Выбрать главу

»Und wenn nicht?«

»Dann tun Sie mir einen Gefallen, denn ich kann endlich dabei zusehen, wie Sie eingebuchtet werden«, antwortete Franke. »Und glauben Sie mir, ich werde persönlich dafür sorgen, daß man die Tür hinter Ihnen zumauert.«

Als sie losgefahren waren, hatte nicht eine einzige Wolke am Himmel gestanden. Es war sogar ungewöhnlich warm für die Jahreszeit gewesen - immerhin stand der Oktober vor der Tür, eine Zeit des Jahres, in der das Wetter gerade hier, am südlichen Rand der Alpen, immer für eine Überraschung gut war. Und seit einigen Tagen spielte es vollkommen verrückt. Salieri hatte am Morgen sogar daran gedacht, die Fahrt abzusagen - denn nicht nur das Wetter bereitete ihm Kopfzerbrechen, ganz Ascona schien seit der Katastrophe des ICE kopfzustehen. Man hatte ihn gewarnt, unter diesen Umständen auf den See hinauszufahren. Wäre er allein gewesen, hätte er es mit ziemlicher Sicherheit auch getan. Oder auch nicht, denn wäre er allein gewesen, hätte er diese Bootsfahrt auf dem Lago Maggiore erst gar nicht geplant. Nein, wäre er allein gewesen, wäre er wahrscheinlich erst gar nicht hierher gekommen, sondern hätte seinen Urlaub wie in den Jahren zuvor in den Bergen seiner sizilianischen Heimat verbracht. Aber er war nicht allein. Und er würde es nie wieder sein, dachte er zufrieden.

Der Grund dafür, daß Salieri trotz seiner Abneigung gegen Wasser und alles, was damit zu tun hatte, jetzt im Heck eines winzigen schaukelnden Motorbootes saß, die heraufziehenden Wolken betrachtete, gleichzeitig mit einem Teil seiner Konzentration gegen die leichte Übelkeit ankämpfte, die sich gleich nach Beginn der Fahrt in seinem Magen ausgebreitet hatte, und trotzdem rundum zufrieden und so glücklich wie selten zuvor im Leben war, hieß Mariella, war siebenundzwanzig Jahre alt und hatte schwarzes Haar, schwarze Augen und eine geradezu traumhafte Figur, die nicht einmal das gelbe Ölzeug, das sie gerade anzuziehen im Begriff war, vollends verbergen konnte. O ja, und sie war seit genau vier Tagen und sechseinhalb Stunden seine Frau.

Seine Frau... Mario ließ das Wort ein paarmal auf der Zunge zergehen, wie den Geschmack eines kostbaren Weines. Es verlor nichts von seiner Faszination. Das hatte es in den vergangenen vier Tagen nicht getan, und irgendwie spürte er, daß es das auch in den nächsten vierzig Jahren nicht tun würde. Natürlich war das eine naive Vorstellung, und im Grunde wußte er das auch. Aber es war auch eine schöne Vorstellung, und so hielt er sie zumindest für den Moment noch fest.

Seine Gedanken schienen deutlich auf seinem Gesicht abzulesen zu sein, denn Mariella blickte plötzlich fragend und legte dann die Stirn in Falten. Es sah hübsch aus, so wie alles an ihr irgendwie hübsch war. Sie war keine ausgesprochene Schönheit, aber sie war auf eine natürliche Art hübsch und fröhlich, die beinahe noch faszinierender war.

»Woran denkst du?« fragte sie.

»An nichts«, antwortete Mario. »Mir ging nur gerade durch den Kopf, wie sehr Gott mich doch lieben muß, mir eine Frau wie dich zu schenken.«

»Gott? Wer ist das?« Mariella bemühte sich, einen Ausdruck von Mißtrauen auf ihr Gesicht zu zaubern und drohte ihm mit dem Zeigefinger. »Du hast mir nichts davon gesagt, daß es noch jemanden gibt, der dich liebt!«

Mario lachte, obwohl er diese Art von Scherzen im Grunde nicht mochte, denn er war ein gläubiger Christ und empfand einen tiefen Respekt vor allem, was mit Religion zu tun hatte. Mariella hatte vor gar nichts Respekt, aber sie ging dabei niemals so weit, wirklich verletzend zu werden. Trotzdem - wenn ihre Hochzeitsreise vorbei war, würden sie nach Sizilien fliegen, um Mariella der Familie vorzustellen, ehe sie in ihre gemeinsame Wohnung in Rom zurückkehrten. Vielleicht war es besser, dachte er, wenn er mit ihr sprach, damit sie sich wenigstens dort ein wenig zurückhielt.

Aber nicht jetzt. Im Augenblick hatten sie Wichtigeres zu tun. Wie zum Beispiel...

»Nehmen Sie dieses unverschämte Grinsen von Ihrem Gesicht, Signore Salieri«, sagte Mariella. »Wir sind zwar in den Flitterwochen, aber ich glaube mich zu erinnern, daß wir heute morgen beinahe das Frühstück verpaßt hätten. Obwohl du mich um...« Sie legte den Kopf schräg und überlegte einen Moment. »Wann war es? Sieben?«

»Halb sieben. Beinahe.«

»...um kurz vor halb sieben geweckt hast«, führte Mariella den Satz zu Ende.

»Aber das ist schon wieder fast fünf Stunden her«, protestierte Mario.

»Ich frage mich, was deine arme alte Mama dazu sagen würde, wenn sie wüßte, was für ein Lüstling ihr ältester Sohn geworden ist.«

»Meine arme alte Mama hat neun Kinder.« Mario versuchte nach ihr zu greifen, aber sie wich ihm mit einer spielerischen Bewegung aus und floh in den vorderen Teil des Bootes. Das kleine Schiffchen begann unter der Bewegung so heftig zu schwanken, daß Mario es nicht wagte, sie zu verfolgen, was er eigentlich vorgehabt hatte. »Was denkst du, woher die gekommen sind?«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte Mariella und lachte. Mario liebte ihr Lachen. Er konnte sich an keine Stunde erinnern, in der sie nicht mindestens einmal gelacht hatte.

»Soll ich es dir erklären?« Er stand auf, sehr vorsichtig, damit das Boot nicht wieder wild zu schaukeln begann, und machte einen Schritt auf sie zu, doch plötzlich hob Mariella die Hand und deutete nach oben.

»Sieh doch mal!«

Im ersten Moment dachte Mario, es wäre ein Teil ihres Spieles, um ihn abzulenken, aber der Ausdruck von Verblüffung auf ihrem Gesicht war echt, und so drehte auch er sich halb herum und hob den Kopf, um in den Himmel hinaufzusehen.

Er erkannte sofort, was Mariella meinte. Das Wetter hatte sich weiter verschlechtert. Entlang einer so präzise wie mit einem Lineal gezogenen Linie war der Himmel jetzt von schwarzen und grauen Wolken bedeckt, die sich zu bizarren Gebilden türmten und dunkle, rauchige Arme fast bis zur Erde hinabsandten. Er hatte es bisher gar nicht gemerkt, aber der Anblick ließ ihn spüren, wie kalt es mit einem Mal geworden war.

»Unheimlich«, murmelte er. »Ich habe noch nie erlebt, daß sich das Wetter so schnell ändert.«

»Vielleicht sollten wir besser zurückfahren«, schlug Mariella vor. »Bevor uns der Sturm hier draußen erwischt.«

Mario erhob keine Einwände. Er glaubte noch immer nicht, daß sie wirklich in Gefahr waren. Sie waren nicht weit vom Ufer entfernt - selbst in diesem winzigen Boot würden sie keine fünf Minuten brauchen, um an Land zu kommen. Aber er war plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß sie diese fünf Minuten noch hatten. Die Schlechtwetterfront näherte sich dem See mit phantastischer Geschwindigkeit. Die Wolken rollten heran wie in einer Zeitrafferaufnahme.

»Kannst du schwimmen?« fragte er, während er sich über den Außenbordmotor beugte und die Reißleine zog. Die kleine Maschine gab eine Anzahl blubbernder Laute von sich, sprang aber nicht an.

»Wie ein Fisch«, antwortete Mariella. »Warum?«

»Das trifft sich gut.« Mario zog ein zweites Mal und kräftiger an der Schnur. Diesmal hustete der Motor und stieß eine blaue Rauchwolke aus. »Ich nämlich nicht.«

»Das ist nicht dein Ernst!« sagte Mariella erschrocken.

»Ich fürchte doch. Sieh bitte nach, ob wir eine Schwimmweste dabei haben.«

Während Mariella hinter ihm lautstark im Boot herumzukramen begann, versuchte er zum dritten Mal vergebens, den Außenborder zu starten. Das verdammte Ding wollte einfach nicht anspringen.

Mario fluchte leise vor sich hin und zermarterte sich das Hirn, um sich an die Erklärung des Bootsverleihers zu erinnern. Der Mann hatte ihm gesagt, was zu tun sei, wenn die Maschine nicht ansprang, aber er hatte nur mit einem Ohr zugehört - der allergrößte Teil seiner Konzentration hatte Mariella gegolten, die im Badeanzug auf dem Bootssteg stand und einfach phantastisch aussah. Es war ganz simpel, das wußte er noch. Wenn er sich nur erinnern könnte!