»Das scheint dem armen Kerl da genauso zu gehen.« Angelika deutete lachend auf den Zollbeamten, der mit ziemlich ratlosem Gesicht abwechselnd die Ausweispapiere und deren buntgekleidete Besitzer ansah. »Ich glaube, die Probleme mit ihren Papieren hat vielmehr er.«
»Irgend jemand sollte ihm helfen«, sagte Warstein.
»Sicher. Ich muß nur eben meine Kisuaheli-Kenntnisse wieder ein bißchen aufpolieren«, antwortete Angelika. »Ich bin ein wenig aus der Übung, fürchte ich.«
Sie sahen noch eine Weile amüsiert zu, bis der Zollbeamte schließlich entnervt aufgab und die drei Schwarzen passieren ließ. Die Situation entbehrte trotz allem nicht einer gewissen Komik. Warstein sah den drei Afrikanern nach, bis die Menschenmenge in der Halle sie aufgesogen hatte.
Eine Sekunde später erlosch sein Lächeln, und seine Haltung versteifte sich. Er hatte es bisher nicht für möglich gehalten, aber er spürte selbst, wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich.
»Was hast du?« fragte Angelika alarmiert.
»Franke«, antwortete Warstein. Er war nicht sicher, ob sie ihn verstand. Auch seine Stimme gehorchte ihm nicht mehr richtig.
»Wie bitte?« fragte Angelika.
Warstein deutete wortlos auf die grauhaarige Gestalt im Maßanzug, die mit energischen Schritten auf Angelika und ihn zukam. Es war Franke. Er sah ein bißchen müde aus, und er war auf eine Weise gekleidet, die Warstein nicht von ihm gewohnt war, aber es war Franke. Und er bewegte sich nicht zufällig in ihre Richtung, sondern steuerte ganz gezielt auf Warstein zu.
»Ist das Franke?« fragte Angelika.
Im ersten Moment fand Warstein die Frage einfach lächerlich. Dann erinnerte er sich daran, daß Angelika Franke ja gar nicht kennen konnte. Trotz des ganzen Presserummels damals hatte Franke es geschafft, sein Gesicht aus den Zeitungen herauszuhalten. Soviel Warstein wußte, war niemals auch nur ein einziges Foto von ihm veröffentlicht worden.
Er kam nicht dazu, Angelika zu antworten. Franke hatte sie erreicht, und Warstein sah erst jetzt, daß er nicht allein gekommen war. In seiner Begleitung befanden sich zwei kräftig gebaute, untersetzte Burschen in billigen Anzügen und Sonnenbrillen, denen man die bezahlten Bodyguards auf fünfzig Meter ansah.
»Warstein!« begann Franke. Er sprach laut, unfreundlich, und er machte sich nicht einmal die Mühe, sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. »Ich dachte, ich hätte Ihnen beim letzten Mal unmißverständlich klargemacht, daß ich Sie in diesem Land nicht mehr sehen will.«
»Franke«, stotterte Warstein. »Wo ... wo kommen Sie denn her?«
»Ich könnte jetzt sagen, daß ich ganz zufällig vorbeigekommen bin«, antwortete Franke. »Aber das wäre nicht die Wahrheit. Tatsache ist, daß ich einzig Ihretwegen hierhergekommen bin, mein lieber Freund. Und ich bin nicht besonders erfreut darüber.«
Warstein musterte abwechselnd ihn und seine beiden Begleiter. Aus der Nähe betrachtet sahen die beiden noch ein bißchen einfältiger aus als von weitem. Allerdings auch gefährlicher.
»Stehen Sie neuerdings auf der Gehaltsliste der Mafia, Franke?« fragte Warstein. Er hatte den Schock, den Frankes plötzliches Erscheinen ihm bereitet hatte, überwunden.
»Ich sagte Ihnen bereits, daß ich im Moment nicht besonders guter Laune bin«, antwortete Franke. »Vielleicht sparen Sie sich Ihren Humor für jemanden auf, der ihn mehr zu würdigen weiß. Was tun Sie hier?«
»Ich mache Urlaub«, antwortete Warstein feindselig.
»Wie witzig«, erwiderte Franke. Sein Blick löste sich von Warstein und glitt rasch und taxierend über Angelikas Gesicht. »Und ich nehme an, Sie sind ebenfalls nur hier, um Urlaub zu machen, Frau Berger? Rein zufällig, versteht sich?«
»Sie kennen meinen Namen?« sagte Angelika überrascht.
»Ich weiß alles, was ich wissen muß«, antwortete Franke. »Was auf Sie offenbar nicht zutrifft. Sonst wüßten Sie, daß es nicht besonders ratsam ist, sich in Warsteins Nähe aufzuhalten. Er verbreitet Unglück, wissen Sie? Die meisten Leute, die sich zu intensiv mit ihm abgegeben haben, sind auf die eine oder andere Weise zu Schaden gekommen. Denken Sie nur an Ihren Mann.«
Angelika fuhr zusammen. »Sie...«
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Franke rasch. »Ich spreche von damals, nicht von dem, was jetzt passiert ist. Warum sind Sie nicht zu mir gekommen, statt sich an einen Mann zu wenden, der seit drei Jahren sein möglichstes tut, um sich um den Verstand zu saufen?«
»Zu Ihnen?«
»Ich hätte Ihnen helfen können«, sagte Franke. »Jedenfalls hätte ich es versucht. Warstein sucht doch nur jemanden, der ihm hilft, sich an mir zu rächen.«
»Wollen Sie damit sagen, Sie ... Sie wissen, wo mein Mann ist?« fragte Angelika.
»Nein«, antwortete Franke. »Aber ich bin sicher, ich könnte es herausfinden. Sehen Sie - ich bin ehrlich zu Ihnen. Ich hätte durchaus behaupten können, den Aufenthaltsort Ihres Gatten und der anderen zu kennen, nur um Sie von diesem Verrückten da wegzubekommen. Aber ich will Sie nicht belügen. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn Sie auf mich hören und einen guten Rat annehmen würden: steigen Sie in die nächste Maschine und fliegen Sie nach Hause. Sie handeln sich nur unnötigen Ärger ein, wenn Sie in Warsteins Nähe bleiben.«
»Wollen Sie mir drohen?« fragte Angelika.
»Ich bitte Sie!« Franke lächelte. »Ich meine es ehrlich. Warum, glauben Sie, ist dieser Mann hier? Um Ihnen bei Ihrer Suche nach Ihrem Mann zu helfen? Kaum.«
»Ich weiß«, antwortete Angelika ruhig. »Aber vielleicht reicht es mir ja schon, dabei zuzusehen, wie er Ihnen Schwierigkeiten bereitet.«
»Das wird kaum geschehen«, erwiderte Franke. Er zog einen schmalen weißen Umschlag aus der Jacke und reichte ihn Warstein.
»Was ist das?« fragte Warstein.
»Eine gerichtliche Verfügung, die Ihnen verbietet, sich dem Gridone auf mehr als zwei Kilometer zu nähern«, antwortete Franke.
»Aber das ist doch lächerlich!« protestierte Angelika.
»Vielleicht«, antwortete Franke ungerührt. »Ich bin sogar sicher, daß jeder einigermaßen geschickte Anwalt diese Verfügung mit Erfolg anfechten könnte. Aber bis es soweit ist, muß ich Ihren Freund bitten, den Inhalt dieses Schreibens zu respektieren. Wenn nicht, wird es mir ein Vergnügen sein, dabei zuzusehen, wie man ihn mit einem Tritt aus dem Land befördert.«
»Gilt das auch für mich?«
Franke drehte sich herum - und starrte eine Sekunde lang auf Lohmanns obersten Hemdenknopf, ehe er auf den Gedanken kam, einen Schritt zurückzutreten und den Kopf in den Nacken zu legen.
»Wer sind Sie?« fragte er verärgert.
»Das spielt keine Rolle«, sagte Lohmann grinsend. »Viel wichtiger ist, daß ich weiß, wer Sie sind. Wie sieht es aus - wollen Sie mich auch unter Druck setzen, damit ich das Land verlasse? Nur zu. Es würde gut zu dem passen, was ich schon habe.« Er schwenkte fröhlich ein kleines Diktiergerät. Das rote Licht brannte, und die beiden Spulen drehten sich.
»Ach so ist das«, sagte Franke. »Sie sind Journalist, richtig?«
»Das könnte schon sein«, sagte Lohmann.
Franke seufzte. »Die Kassette - bitte.«
»Ganz bestimmt nicht«, antwortete Lohmann fröhlich. »Ich glaube nicht, daß...« Der Rest seiner Worte ging in einem Schmerzlaut unter. Franke hatte eine rasche, befehlende Geste zu dem Mann zu seiner Linken gemacht, und der Kerl streckte fast gelassen den Arm aus, packte Lohmanns Hand und drückte sie kräftig zusammen. Es dauerte kaum eine Sekunde, bis Lohmann das Diktiergerät losließ. Franke fing es geschickt auf, entfernte die Kassette und gab Lohmann das Gerät zurück.
»Sie begreifen es nicht, wie?« fragte Warstein kopfschüttelnd. »Wir sind hier in der Schweiz, Franke, nicht im Wilden Westen.«
»Da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher«, antwortete Franke. Er deutete mit dem Kopf auf den Umschlag, den Warstein noch immer in der Hand hielt. »Lesen Sie es gründlich, Warstein, und tun Sie sich selbst einen Gefallen und beherzigen Sie die Warnung.«