Noch immer, ohne bemerkt zu werden, näherte er sich dem Kreis aus mittlerweile fast zwei Dutzend Bewaffneten, der sich um die beiden Quorrl gebildet hatte. Er machte sich nicht die Mühe irgendetwas zu sagen - dazu war er zu zornig -, sondern stieß den ersten Mann, der vor ihm stand, einfach zur Seite - gröber, als er selbst gewollt hatte, denn der Bursche stolperte zwei Schritte rückwärts und stürzte dann ungeschickt zu Boden. Zwei weitere Männer fuhren wütend herum und einer hob sogar seine Waffe. Dann aber teilte sich der Kreis vor ihm und an die Stelle von Ärger und Zorn auf den Gesichtern der Männer traten Überraschung und Schrecken, als sie erkannten, wen sie vor sich hatten. Offensichtlich verbreitete die Kleidung eines Satai noch immer einen gewissen Respekt.
Skar verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran, sondern näherte sich mit schnellen Schritten den beiden Quorrl. Auch der zweite Schuppenkrieger war mittlerweile zu Boden gestürzt und blutete aus neuen, tiefen Wunden, von denen allerdings keine tödlich war. Die Angreifer hatten ohnehin Wert darauf gelegt, das Wesen nur zu verwunden, um seine Qual möglichst lange hinauszuzögern.
Er wandte sich dem zweiten Quorrl zu und stellte mit einem Blick fest, dass dieser nicht mehr zu retten war. Aus dem Schnitt in seiner Kehle lief noch immer hellrotes Blut, an dem er qualvoll erstickte. Aber Skar wusste auch, wie unglaublich zäh diese Geschöpfe waren. Sein Todeskampf konnte noch Stunden dauern. Skar zog sein Schwert, beugte sich vor und stieß dem sterbenden Quorrl die Klinge tief ins Herz. Es war ein Akt der Barmherzigkeit, das Einzige und Letzte, was er noch für dieses Geschöpf tun konnte. Trotzdem kam er sich vor wie ein Mörder.
Er trat zurück, schob das Tschekal mit einer ruhigen Bewegung wieder in die Hülle an seinem Gürtel und drehte sich ohne Hast herum. Der Ausdruck auf den Gesichtern der Männer war überall der gleiche: Verwirrung, Schrecken, hier und da vielleicht sogar eine Spur von Furcht. Vielleicht war etwas auf seinem Gesicht, was ihnen Angst machte. Skar war sich darüber im Klaren, welches gewaltige Risiko er einging. Aus der Nähe betrachtet, erwies sich seine erste Einschätzung als richtig: Sie waren nicht mehr als Bauern, schlecht bewaffnet und vermutlich noch schlechter ausgebildet, wenn überhaupt, aber sie waren immerhin mehr als zwanzig. Selbst für ihn eindeutig zu viele. Wenn diese Männer ihn angriffen, hatte er kaum eine Chance. Er konnte nur darauf bauen, dass ihnen klar sein musste, dass er im Falle eines Kampfes noch etliche von ihnen töten würde, bevor es ihnen gelang, ihn zu überwältigen, und dass keiner von ihnen Lust hatte zu diesen Etlichen zu gehören.
»Was ... warum habt Ihr das getan, Herr?«, fragte einer der Männer. Skar identifizierte ihn ohne Mühe als Anführer der Reiter: Er war groß, ausgesprochen muskulös und hatte ein brutales Gesicht, das allerdings von einem Paar erstaunlich intelligenter Augen beherrscht wurde. Die Art, auf die er das Wort Herr betont hatte, machte die Wahl des Begriffs zu purem Hohn.
Skar ignorierte sowohl die Frage als auch den Mann und wandte sich stattdessen direkt an den Satai mit der Wolfsmaske. Er war als Einziger nicht aus dem Sattel gestiegen, sondern beobachtete die Szene aus einiger Entfernung. Skar versuchte die Augen hinter den schmalen Schlitzen der goldenen Maske zu erkennen, aber sonderbarerweise gelang es ihm nicht. Hinter dem schimmernden Visier schien nichts als Dunkelheit zu herrschen.
»Was geht hier vor?«, fragte er. »Was haben euch diese Quorrl getan?«
Der Satai legte den Kopf auf die Seite und sah ihn weiter aus seinen unheimlichen, scheinbar pupillenlosen Augen an, und an seiner Stelle antwortete auch wieder der Reiter, der zuerst gesprochen hatte.
»Es sind nur Quorrl, Herr.«
»Und ihr wollt sie töten«, vermutete Skar. »Dann tötet sie. Aber quält sie nicht.«
Er konnte sehen, dass die Männer nicht einmal verstanden, wovon er überhaupt sprach. Und irgendetwas an der Haltung des Satai... änderte sich. Skar konnte nicht sagen, was, aber er spürte, wie sehr seine Worte den Reiter mit dem goldenen Visier überrascht hatten. Vielleicht hatte er einen Fehler gemacht. Skar mahnte sich in Gedanken selbst zur Vorsicht.
»Ich ... verstehe nicht.« Der Mann zwang sich zu einem unsicheren, nervösen Lächeln, senkte hastig sein Schwert und deutete dann mit der freien Hand auf den zweiten Quorrl. »Wenn ... wenn Ihr ihn töten wollt, Herr ...«
»Nein, das will ich nicht«, antwortete Skar. Ein weiterer Fehler. Er spürte es, noch bevor er die Worte ganz ausgesprochen hatte. Aber es war zu spät, um noch einen Rückzieher zu machen, und so fuhr er fort: »Ich komme von weit her. In meiner Heimat tötet man keine Quorrl, nur weil sie Quorrl sind.«
»Von weit her?« Die Stimme des Satai drang nur verzerrt hinter seinem Visier hervor, aber Skar entging der lauernde Ton darin trotzdem nicht. »Wie weit genau ist weit her? Wie ist dein Name?«
»Skar«, antwortete Skar. »Ich komme aus dem Süden. Ich war...«
Einer der Männer neben ihm stieß einen überraschten Laut aus. Skar bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und fuhr herum, aber seine Reaktion kam zu spät. Sie alle waren für einen Moment abgelenkt und der Quorrl nutzte die verzweifelte Chance, die sich ihm bot. Mit einer Schnelligkeit, die selbst Skar überraschte, sprang er in die Höhe, stieß zwei, drei Männer gleichzeitig zur Seite und riss einen vierten als lebenden Schutzschild an sich. Mit einem gewaltigen Brüllen durchbrach er den Kreis der Belagerer, schleuderte seine zappelnde Last von sich und raste im Zickzack davon.
Mindestens ein halbes Dutzend Männer hoben ihre Bögen und Armbrüste und legten auf den flüchtenden Quorrl an, aber Skar kam ihnen zuvor: Er schlug einem der Männer die Waffe aus der Hand, stieß einen zweiten zu Boden und rannte hinter dem fliehenden Quorrl her.
Der Fluchtversuch des Schuppenkriegers war ebenso verzweifelt wie aussichtslos. Er bewegte sich schnell, für einen Quorrl, aber er war verletzt, und selbst wenn er es nicht gewesen wäre, hätte er keine Chance gehabt - es gab einfach nichts, wohin er fliehen konnte. Skar holte ihn ohne große Mühe ein, zog im Laufen das Tschekal aus dem Gürtel und schlug nach seinen Kniekehlen. Im letzten Moment drehte er die Klinge, sodass sie den Quorrl mit der stumpfen Seite traf. Der Hieb brachte den Quorrl aus dem Gleichgewicht und ließ ihn nach einem letzten, ungeschickten Stolperschritt zu Boden fallen, durchdrang die zähen Hornschuppen allerdings nicht. Der Quorrl fiel, rollte wimmernd auf die Seite und riss die Arme vor das Gesicht, und Skar war mit einem Satz über ihm, schleuderte seine Hände mit einem Fußtritt zur Seite und senkte die Schwertspitze auf sein Herz.
»Das wird jetzt wehtun«, zischte er. »Aber wenn du leben willst, dann spiel jetzt den Toten.«
Er stieß zu. Die Schwertklinge glitt fast ohne spürbaren Widerstand durch die schuppige Haut des Quorrl, durchdrang seinen Körper einen oder zwei Fingerbreit unterhalb des Herzens und trat zwischen seinen Schulterblättern wieder hervor. Das Wesen brüllte vor Schmerz, bäumte sich auf und griff im verzweifelten Todeskampf nach Skars Schultern. Seine Krallen hinterließen tiefe, blutige Schrammen auf Skars Armen. Selbst jetzt noch hätte er ihm ohne Mühe jeden Knochen im Leib brechen können. Das Geschöpf war doppelt so schwer wie ein Mensch und mindestens fünfmal so stark. Skar ging ein entsetzliches Risiko ein, dem Quorrl eine Chance zu lassen, und er wusste nicht einmal, warum. Aber seine Rechnung ging auf. Statt ihn zu zermalmen, lockerte der Quorrl seinen Griff wieder. Seinen Hände fielen kraftlos herab und die schrecklichen Krallen, härter als Stahl, gruben sich knirschend in den Boden. Ein fassungsloser, durch und durch ungläubiger Ausdruck erschien in seinen gelben Reptilienaugen.