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Simon R. Green

Das dunkle Fort

»Es ist das Biest. Es weiß, was uns Angst macht.«

Im Hag gibt es eine Gegend, in der es nie hell wird. Die hohen Bäume greifen ineinander und schirmen das Tagesicht ab, und nichts, was dort lebt, hat je die Sonne gesehen. Kartographen nennen diese Gegend Finsterholz und warnen: Hier gibt es Dämonen.

Vor zehn Jahren dehnte sich das Finsterholz weiter aus, und zum ersten Mal seit ungezählten Jahrhunderten herrschte die lange Nacht über immer weitere Teile des Hags. Aus der Dunkelheit schwärmten Dämonen und entsetzlich verwachsene Gestalten, die alles niedermetzelten, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie konnten dann zwar aufgehalten und zurückgeschlagen werden, dies kam aber dem Hag und seinen Einwohnern teuer zu stehen. Die lange Nacht zog sich mit ihren Vasallen hinter die ursprünglichen Grenzen des Finsterholzes zurück.

In das verwüstete Land kehrte langsam Frieden ein, und man machte sich an den Wiederaufbau.

Seit dem Dämonenkrieg sind zehn Jahre vergangen. Allmählich heilen die Wunden im Hag. Im Finsterholz ist es still und leise, und nur wenige Dämonen wagen sich aus der ewigen Nacht hervor. Doch unweit der Grenze liegt in einem Dickicht, das keinen Sonnen- oder Mondenstrahl passieren lässt, ein uraltes Übel, schlafend und in faulen Träumen.

In Stein gekratztes Schweigen

Duncan MacNeil zügelte sein Pferd und schaute hinter sich. Dünne goldene Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen und das Halbdunkel des Waldes. Dicht an dicht ragten zu beiden Seiten des ausgetrampelten Pfades hohe Bäume auf, deren Zweige voll von üppigem Sommerlaub waren. Die schwüle, warme Luft roch nach Erde, Blättern und Borke. Ein paar Vögel sangen in den Wipfeln und warnten das Wild vor dem Reiter.

MacNeil rutschte ungeduldig im Sattel hin und her. Zwei Wochen schon war er unterwegs. Der Wald hatte für ihn an Reiz verloren, ja, er glaubte, für den Rest seines Lebens auf Bäume durchaus verzichten zu können. Er blickte über den Pfad zurück, doch von seiner Begleitung war noch immer nichts zu sehen. MacNeil senkte die Brauen. Er konnte es nicht leiden, warten zu müssen. Er schaute nach vorn, doch das dichte Gehölz versperrte ihm schon bald die Sicht. Er gab dem Pferd ein Zeichen, im langsamen Schritttempo weiterzugehen. Das Fort an der Grenze konnte nicht mehr weit sein, und es drängte ihn, endlich einen Blick darauf zu werfen.

Das dumpfe, gleichmäßige Schlagen der Hufe tönte in der Stille des Waldes laut und vernehmlich. Die Vögel hörten zu singen auf und das Wild hielt sich in den Schatten ringsum zurück. MacNeil führte die Hand ans Schwert, das an seiner Seite hing, und löste die Klinge in der Scheide. Er traute dem scheinbaren Frieden nicht und wollte kein Risiko eingehen. Sein Blick fiel auf eine Gruppe toter Bäume zur Linken. Sie waren verdreht und hohl, von innen heraus verfault. Über das knorrige, kahle Geäst wucherten Flechten. Auch nach zehn Jahren gab es weiterhin Stellen im Hag, die sich von der langen Nacht immer noch nicht erholt hatten.

Plötzlich gelangte MacNeil an den Rand einer Lichtung. Er hielt das Pferd an und beugte sich vor. Das Licht war so hell, dass er die Augen mit der Hand abschirmen musste. Er schaute und lächelte. Genau in der Mitte der weiten Lichtung stand die Grenzfeste, ein gewaltiges steinernes Bauwerk mit zwei massiven, eisenbeschlagenen Toren. An Stelle von Fenstern wies es nur eine Reihe von schmalen Schießscharten auf. MacNeil sah sich das Fort genauer an. Die zwei Tore waren fest verschlossen und es schien sich dahinter nichts zu rühren. Unter der späten Nachmittagssonne brüteten die dicken Mauern still und rätselhaft vor sich hin.

MacNeil richtete sich im Sattel wieder auf und krauste argwöhnisch die Stirn. Weder an den Toren noch auf der hohen Brustwehr waren Wachposten zu sehen. Da flatterten nirgends Fahnen oder Wimpel und aus keinem der vielen Schornsteine stieg Rauch empor. Falls das Fort besetzt war, machte man sich doch alle Mühe, unbemerkt zu bleiben. MacNeil warf einen Blick über die Schulter zurück. Von den anderen war immer noch nichts zu sehen. Er schaute wieder nach vorn auf das Fort und kniff die Brauen zusammen. Dass er so unvernünftig war und sich so weit von seinen Leuten entfernte, kam nicht häufig vor. Doch vor lauter Neugier erfahren zu wollen, was es mit dem Fort auf sich hatte, konnte er sich nicht länger zurückhalten.

Ein Gewitter zog auf. Er spürte es. Am Horizont quellten dunkle Wolken, und es war schon den ganzen Tag über drückend schwül. MacNeil schaute zum Himmel empor und fluchte leise. Er hatte vorgehabt, das Fort von außen in Augenschein zu nehmen und dann die Nacht im Wald zu verbringen. Nun aber deutete alles darauf hin, dass es draußen sehr ungemütlich werden würde, und er hatte keine Lust, im Nassen zu liegen, wenn es ganz in der Nähe trockene Betten gab. Er und seine Leute hatten schon allzu lange bei schlechtem Wetter im Freien campiert.

Er reckte sich und straffte die Schultern. Nach all der Aufregung bei Hofe, die um die Grenzfeste entstanden war, hatte er sich diesen Außenposten eigentlich beeindruckender vorgestellt. Grund dieser Aufregung war, dass das Fort schon einen Monat lang nichts mehr von sich hatte hören lassen, weder durch Boten noch Brieftauben. Und von den Boten, die der König ausgeschickt hatte, war keiner zurückgekehrt. Alchimisten und Zauberer versuchten, über Gedanken mit dem Fort Kontakt aufzunehmen, doch irgendetwas verhinderte ihren Zugriff. Die Berichte, die ihm vorgetragen wurden, machten dem König immer größere Sorgen, denn das Fort lag an der Grenze zwischen Hagreich und dem benachbarten Herzogtum von Grundland. Der Grenzverlauf war immer schon strittig gewesen, und in dem Wirrwarr, das auf die lange Nacht folgte, hatte Grundland einige Versuche unternommen, den Streit ein für allemal zu seinen Gunsten zu entscheiden. Daraufhin hatte der König von Hagreich das neue Grenzfort bauen lassen, um den Nachbarn vor Übergriffen abzuschrecken, und tatsächlich war dieser Grenzabschnitt plötzlich wieder friedlich geworden. Der Herzog von Grundland hatte mehrere Drohbriefe geschrieben, aber dann doch die Waffen gestreckt. Bis vor einem Monat. Die Hand auf dem Knauf des Schwertes, beobachtete MacNeil das stille Fort. Nichts deutete auf einen Missstand hin; an den dicken Mauern waren keinerlei Schäden zu erkennen, und auch die Lichtung machte einen ungestörten Eindruck.

Seltsam nur, dass sich nirgends irgendwelche Lebenszeichen zeigten. MacNeil wurde nervös. Auch sein Pferd wirkte gereizt.

Beruhigend tätschelte er den Hals des Tieres. Das Fort behielt er unverwandt im Blick.

Duncan MacNeil war ein groß gewachsener, muskulöser Mann Ende zwanzig. Die zerzausten blonden Haare reichten bis zu den Schultern; ein einfaches Stirnband aus Leder sorgte dafür, dass sie nicht ins Gesicht fielen.

Daraus stachen unter einer breiten Stirn zwei blaugraue, aufmerksame Augen hervor. An dem kräftigen Körper war kein Gramm Fett zu viel. Er trainierte fleißig, damit sich daran nichts änderte. Seine Kleidung war schlicht und zweckmäßig und seine lässige Haltung auf dem Rücken des Pferdes ließ erkennen, dass er viel Zeit im Sattel zubrachte. In einer ramponierten Scheide steckte sein Schwert, immer griffbereit.

Schon mit fünfzehn war er unter falscher Altersangabe der Garde beigetreten, vor allem aus Lust am Abenteuer.

Der Dämonenkrieg hatte ihm zwar den Kopf zurecht gerückt, doch tief im Innern konnte er sich nicht damit begnügen, einfach nur seinen Dienst zu tun und Sold dafür zu kassieren. Er brauchte den Nervenkitzel wie die Suppe das Salz, und dass er ständig darauf aus war, brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten und hatte schon einige Male dafür gesorgt, dass er, kaum befördert, wieder degradiert worden war. Nach einem besonders unglücklichen Vorfall und der Verwüstung einer Schankstube — vorausgegangen war seine Beschwerde über verwässertes Bier, die den Wirt zu heftigen Protesten gereizt hatte —, war er von seinen Vorgesetzten vor die Wahl gestellt worden, sich entweder den Rangern anzuschließen oder für den Rest seines Lebens im Steinbruch des Strafgefangenenlagers zu schuften.