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»Ihren Laser.«

»Ja«, bestätigter er bitter. »Meinen Laser.« Der die Länge des Tunnels nach dem Durchstich mit sechs Lichtminuten angegeben hatte. Oder die Kleinigkeit von einhunderteinundreißig Millionen Kilometern.

»Dieser Berg hatte mich vernichtet«, fuhr er fort. »Ich habe mich vor der ganzen Welt bis auf die Knochen blamiert. Meine berufliche Karriere ist am Ende, und so ganz nebenbei ist auch noch meine Ehe den Bach runtergegangen. Ich lebe heute von der Sozialhilfe, und wenn ich nicht gerade besoffen bin, dann starre ich in die Glotze, bis mir die Augen zufallen, und streite mich morgens mit dem Kater um das, was noch im Kühlschrank ist.«

»Aber ich nehme an, er gewinnt meistens«, sagte sie.

»Wieso?« erwiderte Warstein verwirrt.

»Weil er eindeutig besser aussieht als Sie«, antwortete Berger.

Warstein blieb nicht nur ernst - er wurde allmählich wirklich zornig. »Zum Teufel, hören Sie mir eigentlich zu?« fauchte er. »Begreifen Sie nicht, was ich Ihnen sagen will? Dieser Berg hat mir alles genommen. Er hat mein Leben zerstört. Vielleicht wäre ich wirklich besser dran, wenn ich tot wäre.«

»Aber dann könnten Sie sich doch nicht so schön in ihrem Selbstmitleid sonnen«, sagte Berger. Sie lächelte traurig und begann wieder, Vlad zu kraulen. »Glauben Sie, ich weiß das nicht? Ich weiß eine Menge über Sie, glauben Sie mir. Frank ... mein Mann ... ist vor einer Woche verschwunden, und ich habe nicht einmal zwei Tage gebraucht, um Sie zu finden. Die restliche Zeit habe ich damit verbracht, mich zu fragen, ob Sie wirklich der richtige sind, um mir zu helfen.«

»Die Antwort ist eindeutig nein«, sagte Warstein.

»Wenn das, was Sie erzählt haben, die ganze Wahrheit wäre, sicher«, erwiderte Berger. »Aber das ist es nicht. Und das wissen Sie verdammt genau.«

Warstein fühlte sich so zwischen Zorn und Schmerz hin und her gerissen, daß das Ergebnis pure Hilflosigkeit war. Er sagte gar nichts. Aber irgend etwas in ihm war erwacht, und es war nichts Gutes. Sie hatte die Wunde nicht nur aufgerissen; sie hatte das Messer ein paarmal zu oft herumgedreht, als daß sie sich von selbst wieder schließen würde.

»Die Wahrheit ist, daß Sie die ganze Zeit über recht hatten«, fuhr sie fort. »In diesem Berg ist irgend etwas. Es war damals da, und es ist heute noch da, und es wird immer stärker. Und Franke und die anderen haben es die ganze Zeit über gewußt. Sie haben Sie geopfert, Warstein, um ihr kleines Geheimnis für sich zu behalten.«

»Und wenn es so wäre - was könnten Sie daran ändern?«

»Vielleicht könnte ich Ihnen helfen, sich zu rehabilitieren«, antwortete sie. »Wäre das den Einsatz nicht wert? Sie könnten der ganzen Welt beweisen, wer damals der Verrückte war und wer recht hatte.«

Warstein hatte gewußt, daß sie das sagen würde. Es war die logische Konsequenz aus allem, was er bisher gehört hatte. Etwas hätte gefehlt, hätte sie dieses letzte Argument nicht gebracht.

»Macht es Ihnen eigentlich Spaß, mich zu quälen?« fragte er.

»Nein. Aber ich habe keine Wahl.«

Während sie aufstand und mit kleinen Schritten im Zimmer umherzugehen begann, mußte sich Warstein eingestehen, daß er sie gründlich unterschätzt hatte. Ob sie nun vor Angst und Verzweiflung zitterte oder nicht - anscheinend hatte sie die vergangene Woche nicht nur damit zugebracht, sich den Kopf zu zerbrechen, ob er der Richtige war, sondern auch, sich jede mögliche Antwort auf jede denkbare Reaktion zurechtzulegen; und bisher hatte sie eindeutig Erfolg damit. Wahrscheinlich würde er sie doch k.o. schlagen müssen - einen Sieg nach Punkten konnte er gegen diese Frau nicht erringen.

»Haben Sie die gemalt?« fragte sie plötzlich. Sie war an der Wand neben dem Fernseher stehengeblieben und bewunderte eines seiner Bilder: eine verwirrende Farbkomposition aus ineinanderlaufenden Ringen und Kreisen, die sich vor den Augen des Betrachters zu drehen begannen, wenn er den Fehler beging, sie zu lange anzusehen.

»Ja«, maulte Warstein. »Und sparen Sie sich jeden Kommentar. Ich habe mich gehütet, sie meinem Psychoanalytiker zu zeigen.«

Berger lachte - es war das pflichtschuldigste Lachen, das er je gehört hatte -, schüttelte den Kopf und trat an das zweite der drei Bilder, die die Fettflecken auf der zehn Jahre alten Rauhfaser zu überdecken versuchten: ein Konstrukt aus Würfeln und Kuben, die auf schier unmögliche Weise ineinandergeschachtelt waren. Das dritte zeigte regenbogenfarbige Schlangenlinien - oder auch nicht. Wenn man zu lange hinsah, wußte man es nicht mehr genau.

»Sie verstehen mich falsch«, sagte sie. »Sie gefallen mir. Sie haben etwas ... Faszinierendes.«

»Mir Komplimente zu machen, nutzt Ihnen auch nichts«, sagte Warstein so unfreundlich, wie er gerade noch konnte, ohne wirklich zu schreien.

»Aber das mache ich nicht«, behauptete Berger und trat an das dritte Bild heran. »Ich verstehe nichts von Kunst, aber das ist ... zumindest außergewöhnlich. Haben Sie damit angefangen, nachdem Sie aus der Schweiz zurückgekehrt sind?«

»Ich hatte Zeit genug«, sagte Warstein. Tatsächlich hatte er nicht unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Ascona, sondern ein halbes Jahr später zu malen begonnen, und wirklich aus nichts als purer Langeweile. Er verstand vielleicht etwas von Computern und geometrischen Formeln, aber er war zeit seines Lebens nicht einmal in der Lage gewesen, ein halbwegs vernünftiges Strichmännchen zu Papier zu bringen. Viele von denen, die seine Bilder gesehen hatten, behaupteten, daß das heute noch so sei.

»Wissen Sie, daß mein Mann auch gemalt hat, nachdem er aus der Schweiz zurückgekehrt ist?« fragte Berger plötzlich - und in einem so beiläufig harmlosen Tonfall, daß ihm das eigentlich eine Warnung hätte sein müssen. »Und von einigen der anderen weiß ich es auch. Ich frage mich, ob das Zufall ist.«

»Nein«, sagte Warstein feindselig. »Bestimmt nicht. Am Anfang habe ich Berge aus Kartoffelpüree modelliert, aber das war eine zu große Schweinerei, und ich konnte das Zeug schließlich nicht mehr sehen.«

»Was, wenn ich beweisen kann, daß wir eine gute Chance haben, alles aufzudecken?« fragte sie unvermittelt.

Auch damit hatte er gerechnet. Und obwohl er wußte, daß er es vermutlich schon in der nächsten Minute bitter bereuen würde, hörte er sich selbst antworten: »Und wie?«

»Der Zug«, antwortete Berger. »Was immer dem Zug zugestoßen ist, ist schon einmal passiert.«

»Unsinn«, behauptete Warstein. »Davon hätte ich gehört. Jeder hätte davon gehört.«

»Es war nicht so dramatisch, und sie haben versucht, es zu vertuschen. Aber vor vier Wochen hat schon einmal ein ICE den Tunnel passiert. In aller Stille - ich nehme an, sozusagen als Generalprobe für die Jungfernfahrt.«

»Und er ist auch in die Luft gesprengt worden?« fragte er spöttisch.

»Nein. Aber irgend etwas ist schiefgelaufen, und sie haben sich verdammt viel Mühe gemacht, es zu vertuschen. Erfreulicherweise ist es ihnen nicht ganz gelungen.« Sie stockte einen kleinen, aber bedeutungsschweren Moment. »Ich ... habe vorhin gesagt, daß Sie der einzige sind, der mir helfen könnte, aber das ... das war nicht ganz die Wahrheit.«