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Er hatte überhaupt während des gesamten Rittes zurück ins Dorf sehr wenig gesprochen, dafür jedoch umso genauer zugehört und sich umgesehen. Die Landschaft hier war karg, hatte aber ihren eignen, schroffen Reiz und die zuerst spärliche und dann immer üppiger werdende Vegetation sah kräftig und gesund aus, so als wäre die Versorgung mit Wasser hier überhaupt kein Problem. Skar war sich nicht ganz sicher, ob er schon jemals hier gewesen war. Doch wenn, dann hatte sich die Gegend dramatisch verändert: Kleine Seen hatten sich in Senken gebildet, die merkwürdig frisch aussahen, und als sie einen schmalen Pfad zwischen ein paar zwergenhaften Kalypso-Bäumen hinabritten, erkannte er nicht weit entfernt zu seiner Rechten einen gigantischen Einbruch in der Landschaft, der aussah, als hätte ein unglaublich großer Riese zu fest aufgetreten.

Als sie aus dem Wald herauskamen und die Hand voll Hütten und einfacher Gebäude vor ihnen lag, wusste er bereits, dass Rouns Miliz tatsächlich die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes darstellte und dass sie in größerer Sorge gewesen waren, als sie zugeben mochten. Sie waren Marnas ausdrücklichem Befehl gefolgt, aber nun waren sie erleichtert ihr Dorf unversehrt und ihre Familien lebendig wieder zu sehen. Offensichtlich war das in dieser Gegend nicht unbedingt selbstverständlich.

Ihre Annäherung blieb nicht unbemerkt. Schon während sie den flachen Hang hinabgaloppierten, der den Waldrand von den ersten Häusern trennte, kamen ihnen einige Kinder entgegengelaufen, zu denen sich bald darauf auch noch etliche Erwachsene gesellten - Frauen, Alte, auch zwei oder drei Männer, die aber ausnahmslos verletzt oder krank zu sein schienen. Roun schien tatsächlich alle waffenfähigen Männer mitgenommen zu haben; eine ziemlich leichtsinnige Vorgehensweise, wie Skar fand.

Während Roun und seine beiden Männer absaßen und sein Pferd weiter am Zügel ins Dorf hineinführten - als Skar ebenfalls hatte absitzen wollen, hatte Roun so erschrocken den Kopf geschüttelt und dazu ein fast entsetztes Gesicht gemacht, dass er die Bewegung instinktiv nicht zu Ende geführt hatte -, musterte er den Ausdruck auf den Gesichtern der Dorfbewohner. Er entsprach im Großen und Ganzen dem, den er erwartet hatte: Neugier, Scheu, Bewunderung - vor allem bei den Kindern -, hier und da eine Spur von Abneigung und Neid, aber auch Furcht. Skar war all dies gewohnt, aber weder in dieser Ausprägung noch in dieser Verteilung der zum Teil widersprüchlichen Gefühle. Er war es gewohnt, dass die Menschen ihn fürchteten; nicht einmal so sehr ihn, sondern das, was er war.

Roun geleitete ihn zu einem Gebäude, das sich zusammen mit einem halben Dutzend anderer um einen halbkreisförmigen Platz im Zentrum des Dorfes gruppierte und vielleicht nicht das größte, aber eindeutig eines der besseren Häuser hier war - trotzdem war es eine ärmliche Hütte. Das roh errichtete Fachwerk war mit Stroh und Lehm verfüllt und das Dach mit Schindeln gedeckt, die mit sehr viel mehr gutem Willen als Können aus der Rinde eines Baumes herausgeschnitten worden waren. Als Skar absaß und das Haus betrat, kamen ihm eine junge Frau und zwei Kinder von kaum zehn Jahren entgegen.

»Deine Familie?«, fragte er.

Roun wartete, bis die Frau und die beiden Jungen außer Hörweite waren, ehe er nickte und seine einladende Geste wiederholte. »Meine Frau und meine beiden Söhne, ja. Aber sie werden Euch nicht zur Last fallen. Das Haus gehört Euch, solange Ihr unser Gast seid.«

»Und wenn ich mich entschließe zu bleiben?«

Roun ging mit schnellen Schritten an ihm vorbei und öffnete die Läden vor den Fenstern, ehe er antwortete. »Dann würde es Euch gehören, wenn Ihr es wünscht, Hoher Herr. Doch es gibt bessere Häuser hier. Wir könnten eine angemessene Unterkunft für Euch errichten.« Er drehte sich herum, lehnte sich gegen die Wand neben eines der beiden Fenster und verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber Ihr werdet nicht hier bleiben, nicht wahr?«

Skar schloss die Tür und sah sich um - obwohl es wahrlich nicht viel zu sehen gab. Das Innere des Hauses entsprach vollkommen seinem äußeren Erscheinungsbild: Es war ärmlich. Der Boden bestand aus festgestampftem Lehm, in dem sich hier und da tiefe, zum Teil noch frische Kratzspuren zeigten; vermutlich von den Kindern im Spiel hinterlassen. Die Möbel mussten von dem gleichen wenig talentierten Handwerker angefertigt worden sein wie das Dach, und auch sie waren sehr armselig. Es gab einen Tisch, vier Stühle, eine offene Feuerstelle und ein Regal, das war alles. In der gegenüberliegenden Wand war eine niedrige, äußerst massive Tür, die ein wenig schief in den Angeln hing.

»Bitte urteilt nicht vorschnell, Hoher Herr«, sagte Roun. Skars Blick war ihm nicht entgangen und ganz offensichtlich war ihm der Eindruck peinlich, den seine Behausung hinterlassen musste. »Wir sind noch nicht lange hier.«

»Und ihr habt auch nicht vor lange zu bleiben«, vermutete Skar. Er wusste, wie hart und vor allem lang die Winter in diesem Teil des Landes waren. Dieses Haus machte nicht den Eindruck, als ob es einen solchen Winter überstehen konnte. So wenig übrigens wie der Rest des Ortes. Er hob die Hand, als Roun antworten wollte, und fügte in verändertem Tonfall hinzu: »Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich tue. Im Moment bin ich einfach nur müde - und ein wenig hungrig. Könntest du mir etwas zu essen besorgen?«

»Selbstverständlich, Hoher Herr.«

»Und hör auf, mich ständig Hoher Herr zu nennen«, fügte Skar hinzu. »Ich habe einen Namen.«

Roun senkte den Blick und begann wie ein gescholtenes Kind mit den Füßen zu scharren. »Natürlich, Hoher ... Ska. Verzeiht. Es ist nur... hier nicht üblich, einen Satai mit Namen anzusprechen.«

»Da, wo ich herkomme, schon«, murmelte Skar. Er machte zwei Schritte auf den Tisch zu, blieb dann wieder stehen und maß die Schemel davor mit einem so eindeutigen Blick, dass Roun hastig auf die Tür deutete und sagte: »Die Betten sind nebenan. Sie sind nicht luxuriös, aber bequemer als der Boden.«

Wenn Roun sie wie den Rest der Möblierung selbst gebaut hatte, dann bezweifelte Skar das. Er ersparte sich jedoch eine entsprechende Bemerkung, sondern ließ sich mit einem demonstrativ müden Seufzen am Tisch nieder und sah an seinem Gastgeber vorbei aus dem Fenster. Roun verstand und beeilte sich das Haus zu verlassen und die Tür hinter sich zuzuziehen. Trotzdem konnte Skar erkennen, dass sich in den wenigen Augenblicken seit ihrer Ankunft ein regelrechter Aufruhr vor dem Haus gebildet hatte. Der Anblick eines Satai gehörte hier offensichtlich nicht zum Tagesgeschehen.

Skar war froh einen Moment allein zu sein. Er hatte nicht einmal gelogen, als er behauptet hatte zu müde und zu hungrig zu sein, um eine Entscheidung zu treffen. Er hatte Antworten haben wollen, aber gefunden hatte er nur neue Fragen.

Was ihn am meisten verwirrte, war seine eigene Reaktion. Er hatte nicht reagiert, wie er erwartet hatte. Er hatte überhaupt nicht so gehandelt, wie er es von sich gewohnt war. Statt das Einzige zu tun, was überhaupt Sinn ergeben hätte - nämlich abzuwarten und zu beobachten, um so viele Informationen wie nur möglich zu sammeln -, hatte er sich in etwas eingemischt, von dem er weder wusste, worum es ging, noch, welche Rolle die daran Beteiligten spielten. Er hatte sein Leben riskiert, um einen Quorrl zu retten! Und er hatte nicht einmal darüber nachgedacht, sondern es einfach getan.

Verrückt.

Die Tür ging auf, aber es war nicht Roun, der zurückkam, um das verlangte Essen zu bringen. Stattdessen erkannte Skar nur eine schmale, sehr kleine Silhouette im grellen Gegenlicht, die zu einem vielleicht vierzehn-, oder fünfzehnjährigen Mädchen wurde, als sie das Haus betrat. Es hatte langes, glattes Haar und ein schmales Gesicht, das noch ein paar Jahre davon entfernt war, bald aber zu dem einer sehr schönen Frau werden würde. Selbst ein Blinder hätte erkannt, dass es Rouns Tochter war.