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»Du hast gesagt, das Fort sei neu«, sagte sie plötzlich, ohne ihn anzusehen. »Weißt du, warum man es an dieser Stelle erbaut hat? Hat diese Lage eine Besonderheit, von der ich etwas wissen sollte?«

»Du weißt das meiste schon«, antwortete MacNeil. »Die Grenze zwischen unserem Königreich und Grundland verläuft genau durch die Mitte dieser Lichtung. Das Fort soll diesen Abschnitt sichern, was ihm ja bislang auch gelungen ist.«

Constance krauste die Stirn. »Soviel ich weiß, hat Grundland an Zauberkunst nicht viel zu bieten. Ein Fort dieser Größe auszuschalten liegt jenseits seiner Möglichkeiten.«

MacNeil betrachtete sie mit nachdenklicher Miene. »Spürst du was? Irgendeinen Zauber oder unmittelbare Gefahr?«

Constance schloss die Augen und zog sich auf ihr Zweites Gesicht zurück. Durch das geöffnete innere Auge kamen ihr nun Bilder und Empfindungen zu. Das Fort war kalt und leer wie ein verlassener Sarg, und doch schien es etwas zu behausen… etwas Schreckliches. Sie sammelte sich, versuchte, Einzelheiten aufzuspüren, konnte aber Genaues nicht erkennen. Fest stand nur, dass in nächster Nähe Gefahr lauerte. Constance fühlte eine große Macht wirken, und sie spürte Unheil. Ein klopfender Schmerz machte sich in ihrer Stirn bemerkbar; die Eindrücke verwischten. Seufzend schlug sie die Augen wieder auf. Wie immer nach solchen Gesichten fühlte sie sich ausgelaugt und müde. Trotzdem gab sie mit ruhiger, sicherer Stimme Auskunft. Sie wollte nicht für schwächlich gehalten werden und MacNeil eines Besseren belehren, der offenbar meinte, dass sie kein angemessener Ersatz für Salamander sei.

»Sergeant, da ist was, aber ich kann mir kein genaues Bild davon machen. Es hat auf jeden Fall magische Wirkung, ist sehr mächtig und sehr alt. Mehr weiß ich darüber noch nicht zu sagen.«

Etwas Altes, dachte MacNeil; es ist nun schon das zweite Mal, dass sie in diesem Zusammenhang das Wort alt gebraucht, obwohl sie weiß, dass das Fort erst vor wenigen Jahren gebaut wurde.

»Also gut«, sagte er. »Wenn wir hier die Nacht verbringen wollen, müssen wir einen möglichst geschützten Winkel finden. Flint, Giles, seht euch in den Ställen um und kümmert euch um die Pferde. Constance, du kommst mit mir. Wir schauen uns die Quartiere an.«

Flint und der Tänzer nickten und zogen in Richtung Ställe ab. MacNeil wandte sich dem gegenüberliegenden Gebäude zu. Constance eilte ihm nach. Sie wollte keinen Augenblick allein sein. Die Stille machte ihr zu schaffen, und das Bild, das sie im Geiste erschaut hatte, verunsicherte sie zutiefst, zumal sich ihr das Gefühl aufdrängte, dass sie auf diesem Bild sehr viel mehr hätte erkennen müssen.

MacNeil bemerkte, wie eilig sie es hatte, zu ihm aufzuschließen. Auch er war froh, in Begleitung zu sein. Vor der Tür zu den Unterkünften hielt er an. Wie all die anderen Türen, die er vom Hof aus gesehen hatte, war auch diese ein Stück geöffnet. MacNeil spitzte die Lippen und dachte nach, konnte sich aber auf seine Beobachtung keinen Reim machen. Vorsichtig stieß er mit der Stiefelspitze gegen die Tür, die widerstandslos aufschwang.

Das Schwert gepackt, trat er ins dunkle Innere.

Durch den Ausschnitt der Tür und die zugezogenen Schlagläden sickerte Licht. Schnell bewegte sich MacNeil von der Tür weg. Seine Silhouette vor dem hellen Hintergrund hätte eine allzu gute Zielscheibe abgegeben. Er zog Constance an seine Seite und wartete, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Dann sah er auf allen Oberflächen eine dicke Staubschicht liegen. Staubflocken schwebten in den dünnen Lichtstrahlen. Die Luft war feucht und roch muffig. Wie in einem Mausoleum, dachte er und fragte sich, wie er wohl auf diesen Vergleich gekommen war. In der Mitte des Raumes zwischen zwei Reihen von Pritschen lag umgekippt ein Stuhl, auf dem dunkle Flecken zu sehen waren. MacNeil hörte Constance zischend Luft holen und plötzlich ging ein strahlendes Leuchten durch den Raum, als die Hexe den rechten Arm über den Kopf hob.

MacNeil fluchte vor Schreck und schirmte mit der freien Hand die Augen ab.

»Das nächste Mal will ich vorgewarnt sein.«

»Entschuldige«, sagte Constance atemlos. »Aber sieh dir den Stuhl an, Duncan, sieh nur…«

Die dunklen Flecken waren Blut - altes, vertrocknetes Blut. MacNeil senkte die Hand und sah sich schnell um.

Es gab insgesamt fünfzig Pritschen, die in zwei exakt ausgerichteten Reihen an den Wänden standen. Auf jeder Matratze lag eine zerwühlte, blutverschmierte Decke.

»Mein Gott«, flüsterte Constance. »Was um alles in der Welt ist hier geschehen?«

MacNeil schüttelte den Kopf. Er brachte kein Wort über die Lippen. Im silbernen Licht, das aus der erhobenen Hand der Hexe leuchtete, waren dunkelrote Spritzer an den Wänden, dem Fußoden und der Decke zu sehen. Man hätte meinen können, in einen verlassenen Schlachthof geraten zu sein. Die Laken auf den Matratzen waren ausnahmslos zerfetzt, anscheinend von Schwertern oder Äxten. Zwei Pritschen waren regelrecht zu Kleinholz verarbeitet worden. Überall lagen Splitter; in den Wänden staken dicke Späne, als wären sie dort hineingehämmert worden.

Vorsichtig bewegte sich MacNeil durch den Raum. Constance blieb bei der Tür und leuchtete mit silbrig strahlender Hand. MacNeil stocherte mit der Schwertspitze in einer der Pritschen. Er fühlte sich seltsam benommen, konnte nicht fassen, was er da sah. Blut, Gewalt und Tod waren ihm gewiss nicht fremd, doch der Anblick dieser leeren, blutdurchtränkten Betten hatte etwas Entsetzliches. Was war das bloß für ein Ungeheuer, das fünfzig Soldaten massakriert und deren Leichen dann weggeschafft hatte, ohne eine eigene Spur zu hinterlassen? Eine solche Gräueltat hatte er seit dem Dämonenkrieg nicht gesehen. Und es gab im Hag keine Dämonen mehr. MacNeil ging neben einer der Pritschen in die Hocke und warf einen Blick auf den Boden darunter, sah aber nichts als Staub und noch mehr eingetrocknetes Blut.

So viel Blut…

Er richtete sich auf und blickte zurück auf die Hexe neben dem Eingang. »Constance.«

»Ja?«

»Was siehst du hier?«

Die Hexe schloss die Augen und öffnete ihr Zweites Gesicht. Schlagartig verschwand das Licht aus ihrer Hand.

Überrascht von plötzlicher Dunkelheit, klammerte MacNeil die Hand noch fester um den Schwertgriff. Er starrte vor sich hin und lauschte angestrengt, gefasst darauf, dass sich jemand heranschleichen würde. Doch es blieb still. Allmählich stellten sich seine Augen auf die spärlichen Lichtverhältnisse um und er konnte Constances Umrisse neben der offenen Tür ausmachen. Er sah, wie sie den Blick auf ihn richtete, und hörte sie seufzen.

»Tut mir Leid«, sagte sie. »Aber ich kann nichts erkennen. Da müsste was zu sehen sein, aber es bleibt mir verborgen. Irgendetwas hier im Fort verstellt mir die magische Sicht.«

MacNeil legte die Stirn in Falten. »Vielleicht ist's ein ganz natürlicher blinder Fleck.«

»Ich weiß nicht. Hast du noch nicht bemerkt, wie kalt es hier ist?«

»Kein Wunder hinter so dicken Mauern, wo kein Sonnenstrahl nach innen dringt.«

»Daran liegt's nicht allein«, entgegnete die Hexe.

Erst jetzt fiel MacNeil auf, dass die ausgestoßene Atemluft vor den Lippen dampfte, und die Finger waren so durchfroren, dass er das in der Hand gehaltene Schwert nicht mehr spürte. So langsam war ihm die Kälte in die Glieder gefahren, dass er davon nichts gemerkt hatte.

»Vielleicht sollten wir lieber wieder nach draußen gehen«, sagte er. Mit erhobenem Schwert wich er zur Tür zurück und wagte es nicht, den besudelten Pritschen den Rücken zu kehren. Als er den Ausgang erreichte, war Constance schon in den Hof hinausgetreten. Einen Augenblick lang blieb er in der Tür stehen. Fünfzig Betten.