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Skar fuhr im Sattel herum und zerrte an seinen Handfesseln, die an einer Schlaufe seines Sattelknaufs festgemacht waren. Die Ledergurte schnitten in seine Handgelenke ein, ließen sich aber nicht sprengen; trotzdem ließ Skar nicht nach und spannte seine Muskeln an, bis das Material knirschend so weit nachgab, wie es die ihm innewohnende Elastizität gestattete - doch keinen Zoll weiter. Er ahnte, dass er so lange an dem Leder zerren konnte, wie er wollte; es war zu stark und von so hervorragender Qualität, dass ihm mit purer Körperkraft nicht beizukommen war.

»Nicht übel«, sagte Marna anerkennend. »Ich hätte dich vielleicht doch lieber in Ketten legen lassen sollen.«

»Du solltest mir lieber gleich dein Schwert durchs Herz stoßen«, sagte Skar. »Dann läufst du nicht Gefahr, dass ich dir irgendwann den Bauch aufschlitze.«

Marna nickte anerkennend. »In der Tat«, sagte er. »Dieser Gedanke schoss mir auch schon durch den Kopf. Aber es gibt ja auch noch eine andere Variante.«

»Dass du mich in einen dunklen Kerker schmeißt und darauf wartest, dass mich die Ratten anknabbern?«

»Man hat mir berichtet, es gäbe Schlimmeres als Ratten«, sagte Marna ernsthaft. »Und man hat mir berichtet, du hättest Erfahrung mit diesem ... Anderen.«

Skar fühlte ein eisiges, ungläubiges Entsetzen in sich aufsteigen. »Was meinst du damit?«, fragte er scharf.

»Als ob du das selbst nicht viel besser wüsstest.« Marna deutete mit dem ausgestreckten Arm ungefähr in die Richtung des Pojoaque - und damit auf die Höhle, den Strudel, das unterirdische Meer, das Grauen, das irgendwo hinter dem Fluss lag. »Du kommst nicht zufällig von dort. Du wurdest dort vorbereitet - auf deine neue Aufgabe.«

»Ich wurde - was?« Das letzte Wort hatte Skar fast geschrien, und es war ihm in diesem Moment ganz egal, dass Marna seine Erregung nicht verborgen bleiben konnte. »Ich wurde überhaupt auf nichts vorbereitet«, fuhr er dann etwas ruhiger fort. »Es gäbe auch niemanden, der mich vorbereiten könnte. Ich bin immer noch ein freier Mann.«

»Das klingt in deiner augenblicklichen Situation wenig überzeugend«, meinte Marna. »Und obwohl ich deine Worte schon richtig verstanden habe, nehme ich sie dir nicht ab. Du bist nichts als ein Werkzeug, Skar, ein einfältiger Tor, dessen sich Mächte bedienen, von denen du nicht die geringste Ahnung hast.«

»Ach ja?«, höhnte Skar. »Und was bist du dann? Ein Getriebener deiner Machtgelüste? Ein Abenteurer, der sich der Satai für seine eigenen Zwecke bedient?«

Marna musterte ihn eine Weile schweigend und Skar glaubte schon, er würde seinen Rappen antreiben und sich von ihm absetzen, um die für ihn unerfreuliche Wendung als Anlass zu nehmen das Gespräch zu beenden. Doch zu seiner Überraschung ging der Wolfsgesichtige auf seine Worte ein.

»Es drängt sich mir der Eindruck auf, dass du von mir und meinen Satai ein vollkommen falsches Bild hast«, sagte Marna ruhig. »Du glaubst, ich hätte mir nur zum Zeitvertreib oder aus Gewinnsucht die heilige Position des Skarissa erkämpft. Obwohl ich gar nicht leugnen will, dass es mir auch um meinen eigenen Vorteil geht, ist doch das Gegenteil der Fall. Seitdem du den Quorrl vor dreihundert Jahren den Floh ins Ohr gesetzt hast, sie könnten ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und seien nicht mehr an die Jahrtausende alten Überlieferungen gebunden, haben sie Enwor aus dem Gleichgewicht gebracht.«

»Den Eindruck hatte ich ganz und gar nicht«, sagte Skar, ohne darauf Bezug zu nehmen, dass die Quorrl früher oder später auch ohne sein Zutun das Joch ihrer angeblichen Vorsehung abgeschüttelt hätten. »Ich hatte eher das Gefühl, sie würden von den Diggern selbst aus ihren angestammten Gebieten vertrieben und stünden nun mit den Rücken an der Wand.«

»Die Digger sind ein Geschenk des Himmels«, sagte Marna ernsthaft. »Sie sind die Vorposten, an denen sich die Quorrl-Offensive bislang gebrochen hat - aber auch nur deshalb, weil wir Satai die Digger mit Waffen versorgen und sie überall unterstützen, wo sich diese verfluchten Reptilien blicken lassen.«

»Und wie passen dann die Quorrl ins Bild, die für dich morden?«

Marna machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie sind Verbündete. Vergiss nicht, dass die Quorrl, anders als zu deiner Zeit, mittlerweile ganz offen in viele Stämme zerfallen sind. Einer dieser Stammesfürsten ist mein Verbündeter.«

»Den du beseitigen wirst, wenn du die Quorrl geschlagen hast?«

»Wofür hältst du uns, Skar«, schnappte Marna. »Wir sind Krieger und keine Meuchelmörder. Ich zumindest stehe zu meinem Wort.«

»Ihr wollt Krieger sein und schlagt doch einfach los, ohne vorher alle Konsequenzen zu bedenken? Nein«, Skar schüttelte entschieden den Kopf, »das Gemetzel, das ihr unter den Quorrl anzurichten gedenkt, hat nichts mit Kriegskunst zu tun, das ist nicht viel besser, als eine Wirtshausschlägerei vom Zaun zu brechen.«

»Du hast überhaupt keine Ahnung«, sagte Marna säuerlich. »Du tauchst hier auf und maßt dir an über Dinge zu urteilen, von denen du nicht die geringste Ahnung hast. Die Quorrl sind eine Plage für ganz Enwor geworden. Etliche von ihnen haben sich in Positionen gedrängt, die ihnen nicht zustehen. Weißt du, wer der Stadtkommandant von Ikne ist? Vielleicht ein Satai? Vielleicht ein Angehöriger der alten Adelsgeschlechter? Nein, natürlich nicht: Es ist ein Quorrl!«

»Was ist daran so schlimm?«

»Was daran so schlimm ist, dass Quorrl unsere gewachsenen Strukturen unterwandern? Warum es unerträglich ist, dass sie Fürsten vom Thron zu stoßen versuchen, um sich selbst als Herrscher aufzuschwingen - selbst über Menschen?!«

Skar schwieg einen Moment. Der Weg vor ihnen veränderte sich, wurde breiter, und gleichzeitig wich der Waldrand weiter zurück, als flöhe er vor der Betriebsamkeit auf der in seine Mitte geschlagenen Schneise. Es war kein wild wucherndes Unterholz mehr, das den Pferden immer wieder zwischen die Beine kam, sondern zartes, fast wie gestutzt aussehendes Buschwerk und dazwischen wilde Blumen, die in allen Farben leuchteten; ein rot-gelb-blaues Farbspiel, das selbst im Regen fröhlich und unbeschwert wirkte.

Ob er nun wollte oder nicht: Marnas Worte stimmten ihn nachdenklich. Sicherlich, es war richtig, dass die Quorrl begonnen hatten, die jahrtausendealten und viel zu eingefahrenen Gleise zu verlassen, um neue Wege zu gehen. Aber es war auf der anderen Seite für die meisten Menschen wohl kaum ein Spaß, einem Herrscher zu dienen, der als geschuppter Gigant mit der Körperkraft von vier ausgewachsenen Männern jeden menschlichen Konkurrenten von vornherein in die Schranken verweisen konnte und bei aufkommendem Murren seine eigene Garde von Reptilienkriegern aufziehen ließ. Es mochte sein, dass Quorrl-Herrscher nicht grausamer waren als so mancher menschliche Fürst - aber sie waren anders. Sie hatten kein instinktives Verständnis für die Menschen und sie hatten keine Söhne und Töchter, die nach neuen und besseren Wegen suchten. Wie er es auch drehte und wendete: Quorrl waren Quorrl und es war nicht gut, wenn sie über Menschen herrschten - genauso wenig wie umgekehrt.

»Wie viele Fürstentümer, wie viele Städte stehen unter der Herrschaft der Quorrl?«, fragte er.

»Kein Einziges«, fauchte Marna. »Und solange ich lebe, wird es auch nicht dazu kommen. Aber es wird immer schwieriger, die Quorrl davon abzuhalten, den letzten Schritt zur Macht zu vollenden. Sie haben es geschickt angefangen: Zuerst verdingten sie sich als Leibwächter, dann wurden Einzelne von ihnen zu Hauptmännern privater oder städtischer Garden berufen und danach schleusten sie immer mehr andere Quorrl ins Gefüge ein. Sie haben sich damit Zeit gelassen: drei lange Jahrhunderte. Aber jetzt greifen sie nach der absoluten Macht, und wenn sie die erst erreicht haben, werden sie die reichen Städte ausquetschen wie eine Zitrone, die Menschen ausbluten lassen und sie dann ihrem Schicksal überlassen.«