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Skars Brauner hatte sich bislang auf den Beinen halten können und galoppierte jetzt mit weit ausgreifenden Sätzen weiter in Richtung der geschwungenen, fast spielerisch verzierten Dächer, deren Fröhlichkeit in krassem Gegensatz stand zu dem Entsetzen, das im Tal Einzug gehalten hatte. Flammen und Rauch verwandelten den Weg zum Tempel in ein Kaleidoskop des Todes; die Flammenwirbel schienen an dutzenden von Stellen gleichzeitig Nahrung zu finden und mit feurigen Armen nach ihm zu greifen, und in seinen Ohren gellten die Todesschreie der Quorrl, Satai und Tiere, die rings um ihn starben, aber er jagte weiter und hielt Marna dabei reflexartig umklammert, nur beseelt von dem Gedanken so schnell wie möglich dem feurigen Odem der Riesenechse zu entkommen und zu sehen, ob er irgendwo weiter vorne auf Esanna und Kama stieß, die zurzeit des Angriffs im Tross weit vor ihm geritten waren.

Vor ihnen tauchte plötzlich ein dunkler Schatten auf, ein verletzter Quorrl, der auf Händen und Füßen von dem Grauen wegzukrauchen versuchte und ihnen dabei, wohl blind vor Schmerz, in die Quere kam. Das Pferd versuchte das Hindernis zu überspringen, schaffte es aber nicht; seine Hinterläufe erwischten den verletzten Reptilienkrieger und schleuderten ihn zur Seite. Skar ließ instinktiv Marna los und stieß sich ab; er machte eine Rolle über den Pferdehals und schlug auf dem Boden auf, als der Braune selber auch bereits durch die Luft flog und weitaus weniger elegant neben ihm auf den Boden knallte.

Ein, zwei Sekunden blieb Skar wie benommen liegen. Dann rappelte er sich mühsam hoch und starrte voller Entsetzen auf die Szene, die sich dort abspielte, wo er noch kurz zuvor gewesen war.

Die wütende Echse hatte zu einem neuen Angriff angesetzt, spie sengende Hitze und flammenden Tod. Eine Feuersäule schoss zwischen den Reitern empor, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, sich in Sicherheit zu bringen, drückte Pferdeleiber mit Urgewalt auseinander und versengte, was sich ihr in den Weg stellte, schleuderte Äste, Buschwerk und dunkle, verstümmelte Körper wie Spielzeuge durch die Luft, verbrannte sie mit ihrem Flammenatem, ehe sie hart auf dem Boden aufschlugen. Die Druckwelle raste weiter, wischte Menschen, Quorrl und Tiere mühelos beiseite, bis ihre Ausläufer wie der Atem eines zornigen Feuergottes über ihn hinwegfegte.

Skar rutschte gerade noch rechtzeitig in den Schutz des zuckenden Pferdeleibs, um der Wucht der Feuerwelle zu entgehen, und obwohl er instinktiv die Hände vors Gesicht riss, spürte er, wie die Hitze seine Haut versengte. Rings um ihn herum verwandelte sich der Weg und das angrenzende Buschwerk in ein Chaos aus zusammenbrechenden Tieren und Männern und Schreien, und die Luft kochte und stank plötzlich nach verschmortem Fleisch und brennendem Haar. Das Gellen der Schmerz- und Schreckensschreie steigerte sich zu einem fürchterlichen Crescendo und Skar starrte fassungslos auf mehrere Quorrl, die mit brennender Kleidung direkt auf ihn zustürmten und blind vor Schmerz und Panik an ihm vorbeijagten, ohne überhaupt Notiz von ihm zu nehmen.

Es war unglaublich. Er hatte so etwas noch nicht erlebt. Mit zitternden Händen drückte er sich vom Boden ab und sprang zu Marna hinüber, der auf der anderen Seite seines schwer verletzten Braunen zu Boden gestürzt war. Der Wolfsgesichtige schien ohne Bewusstsein zu sein, aber er lebte. Seine Brust hob und senkte sich in schnellen, ungleichmäßigen Stößen und als er ihn auf den Rücken wälzte, spürte er die Hitze, die von seiner metallenen Maske abstrahlte.

Hastig suchte Skar nach dem Verschluss der Wolfsmaske. Er konnte nicht behaupten, dass ihm an diesem Satai-Oberhaupt besonders viel lag, aber andererseits war dieser Mann zu wichtig, um ihn sich durch seine aufgeheizte Maske das Gesicht verbrennen zu lassen.

Marna bäumte sich auf und riss mit einem verzweifelten Ruck seine Hände zurück. »Nicht«, stöhnte er, aber es klang mehr wie ein Reflex als wie ein bewusster Protest.

In diesem Moment hatte Skar bereits den Verschluss gefunden: einen goldenen Riegel, der zwei Lederbänder zusammenhielt. Er warf einen flüchtigen Blick auf den Himmel und atmete erleichtert auf; im Augenblick war nichts von dem Frarr zu sehen. Trotzdem ahnte er, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, wollte er dem nächsten Angriff rechtzeitig entgehen.

»Nicht«, stöhnte Marna noch einmal. Aber seine Abwehrbewegung war so schwach, dass Skar sie nicht einmal beachtete, als er nun endlich den Helm löste. Trotz des Entsetzens, das ihn nach wie vor gepackt hielt, war er doch auch voller Neugierde und gespannter Erwartung: Er wollte endlich wissen, wie Marna aussah.

Als er den fast glühend heißen Helm ablegte, weigerte er sich einen Herzschlag lang zu begreifen, was er da sah; der Anblick kam zu unerwartet. Fassungslos starrte er in mandelförmige, dunkle Augen und ein ebenmäßiges, noch erstaunlich junges Gesicht.

Marna war kein Mann.

Marna war eine Frau.

3.9

»Skarissa«, stieß Skar abfällig hervor. »Ich hätte mir denken können, dass mit dir etwas nicht stimmt.«

»Na und«, fauchte Marna. Über ihr Gesicht lief Blut und auf ihrer Stirn glänzte eine große, leuchtende Brandblase - aber sie schien das noch nicht einmal zu bemerken. »Ist es vielleicht Frauen nicht gestattet die Satai von Erfolg zu Erfolg zu führen?«

»Wenn das hier ein Erfolg sein soll«, sagte Skar bitter und deutete hinter sich in das brennende Chaos, auf die wabernde Wand aus Hitze und alles verschlingenden Flammen, »dann möchte ich nicht wissen, was für dich ein Misserfolg ist.«

Er packte sie an der Schulter und riss sie hoch. »Und jetzt komm mit«, sagte er grob. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Lass mich los«, fauchte sie und es stand nichts als Trotz in ihrem Gesicht geschrieben - bis sie sich von ihm losmachte und umdrehte. Ihr Gesicht verwandelte sich von einem Moment auf den anderen in eine Grimasse aus Schrecken und Furcht. »Oh mein Gott«, stammelte sie vollkommen fassungslos angesichts des Grauens und der Zerstörung, die der Frarr mit seinen wenigen Angriffen angerichtet hatte. »Bei allen Göttern. Ich dachte, das Elfte Buch übertreibt...« Ihre Stimme zitterte und zum ersten Mal, seit Skar die Herrscherin der Satai kennen gelernt hatte, glaubte er eine Spur echter Furcht in ihren Augen zu erkennen.

»Was hat dieses verfluchte Buch damit zu tun?«, schrie Skar sie an. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Rede, verdammt noch mal!«

Ein lautloses Zittern schien durch den gold gewebten Stoff ihrer Kleidung und den blutrot getränkten Brustharnisch zu fließen, wie das Beben eines verwundeten Tieres, das den Schmerz abschüttelt und sich wieder aufrichtet. »Es ist wahr ... Es ist alles wahr«, stammelte sie, »das Buch ist tatsächlich der Schlüssel zu allem.«

Ihr Gesicht lag im Schatten seines drohend vorgebeugten Oberkörpers und war nicht mehr als eine konturlose weiße Fläche, in der nur die Augen wie zwei matte Kristalle aufblitzten, und trotzdem glaubte Skar in ihnen eine solche Fassungslosigkeit zu erkennen, dass es ihn selbst schauderte.

»Wo ist dieses Buch?«, keuchte Skar. Er unterstrich seine hastigen Worte mit einer befehlenden, schnelle Geste. »Wo zum Teufel ist das Elfte Buch!«

Marnas mandelförmige Augen wandten sich ihm wieder zu. Es stand Entsetzen in ihnen, aber auch etwas anderes: die Entschlossenheit die Situation zu ihren Gunsten zu entscheiden, mochte sie auch noch so verzweifelt erscheinen. »Es ist nicht hier«, sagte sie rasch, aber mit vor Aufregung zitternder Stimme. »Ich habe es nach Nemesis bringen lassen.«