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Der Gedanke stimmte ihn traurig. Die neuen Herrscher der Quorrl hatten ihr Wort gehalten und diese Tempelfestung ausgelöscht. Möglicherweise hatten sie die Gefahr für eine ganze Welt, die von ihr ausgegangen war, damit gebannt, aber ihr allergrößtes und ehrgeizigstes Ziel, nämlich den Frieden, schienen sie verfehlt zu haben. Satai kämpften weiter gegen Quorrl. Die Menschen führten weiter Krieg gegen die Wesen, die ihre Vorfahren eigentlich erschaffen hatten, um den Krieg ein für alle Mal abzuschaffen.

Dann fiel Skar der Fehler in diesem Gedankengang auf. Er ging von Voraussetzungen aus, die er gar nicht kannte. Er wusste weder, worum es bei diesem Kampf gegangen war, noch, wer hier eigentlich gegen wen gekämpft hatte. Es war genauso gut möglich, dass Satai und Quorrl Schulter an Schulter gegen einen dritten Feind gekämpft hatten - auch wenn sich Skar beim besten Willen keinen Gegner vorzustellen vermochte, der verrückt genug wäre sich mit Satai und Quorrl zugleich anzulegen.

Aber er wusste nichts über diese Welt. Er wusste nicht einmal etwas über die Zeit, in der er sich befand. Es konnte Tage her sein, seit Kiina und Titch ihn im Sturz von Ninga beerdigt hatten, ebenso gut aber auch Wochen oder Monate. Vielleicht Jahre. Vielleicht war seine Tochter jetzt eine erwachsene Frau und vielleicht sogar - Daran wollte er nicht denken.

Er beendete seine Musterung der Umgebung und betrat die halb zusammengestürzte Brücke, die zum eigentlichen Ufer hinführte. Seine Schritte wurden langsamer und nach einem Moment blieb er stehen. Die Brücke war nicht vollends eingestürzt, und den reißenden Strom auf dem schmalen verbliebenen Band zu überqueren stellte im Grunde keine besondere Gefahr dar, zumal für einen einigermaßen geschickten Mann, wie er es war. Aber er hatte mit Wasser bisher eigentlich nur schlechte Erfahrungen gemacht, und viel schwerer wog: Wenn an diesem Ort ein Kampf stattgefunden hatte und wenn es noch jemanden gab, der ihn beobachtete und ihm vielleicht auflauern wollte, konnte er sich keinen besseren Ort dafür aussuchen. Auf dem letzten Stück zum Ufer hin bestand die Brücke im Grunde nur noch aus einem ausgeglühten Stahlskelett, das auf eine kaum in Worte zu fassende Weise verzerrt und in sich verdreht war. Er würde sein ganzes Geschick brauchen, um dort hinüberzugelangen, und infolgedessen so gut wie hilflos sein. Aber es gab keinen anderen Weg.

Skars Befürchtungen erwiesen sich als übertrieben. Er erreichte unbehelligt das Ufer und fand weitere Spuren eines Kampfes, aber keine Überlebenden; und schon gar keinen Hinterhalt. Dafür umso mehr Spuren, die nun allmählich eine Geschichte zu erzählen begannen. Er war jetzt sicher, dass es die Quorrl gewesen waren, die auf der Insel Zuflucht gesucht hatten, wo sie von ihren Gegnern überrascht worden waren. Satai, die gegen Quorrl kämpften. Immer noch. Nichts hatte sich geändert.

Er entfernte sich weit genug vom Ufer, um aus dem eisigen Sprühregen heraus zu sein, zu dem das reißende Wasser an den Felsen zerspellte, und zog fröstelnd den Mantel enger um die Schultern zusammen. Seine Kleider waren durchnässt. Er fror, wenn auch nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Trotzdem musste er in Bewegung bleiben. Die Situation war schon fast grotesk: Noch vor wenigen Stunden hatte er Angst gehabt zu verbrennen. Jetzt musste er eine Feuerstelle finden, um seine nassen Kleider zu trocknen, wollte er nicht in Gefahr laufen zu erfrieren.

Es gab nur zwei Richtungen, in die er sich wenden konnte: weiter nach Norden und dem Fluss folgend oder in östlicher Richtung an der Klippe entlang. Im Norden lagen die endlosen Wälder, die Heimat der Quorrl, im Osten das Meer, die Toten Länder und schließlich Combat. Keine der beiden Richtungen erschien ihm wirklich verlockend; nicht nach dem, was er gerade gefunden hatte.

Skar gestand sich ein, dass er im Moment vollkommen hilflos war. Ein Gefühl, das er hasste. Er war in seinem Leben stets bestrebt gewesen die Initiative zu behalten, gleich, was geschah. Er tat Dinge, statt sie mit sich tun zu lassen.

Er ging wieder ein kleines Stück den Weg zurück, den er gekommen war, und folgte dann - in respektvollem Abstand - dem Ufer, bis er unmittelbar am Ende der Klippe stand. Der Wind schlug ihm eisig ins Gesicht, zerrte an seinen Kleidern und ließ ihn noch mehr frieren, aber er wurde auch mit einer Aussicht belohnt, die der Mühe wert gewesen war: Neben ihm, scheinbar zum Greifen nahe, ergoss sich eine tosende Wasserflut in die Tiefe, um am Fuße der Klippe einen gewaltigen, unregelmäßig oval geformten See zu bilden. Der Fluss, der daraus entsprang, verlief so schnurgerade nach Süden, als wäre er mit einem gewaltigen Lineal gezogen. Die Berge, die er von unten aus gesehen hatte, waren auch jetzt nur verschwommene Schatten, aber irgendwo auf der Ebene dazwischen ... bewegte sich etwas. Etwas Großes.

Skar versuchte sich auf die Bewegung zu konzentrieren, um mehr Einzelheiten zu erkennen, erreichte damit aber nur, dass seine Augen zu schmerzen begannen. Er konnte nicht mehr als reine, nebelhafte Bewegung erkennen, als wäre ein Teil der Ebene selbst zum Leben erwacht. Das Land hatte sich erhoben, um auf die Klippe zuzukriechen. Skar lächelte dünn über seine eigenen Gedanken. Natürlich war es Unsinn. Was immer dort unten war, es war gigantisch, aber es würde auch eine ganz natürliche Erklärung dafür geben. Vielleicht war es wirklich Nebel. Vielleicht ein Spiel von Licht und Schatten, das seine Sinne narrte. Es spielte keine Rolle. Es war weit weg und es war ganz gewiss nicht der Grund, aus dem er hier war.

Er trat wieder einen Schritt von der Klippe zurück, drehte sich herum - und alle seine Sinne signalisierten Gefahr. Er duckte sich, war mit einer einzigen, fließenden Bewegung im Schutz eines niedrigen Felsens und spähte mit klopfendem Herzen über den Rand seiner natürlichen Deckung hinweg.

Im ersten Moment sah er nichts Außergewöhnliches und das Dröhnen des Wasserfalls machte es auch unmöglich, irgend etwas zu hören. Aber er hatte etwas registriert; ein Detail, das er noch nicht zu erkennen vermochte, das aber den Gesamteindruck veränderte, sodass - Das Unterholz hundert Schritte entfernt brach auseinander und zuerst zwei, dann zwei weitere und schließlich ein einzelner und fünfter Quorrl stürmten heraus. Zwei von ihnen waren bewaffnet, ein dritter so schwer verletzt, dass er sich auf die Schultern eines seiner Kameraden stützen musste, um überhaupt zu gehen. Trotzdem bewegten sie sich sehr schnell und warfen immer wieder rasche, gehetzte Blicke über die Schultern zurück. Sie waren auf der Flucht. Skar duckte sich noch tiefer in seine Deckung und senkte die Hand auf den Schwertgriff, ohne die Waffe allerdings zu ziehen. In einem Kampf gegen gleich fünf Quorrl hätte er keine Chance. Niemand hatte das. Aber diese Quorrl waren auch nicht gekommen, um ihn anzugreifen. Vermutlich wussten sie nicht einmal, dass er hier war.

Skar sah die Verfolger, als die Quorrl ungefähr die halbe Distanz zwischen dem Waldrand und seinem Versteck überwunden hatten. Es waren Reiter, ein gutes Dutzend ausgesucht großer, barbarisch gekleideter Gestalten, die auf roh gepanzerten Pferden herangesprengt kamen und mit Speeren, Schwertern und vor allem Armbrüsten und Bögen bewaffnet waren, mit denen sie aus vollem Galopp auf die flüchtenden Schuppenkrieger schossen. Nicht ein einziger Pfeil oder Armbrustbolzen traf sein Ziel, aber der mörderische Geschosshagel trieb die Quorrl zu noch größerer Hast an. Skar verlängerte den Kurs in Gedanken, den die flüchtenden Quorrl nahmen. Das Ergebnis gefiel ihm nicht. Die Schuppenkrieger stürmten nicht direkt auf ihn zu, aber sie würden seiner Deckung doch gefährlich nahe kommen, und dasselbe galt für ihre Verfolger. Skars Hand schloss sich fester um den ziselierten Griff des Tschekal, aber er zog die Waffe immer noch nicht. Die Quorrl versuchten schneller zu laufen, aber nun, als die Verfolger aus dem Wald heraus waren, machte sich die überlegene Schnelligkeit ihrer Pferde deutlich bemerkbar. Der Pfeilhagel verfehlte sein Ziel noch immer, aber Skar war mittlerweile nicht einmal mehr sicher, ob die Männer die Quorrl überhaupt treffen wollten. Sie jagten die Schuppenkrieger auf die Klippe zu - und damit auch auf ihn.