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Nachdem er eine ganze Weile dagestanden und den zyklopischen Torbogen angestarrt hatte, gewann der logische Teil seines Denkens wieder Oberhand. Unmöglich oder nicht, jemand hatte dieses Gebilde erschaffen und er musste es nun einmal als gegeben akzeptieren, ob er es nun erklären konnte oder nicht. Er war nicht hierher geschickt worden, um diesen Torbogen anzustarren.

Er löste sich mit einem Ruck von seinem Platz und ging schneller als nötig weiter; vermutlich sogar schneller, als auf dem unsicheren Grund aus nassem Stein gut war. Der Pfad war an dieser Stelle so schmal, dass er mit der Schulter an der Wand entlangstreifte und ein paarmal fast Gefahr lief seinen Mantel zu verlieren, sodass er immer wieder zugreifen und die Fibel wieder schließen musste. Bei einer dieser Gelegenheiten fiel sein Blick zufällig nach unten ins Wasser, und er sah etwas, was ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ: Der See unter ihm war nicht leer. Vielleicht eine Handbreit unter der Wasseroberfläche, aber überall, so weit sein Blick reichte, bewegten sich dunkle Schatten, schwarze, armdicke Tentakel, die wie die Fangarme gewaltiger Kraken peitschten, zuckende Schlangen, dick wie sein Finger, scheinbar ohne Ende, aber auch dünne Büschel, die sich wie Haare im Wind bewegten. Er war dem Seeungeheuer keinesfalls entronnen, sondern befand sich noch immer in seiner unmittelbaren Reichweite. Vielleicht war es nicht einmal die gleiche Kreatur wie die, der er um ein Haar zum Opfer gefallen wäre, sondern ein zweites, gleichartiges Geschöpf, aber der Anblick brachte ihn auf jeden Fall dazu, seine Schritte noch mehr zu beschleunigen. Trotzdem war es irgendwie... seltsam. Ganz tief in sich spürte er, dass ihm von der Kreatur keine Gefahr drohte, so schrecklich sie auch war.

Er folgte dem Pfad bis zum Ende, lief mit raschen Schritten die Treppe hinauf und trat nach einem letzten, fast unmerklichen Zögern durch den gewaltigen Torbogen. Aus irgendeinem Grund hatte er erwartet sich in vollkommener Dunkelheit wieder zu finden, aber das war nicht der Fall. Vor ihm lag eine halbrunde, hohe Kammer von vielleicht zwanzig Schritt Durchmesser, deren Wände und Decke aus dem gleichen Material wie der Torbogen und das Schwert an seiner Seite bestanden. Ein Muster aus komplizierten Runen und Hieroglyphen bedeckte die Wände, vielleicht zeremonieller Bestimmung, vielleicht auch eine Schrift, die er nicht entziffern konnte. Ein blasses, ganz leicht grün gefärbtes Licht erhellte die Kammer. Seltsamerweise konnte er seine Quelle nicht ausmachen. Es schien aus dem Nichts zu kommen, so als leuchte die Luft aus sich selbst heraus. Es gab vier Türen, die vermutlich tiefer ins Innere des Berges hineinführten. Drei von ihnen waren verschlossen, die Vierte führte in einen schmalen, von dem gleichen sonderbaren Licht erfüllten Gang, der sich weiter in den Berg hineinwand, als sein Blick ihm folgen konnte.

Dieser Gang war nicht leer. Hier und da bedeckte ein schwarzes Geflecht Wände und Boden, Fetzen eines Netzes oder auch einzelne, schlangengleiche Stränge. Es mochten Wurzeln sein, die sich mit der unaufdringlichen Beharrlichkeit von Pflanzen einen Weg durch die stählernen Wände und Decken gegraben hatten, aber der Anblick erinnerte ihn zugleich zu sehr an den, den das Geschöpf draußen im Wasser geboten hatte, als dass er es wagte, ihm näher als unbedingt nötig zu kommen.

Er folgte dem Gang bis zu seinem Ende und gelangte in eine Art Treppenschacht, der mindestens so weit nach oben wie tiefer hinab in den Leib der Erde führte: Er war kreisrund und hatte einen Durchmesser von gut fünfzig Metern, und vermutlich diente er noch einem anderen Zweck als bloß dem, die schmale, geländerlose Treppe aufzunehmen, deren Stufen sich in einer schier endlosen Folge nach oben und unten wanden. Dem Krieger war es gleich. Er spürte, dass diese unterirdische Welt voller düsterer Geheimnisse, uralter Rätsel und unvorstellbarer Gefahren war. Er wollte nichts davon in diesem Moment ergründen. Wichtig war allein, dass er einen Weg nach oben gefunden hatte.

Auch hier war die Luft von jenem unheimlichen, graugrünen Glanz erfüllt, der aus dem Nichts zu kommen schien und eigentlich mehr ihre Illusion als wirkliche Helligkeit erzeugte. Trotzdem gewöhnten sich seine Augen allmählich daran, sodass er mehr Einzelheiten erkannte, während er der schneckengleich um den gewaltigen Schacht gewundenen Treppe nach oben folgte. Der Schacht hatte wahrhaft gigantische Ausmaße. Er musste eine Meile oder mehr in die Erde hinabführen. Boden und ein Teil der Wände waren vom Feuer geschwärzt und auch die Treppe war hier und da in Mitleidenschaft gezogen worden. Dieser Schacht war nicht immer leer gewesen und er war lange nicht der Einzige seiner Art. Im Gegenteil. Es gab unzählige: bodenlose, schwarze Gruben, in denen der Tod in gewaltigen schwarzen Pfeilen aus Stahl eingefangen war und darauf wartete, aus der Erde hervorzubrechen und ganze Städte mit Feuer und Glut vom Antlitz dieses Planeten zu tilgen.

Diese Erinnerung verscheuchte er. Es gab Dinge, die wollte er gar nicht mehr wissen.

Die Treppe endete vielleicht hundert Meter unter der Decke vor einer halbrunden Tür, die waagerecht weiter in den Berg hineinführte. Von dem Gang, in den er gelangte, zweigten zahlreiche weitere Türen ab. Er warf neugierige Blicke durch die meisten und blieb hier und da sogar stehen, hütete sich aber den Gang zu verlassen. Die meisten Türen führten ohnehin nur in weitere, endlose Gänge, von denen weitere Türen abzweigten - dieser ganze Berg musste ausgehöhlt sein wie ein Bienenstock! -, manche in große, saalähnliche Räume voller unverständlicher Dinge, einige aber auch in weitere Schächte, gleich dem, durch den er diese unterirdische Anlage betreten hatte. Er beachtete nichts davon, sondern ging mit ruhigen Schritten weiter. Seine Aufgabe wartete nicht hier auf ihn, in dieser unterirdischen Anlage hinter dem Wasserfall. Hier hatte es geendet und hier würde es wieder beginnen.

Er passierte eine weitere Tür, blieb stehen und ging wieder zurück, von einem sonderbaren, kaum in Worte zu fassenden Gefühl erfüllt. Die Kammer war nicht besonders groß und vollkommen leer. Der Boden war mit einer zentimeterdicken Staubschicht bedeckt, so als wäre dieser Raum seit mindestens einem Jahrhundert nicht mehr betreten worden. Der schwarze Sternenstahl der Wände wirkte irgendwie ... verzerrt, als wäre er geschmolzen und wieder erstarrt, ganz kurz, bevor er wirklich seine Form verlieren konnte. Er wagte es nicht, den Raum zu betreten - eine sonderbare Mischung aus Ehrfurcht und Unbehagen hatte ihn ergriffen, so als stünde er am Eingang eines Grabes -, aber er streckte die Hand aus und berührte das Metall unter der Staubschicht.

Aus der Vermutung wurde - fast - Gewissheit. Es war ein Grab. Und er war nicht zufällig hier, sondern weil jemand - etwas - ihn hierher geführt hatte. Um sich zu erinnern. Er senkte die Hand, drehte sich fast hilflos einmal im Kreis und wollte weitergehen, tat aber dann das Gegenteiclass="underline" Er wich in die Kammer zurück, ließ sich zu Boden sinken und lehnte Kopf und Schultern gegen den verbogenen Stahl der Wände. Dieser Ort hatte Erinnerungen gespeichert. Es musste ihm nur gelingen, sie sich zugänglich zu machen, und er würde endlich alles wissen. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass die Erinnerungen kamen.

Nichts geschah. Er schlief ein.

Und erwachte, als jemand die Kammer betrat. Geräusche und Bewegung hatten ihn direkt aus einer Tiefschlafphase gerissen, sodass er im ersten Moment noch benommen war; optische und akustische Eindrücke wirbelten hinter seiner Stirn durcheinander, vermengten sich mit sinnlos aufblitzenden Bildern und Fetzen von Gefühlen - zum größten Teil negativen Gefühlen, die zu schnell aufflackerten und wieder erloschen, um sie zu identifizieren, aber ein allgemeines, unangenehmes Gefühl in ihm hinterließen. Es vergingen einige Sekunden, ehe aus den tanzenden Schatten vor ihm zwei Gestalten wurden. Einer der beiden Männer war ein wahrer Riese, ein Gigant von mehr als sieben Fuß Größe und Ehrfurcht gebietend breiten Schultern. Er war verletzt. Die Hälfte seines Gesichtes war verheert, das Auge ausgelöscht. Er schien kaum noch genügend Kraft zu haben, um sich auf den Beinen zu halten, denn er lehnte schwer an der Wand, seine Knie zitterten. Er trug ein schlankes, schmuckloses Schwert in der Rechten, von dessen Klinge hellrotes Blut tropfte.