Kein Zweifeclass="underline" Das leise, kaum wahrnehmbare Geklirr, das nervöse Schnauben mehrerer Pferde, das fast unhörbare Geraune und Getrappel - im Schutz des Nebels braute sich etwas unheilvoll zusammen. Skar begriff, wie blind und hilflos die Menschen hier waren. Kein Krieger würde sinnlose Diskussionen mit Fremden führen, wenn er übermächtige Feinde in der Nähe weiß und sich selbst im Nebel gefangen sieht. Wenn er Roun und die Digger richtig einschätzte, würden sie es trotz der unheilvollen Witterung versäumen doppelte Wachen aufzustellen und kein Mensch würde hier auf die Idee kommen alles für einen Abwehrkampf vorzubereiten, Gräben zu ziehen, Barrikaden aufzubauen und Fallen zu errichten.
Hinter ihm war etwas. Leise Schritte, die kaum den Boden zu berühren schienen. Skar wirbelte herum, die Hand auf den Griff seines Tschekals, bereit im gleichen Augenblick die fürchterliche Waffe aus geschliffenem Sternenstahl zu ziehen.
»Habe ich dich erschreckt?«, fragte Esanna. Das Mädchen lächelte leicht, als mache ihr die Vorstellung Spaß den mächtigen Krieger bei einer Unvorsichtigkeit zu ertappen. »Wo ist dein Vater?«, fragte Skar barsch, und als Esanna nur verständnislos den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Bring mich sofort zu ihm!«
»Warum?«, fragte Esanna. »Ist etwas passiert?«
»Das kann man wohl sagen.« Skars Stimme bekam einen unangenehm metallischen Klang. »Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir gleich Besuch bekommen. Ungebetenen Besuch.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Hörst du es nicht?«, fragte Skar leise. »Die vielen kleinen Geräusche? Wenn es nicht eure Leute sind, die dort im Nebel unterwegs sind, dann, fürchte ich, sind es Quorrl.« Esanna legte den Kopf schief und lauschte. »Da ist etwas«, sagte sie zögernd und mit einem Mal wirkte sie sehr ängstlich. »Es ... da ... ein Klirren ...«
»Und?« Skar packte sie grob bei der Schulter. »Sind es deine Leute - oder ist das jemand anders?«
»Du meinst«, stammelte Esanna, während sie sich unter Skars Griff wand, »die Quuorrl!«
Das letzte Wort hatte sie fast geschrien. Und trotzdem antwortete ihr auch jetzt noch nichts, nicht der fragende Ruf eines Wächters, nicht das Trampeln von Füßen, das davon kündete, dass der geschriene Name des Todfeinds einen Alarm ausgelöst hatte, einfach nichts.
Skar ließ das Mädchen los. Er hatte zu fest zugedrückt und Esanna krümmte sich vor Schmerzen, während sie gleichzeitig versuchte vorwärts zu taumeln. »Selbst wenn es stimmt...«, stammelte sie, »sie bereiten die Erweckung vor... wir dürfen sie jetzt keinesfalls stören! Das heilige Kaol muss von der Gemeinschaft erweckt und bereitet werden - auf dass es uns nähre und uns Kraft gibt unseren Feinden zu trotzen!«
Skar seufzte. »Zu irgendwelchen Spielchen fehlt uns die Zeit, Kind. Wenn wir sie nicht rechtzeitig warnen, ist das Dorf dem Untergang geweiht.«
Esanna starrte ihn einen Herzschlag lang blass und verstört an, dann nickte sie. »Hier entlang, Herr«, sagte sie und deutete nach vorne auf eine Hütte, die größer war als alle anderen, ein massiver Schemen im verschlingenden Nebel. »Aber du darfst auf keinen Fall das Wort ergreifen.«
Skar hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, aber das war im Moment auch nicht weiter wichtig. Er folgte dem Mädchen, das mit kleinen, trippelnden Schritten, aber erstaunlich schnell auf die Eingangstür zulief und sie atemlos aufriss.
Der Anblick übertraf alle seine Erwartungen. Männer und Frauen standen vor roh gezimmerten Tischen, auf denen Schaufeln, Spaten, Hacken und anders Ausgrabungsgerät sorgfältig ausgebreitet waren, dazwischen Säckchen und andere Behältnisse mit irgendetwas, was er nicht erkennen konnte. In dem Raum herrschte ein unglaublicher Gestank; eine scheußliche, atemberaubende Ausdünstung von fast stofflicher Beschaffenheit, die sich ekelhaft klebrig über sein Gesicht und seine Atemwege zu legen schien. Es war gleichzeitig Tod und Verwesung, was er dort mit jedem Atemzug in sich aufnahm, wie auch etwas auf vollkommen falsche Weise Lebendiges und nur mit Mühe schüttelte er die Vorstellung ab, dass etwas über die Atemwege von ihm Besitz zu erlangen versuchte.
Die Menschen in dem Raum wandten sich langsam und mit fast grotesk verzögerten Bewegungen zu ihm um, so als müssten sie sich erst überzeugen, dass ein Eindringling es wagte, sie in ihrer selbstvergessenen Prozedur der Erweckung zu stören. Skar erkannte einige der Männer und Frauen unter ihnen wieder, die am Tag zuvor Jagd auf die Quorrl gemacht hatten und andere, die er beim Eintritt ins Dorf bemerkt hatte, aber es waren auch nicht wenige dabei, die er noch nie zu Gesicht bekommen hatte und die so sonderbar, ja teilweise abscheulich aussahen, dass es ihm erst einmal die Sprache verschlug.
Einer von ihnen war der Mann, der direkt an der Tür und mit dem Rücken zu ihm gestanden hatte, und sich nun vollends zu ihm umdrehte. Er war völlig missgestaltet. Augen und Nase schienen ein gutes Stück nach unten gerutscht zu sein und dabei an Größe zugenommen zu haben, doch wo die Stirn und das rechte Ohr sein sollten, wucherte ein Fladen aus grauem, nässendem Fleisch, dessen Ausläufer so weit bis zur Kopfmitte wucherten, dass sie von seiner einfachen Kopfbedeckung nur unvollkommen verdeckt wurden. Auch einige anderen Menschen wiesen Missbildungen auf, hatten Verwachsungen oder eine rötlich entzündete Haut, verdrehte Gesichtsproportionen, geschwollene Gliedmaßen oder ebenfalls Fladen nässenden Fleischs im Gesicht. »Was bringst du den Fremden hierher?«, fragte Roun, der wie selbstverständlich in der Mitte des Raumes stand. »Er hat hier nichts verloren.«
»Aber ... die Quorrl«, sagte Esanna hilflos. »Er meint, sie könnten uns angreifen.«
»Na klar, Kindchen«, sagte eine dickliche Frau, während sie etwas Unförmiges unter dem Tisch verschwinden ließ, dessen Aussehen Skar nur entfernt erahnen konnte, »sie könnten uns jederzeit angreifen. Aber diese Tiere trauen sich nicht an uns heran. Sie haben Angst vor uns.«
Fast war Skar geneigt ihr zu glauben. Der Mann mit den verrutschten Augen und der nach unten wuchernden Nase trat einen weiteren Schritt auf ihn zu und er konnte seinen stinkenden Atem riechen. Er wusste nicht, wie ein Quorrl auf ihn reagieren würde, aber er selbst empfand mit Sicherheit eines: Ekel. Angewidert schob er den Mann ein Stück von sich fort, wobei er, als er ihn an den Armen packte, ein merkwürdig glibberiges Gefühl hatte, so als wäre da gar nicht lebendiges Fleisch unter den Ärmeln der armseligen Jacke, sondern irgendetwas anderes.
»Aber es ist Nebel«, sagte Esanna verzweifelt. »Begreift ihr denn gar nicht? Sie könnten sich unbemerkt an uns anschleichen. Der Posten auf dem Felsen würde sie nicht einmal sehen, wenn sie direkt vor ihm stünden.«
Wenn er überhaupt noch lebt, dachte Skar. Er fühlte eine merkwürdige Art der Unruhe in sich. Es war fast etwas wie eine Vorfreude, wie die Genugtuung, dass nun endlich das Unglück über diese Menschen und teilweise abscheulichen Kreaturen hereinbrechen würde, dass sie das bekommen würden, was ihnen zustand - ein Gefühl, das so heftig war, dass es ihn erschreckte und gleichzeitig abstieß.
»Quorrl greifen an, wenn wir in kleinen Gruppen diggen«, sagte Roun mürrisch. »Nur deswegen brauchen wir Schutz. Aber wie ich sehe, ist der Hohe Herr eher damit beschäftigt, uns hinterherzuschnüffeln.«
»Ich hoffe, ihr habt mehr als nur eine Wache aufgestellt«, Skars Lippen verzogen sich geringschätzig, »denn es könnte sein, dass euer Dorf gerade umzingelt wird. Ich würde es nicht darauf ankommen lassen, sondern sofort alle zusammentrommeln.«
»Und du meinst, du hast anschleichende Quorrl gehört, während wir alle nichts davon mitbekommen haben?«, fragte Roun spöttisch. »Für wie dumm hältst du uns eigentlich, solche Lügengeschichten aufzutischen? Wenn du mich fragst«, er sah sich Beifall heischend in der Runde um, »willst du uns nur ausspionieren.«