin schon sagte: das ist Vergangenheit.« Verdammt noch mal, was mußte er noch tun, um ihr beizubringen, daß er ihr gar nicht helfen konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Er hatte nicht nur Hausverbot auf dem gesamten Gelände des Gridone-Tunnels. Franke hatte ihn wahrscheinlich insgeheim in der gesamten Schweiz für vogelfrei erklären lassen und einen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt.

»Das ist es nicht!« beharrte Berger. Sie klang jetzt zugleich hilflos wie aggressiv; aber die Hilflosigkeit überwog. Warstein hoffte beinahe, daß sie ihn anschreien würde - das würde es ihm leichter machen, sie hinauszuwerfen. Statt dessen aber füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie kämpfte sie zurück, aber er sah, wie schwer es ihr fiel. »Es ist nicht vorbei, Herr Warstein«, sagte sie mühsam. »Was in dieser Mappe steht, war nur der Anfang. Mein ... mein Mann und alle anderen, die damals bei ihm waren, sind verschwunden. Am gleichen Tag, an dem die Geschichte mit dem Zug passierte.«

»Das Attentat?« fragte Warstein. Er hatte davon in den Nachrichten gehört. Die Geschichte hatte drei Tage lang sämtliche Schlagzeilen gefüllt. Dreißig Tote und ein Zug im Werte von knapp hundertfünfzig Millionen harter D-Mark waren schließlich kein Pappenstiel.

»Das war kein Attentat«, behauptete Berger.

»Was sonst?«

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete sie. »Aber ich bin sicher, daß sie es nur so hinstellen. Um ... um irgend etwas zu vertuschen.«

»Und was?«

»Ich dachte, das könnten Sie mir beantworten.« Sie hörte wieder auf, den Kater zu streicheln, und als er ihr diesmal einen Kinnhaken verpassen wollte, versetzte sie ihm einen leisen Klaps auf die Nase. Vlad verzichtete zu Warsteins Überraschung darauf, ihr für diese Unverfrorenheit die Kehle durchzubeißen, sondern kroch nur beleidigt von ihrem Schoß, blieb aber zusammengerollt neben ihr liegen. Sie konnte wirklich gut mit Tieren umgehen.

»Wie kommen Sie auf diese Idee?« fragte er. Er hob die Hand, ehe sie antworten konnte, und fuhr mit leicht erhobener Stimme fort: »Wenn Sie die Geschichte damals wirklich so aufmerksam verfolgt haben, wie Sie behaupten, dann wissen Sie doch, was geschehen ist. Ich muß irgendwie ausgerastet sein. Blackout. So etwas kommt vor. Wir haben nie herausgefunden, was ihrem Mann und den anderen damals wirklich zugestoßen ist, aber was immer es war, es hat auch mich erwischt. Und wie es aussieht, ein bißchen übler als sie. Ich war eine Weile völlig gaga, wissen Sie? Aber das ist vorbei.«

»Haben Franke und die anderen Ihnen das so lange eingeredet, bis Sie es selbst glauben, oder sind Sie nur feige?« fragte sie herausfordernd.

Verdammt, begriff Sie denn nicht, daß er es glauben wollte, mit jeder Faser seiner Seele, weil das vielleicht der einzige Weg war, nicht völlig den Verstand zu verlieren? »Wenn Sie unverschämt werden, werfe ich Sie raus«, sagte er ganz ruhig. »Vielleicht sollte ich das sowieso tun.«

»Aber warum wollen Sie denn nicht verstehen, daß -«

»Hören Sie mir zu, Frau Berger«, fuhr Warstein fort, beinahe leiser als zuvor, aber in einem Ton, der ihr klar zu machen schien, wie ernst er es jetzt meinte. »Es geht Sie zwar nichts an, aber ich werde Ihnen trotzdem erklären, warum mich für den Rest meines Lebens keine zehn Pferde mehr in die Nähe dieses Berges bekommen werden. Ich verstehe Sie, viel besser, als Sie vielleicht glauben. Und Sie tun mir leid, denn ich sehe, wie sehr Sie leiden. Deshalb will ich es Ihnen erklären - und ich hoffe, daß Sie mich dann besser verstehen.« Er machte eine weit ausholende Geste, die seine verkommene Wohnung und ihn selbst gleichermaßen einschloß. »Sehen Sie sich um, falls Sie es noch nicht getan haben. Vor drei Jahren war ich ein erfolgreicher junger Vermessungstechniker und Ingenieur. Ich habe mein Diplom mit Auszeichnung gemacht, und ich habe ein paar Geräte konstruiert, die die gesamte Fachwelt haben aufhorchen lassen.«