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Otto Heinrich, über den der Wortschwall wie eine heiße Woge einstürzte, hielt sich am Rahmen der schweren Eichentür fest, um dem Wütenden nicht ins Gesicht zu springen. Vor seinen Augen flimmerte es, aber das Versprechen, Trudels Vater zu ehren, hielt ihn ab, seine Faust in das schreiende Gesicht zu setzen.

«Ehrlos sind Sie«, sprach er hart.»Sie spionieren mir nach, Sie überwachen mich wie einen Verbrecher.«

«Und mit Recht! Mit Recht!«Knackfuß schrie und stellte den

Leuchter mit einem Krach auf die Konsole, die an der Längsseite des Flures stand.»Die Reinheit meines Hauses lasse ich mir nicht beschmutzen! Vor Ihnen gibt es nichts Heiliges. Nicht einmal die Unschuld eines Mädchens.«

Kummer zitterte am ganzen Körper. Er preßte die Hände an die Brust und zwang sich, ruhig zu sein.

«Lassen Sie Trudel aus dem Spiel, Sie Satan! Es wird ein ewiges Wunder der Natur sein, daß ein Teufel der Vater eines Engels ist!«

Der Apotheker keuchte. Seine faltige Haut wurde wieder gelb, die Augäpfel standen starr in den Höhlen. Jetzt kommt ein Anfall, dachte Otto Heinrich schnell, aber ich lasse ihn diesmal liegen, wenn er umfällt.

«Schuft!«geiferte Knackfuß.»Lump und Betrüger! Lügt sich die Feigheit aus dem Körper und hurt in meinem Hause! Oder bog kein Mantel um die Ecke?!«

«Ja.«

«Ah, ja! Sie gestehen! Sie sagen mir dreist ins Gesicht, daß Sie aus meiner Apotheke ein Bordell machen?! Ich setze Sie vor die Tür, heute nacht noch — Sie packen Ihre Sachen und ziehen dem Frauenzimmer nach!«

«Es war keine Frau — es war ein Mann!«

Knackfuß erstarrte. Ungläubig zwinkerte er mit den Wimpern und dämpfte seine Stimme.

«Ein Mann?«

«Ja, ein Mann.«

«In der Nacht? Heimlich?«

«Es gibt im Leben Dinge, die sich nur im Dunkeln abspielen!«

«Gewiß, gewiß!«Ein gehässiges, breiiges Lachen durchschüttelte die Gestalt des Apothekers. Voller Hohn nahm er die Kerze und wandte sich um.»Wenn es so ist. Ich werde es Trudel schreiben, daß sie ihre Liebe an einen Falschen verschwendete. Der Herr Geliebte hat lieber hübsche Männer als hübsche Weiber im Bett!«

Einen Augenblick stand Otto Heinrich wie gelähmt. Unfähig, auch nur ein Glied zu rühren, starrte er Knackfuß an und brauchte eine

Zeitlang, die Ungeheuerlichkeit zu begreifen. Dann aber sprang er mit einem großen Satz auf den Apotheker zu, riß ihn herum, schlug ihm die Kerze aus der Hand und krallte sich in seinen Morgenmantel fest.

«Das nehmen Sie zurück, Sie Schwein«, zischte er und schüttelte die um sich schlagende Gestalt hin und her.»Das nehmen Sie zurück. oder. oder. ich bringe Sie um!«

«Lassen Sie mich los!«schrie Knackfuß und versuchte in der Dunkelheit Kummers Kehle zu ergreifen.»Ich überliefere Sie der Polizei! Lassen Sie mich los, gebrauchen Sie Ihre Kraft bei Ihren männlichen Liebchen!«

Vor Otto Heinrichs Augen zischte eine Flamme auf. Sie wurde größer und größer, wuchs ins Riesenhafte und blendete die brennenden Augen. Der Atem stockte ihm.»Luft!«wollte er schreien,»Luft!«und sah plötzlich in dem Meer von Feuer eine grinsende Fratze!

Mit aller Wucht seiner Faust schlug er der Erscheinung mitten ins Gesicht und taumelte zurück an die Wand.

Langsam erlosch die Flamme vor seinen Augen.

Fahle Dunkelheit umgab ihn.

Zu seinen Füßen lag, lang hingestreckt, der Apotheker.

Ein stechender Schreck jagte Kummer zum Herzen.

Er hatte Knackfuß zu Boden geschlagen.

Er hatte seinen Prinzipal geschlagen.

Das Ungeheuerlichste, Niegeahnteste war geschehen: er hatte sich an seinem Herrn vergriffen!

Mit einem lauten Stöhnen wandte er sich ab und jagte die Treppe hinauf in seine Kammer, warf sich auf sein Bett und vergrub sein Gesicht in die Decken.

Du bist ein Schuft, schrie es in ihm, du hast dich nicht beherrscht, du bist ein Lump, der seinen Meister schlägt. Den Apothekerstand hast du besudelt, du, in deiner Ehre gekränkter Fant, du, Otto Heinrich Kummer, Sohn eines ehrbaren, hochgeachteten Vaters. Dein Name ist beschmutzt, alles, alles, hast du mit diesem Schlag erschlagen… den Beruf, die Heimat, die Liebe und Ehre der Eltern, das Recht auf Achtung, die Stimme des Gewissens, die Schönheit einer erträumten Zukunft.

Lautes Weinen erschütterte den schmalen, gequälten Körper. Die Finger krallten sich in die Decken und rissen an dem Tuch.

«Vergebung«, stammelte Kummer.»Wenn keiner vergibt, du, Herr im Himmel, verzeih mir.«

Schluchzend lag er die halbe Nacht und horchte auf jedes Geräusch im Hause. Aber nichts rührte sich.

«Ich habe ihn erschlagen«, stammelte er.»Ich habe ihn ermordet. ich bin ein Mörder.«

Doch er wagte es nicht hinunterzugehen und nachzusehen. Er lag auf seinem Bett, starrte an die Decke und wand sich in der Qual seines Gewissens.

Kapitel 5

Als der Morgen graute, saß er am Tisch, der Kopf lag auf einem Blatt Papier, schlaff hingen ihm die Arme an den Seiten herunter. Ein Gänsekiel, der aus seinen Fingern geglitten war, lag zwischen seinen Füßen. Die blonden Haare waren zerwühlt und naß von Schweiß. Bleich schimmerte die zarte Haut seines Gesichtes.

Otto Heinrich schlief.

Erschöpft, zusammengebrochen, vernichtet.

Als die trübe Sonne über die vereisten Schindeln spielte, packte Otto Heinrich Kummer seine Koffer.

Der Weg in die unendliche Freiheit lag vor seinem Blick.

Mit zusammengepreßten Lippen packte er. Wie gehetzt eilte er umher.

Im Geist sah er vor sich das lange Band der Straße.

Eine Straße durch Hügel, Wälder und Täler.

Die Straße nach Böhmen.

Es war um die Mittagszeit, als Otto Heinrich von der Posthalterei die Nachricht erhielt, daß wegen des hohen Schnees erst am 20. Februar eine Post nach Dresden fuhr. Auch die Straßen nach Chem-nitz und Böhmen seien unpassierbar, und eine Extrapost verkehre nur zwischen Dresden und Meißen mit Anschlüssen nach Berlin.

Eine Fahrt sei deshalb bis zum 20. Februar von Frankenberg ab unmöglich.

Ratlos saß Kummer in seinem Zimmer auf dem umgestülpten Koffer und stützte das Kinn in die auf das Knie gestemmte Hand.

Der Fluchtweg war ihm abgeschnitten.

Wie Willi Bendler zu Fuß oder heimlich hinter Kutschen zu reisen, war ihm nicht möglich. Sein Körper war die Rauheit nicht gewöhnt und mußte schon nach wenigen Stunden zusammenbrechen.

Aber auch im Haus bleiben konnte er nicht mehr! Wenn Knackfuß ihn der Polizei nicht überlieferte, so war es klar, daß er die Apotheke heute noch verließ.

Jedoch wohin sich wenden? In einem Gasthof wohnen? Man würde Fragen stellen, der Klatsch der kleinen Stadt würde hohe Wogen schlagen, sie würden ihn ersticken unter Worten. es war unmöglich, wenn er seine Ehre wahren sollte.

So saß er ohne Essen bis zum Abenddämmern auf seiner Kammer und blickte aus dem kleinen Fenster. Er sah Knackfuß einmal durch den Garten gehen und fühlte in sich eine heiße Reue, diese alte, fast zerknittert wirkende Gestalt geschlagen zu haben. Doch dann dachte er wieder an die ungeheuerlichen Beschimpfungen und empfand einen großen Triumph, seinen Namen von Unrecht gereinigt zu haben.

Leise klopfte es an die Tür.

Otto Heinrich fuhr herum und lehnte sich an die Wand.

«Ja?«rief er und wartete.

Ein Apothekergeselle trat ein und musterte Kummer ängstlich.

«Der Herr Prinzipal läßt sagen«, stotterte er,»daß Sie bis zum Ende des Monats den Nachtdienst übernehmen. Sie müßten wach bleiben und im Labor sich aufhalten. Am Tage hätten Sie dann frei und könnten schlafen. Und«- der Geselle stockte —»am 1. März käme ein neuer Provisor.«

Er nickte und trat aus dem Zimmer. Schnell schloß er die Tür hin-ter sich.