Es war wie ein Traum, ein böser, grausamer, nicht enden wollender Traum, aber er war von fürchterlicher Realität und es dauerte nur Sekunden, aber sie dehnten sich zu Ewigkeiten der Qual. Das ganze klapprige Gebäude bebte, Strohpartikel rieselten vom Dach herab, gefolgt von Latten und Steinen, die wohl als Beschwerung gedient hatten und nun zu Geschossen wurden. Menschen duckten sich unter dem gefährlichen Hagel, warfen Waffen beiseite, um ihre Gesichter mit Händen und Armen zu schützen oder krochen unter die Tische, die einen, wenn auch sehr zweifelhaften Schutz vor dem Grauen boten. Schrecklicher aber noch als das Bersten, Splittern und Zusammenkrachen waren die Alptraumgestalten, die die Zerstörung ausgelöst hatten. Es waren mehrere Quorrl, drei, vier, fünf der Giganten, die mit wahnsinniger Geschwindigkeit den Raum stürmten und mit ihren Zackenschwertern eine furchtbare Schneise von Tod und Vernichtung schnitten. Die geschuppten Kolosse hatten gar nicht vor sich auf einen Kampf einzulassen, sondern führten eine vollkommen neue Variante davon vor, wie man ein Gebäude stürmen konnte: Mitten durch die Wand auf der einen Seite rein und auf der anderen Seite raus.
Ihre Geschwindigkeit war so hoch, dass Skar es gerade noch schaffte herumzuwirbeln, aber nicht mehr sein Schwert in Position bringen konnte - das sich unglücklich in der Wand verklemmt hatte und sich nur mit einem kräftigen Ruck wieder befreien ließ -, wodurch er dem Quorrl, der quasi durch ihn und die Wand wieder ins Freie stürzen wollte, nur passiven Widerstand entgegensetzen konnte; er steppte im letzten Moment beiseite, sodass der beiläufig und dennoch wuchtig geführte Hieb der Quorrl-Waffe ihn nur mit der stumpfen Seite streifte und zu Boden taumeln ließ. Dann waren die Quorrl auch schon an ihm vorbei. Ohne merklich an Geschwindigkeit zu verlieren, durchbrachen die Kolosse, doppelt so schwer wie Menschen und mindestens fünfmal so stark, die zweite Wand und versetzten so dem Gebäude den endgültigen Todesstoß. Holz, Steine, Metallteile, Späne regneten auf Skar hinab; ein wahrer Splitterregen ergoss sich über ihn und alle anderen, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, sich unter den Tischen in vorläufige Sicherheit zu retten. Doch dann folgten auch schon die größeren Stücke und Holzbalken und stürzten mit grausamer Wucht hinab und aus dem Schutz der Tische wurden Todesfallen mit zusammenknickenden Beinen und Tischplatten, die mit grausamer Wucht auf die Schutzsuchenden prallten. Binnen weniger Augenblicke glich die Mitte des Raums einem Hexenkessel aus schreienden Menschen, herabstürzendem Baumaterial, dichten Staubschwaden und absoluter Hoffnungslosigkeit. Wer konnte, sprang durch eine der Öffnungen ins Freie, hinein in den grauen Nebel, nur weg aus dem Chaos von Tod und Verderben, das so unglaublich schnell hier Einzug gehalten hatte, dass niemand Zeit gehabt hatte auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
Skar hatte Glück im Unglück: So nahe der Stelle, an der die Quorrl die Wand durchbrochen hatten, waren keine schweren Trümmer niedergegangen. Er kam mit einer schnellen Bewegung in eine sprungbereite Hockstellung hoch; wie von selbst stießen seine Finger das Tschekal in die Schwertscheide zurück, der Reflex des Kriegers, der seine Waffe schützen will und muss, um jederzeit gegen einen wie auch immer gearteten Feind antreten zu können.
Gerade, als er sich vollends aufrichten wollte, um wie die überlebenden Digger fluchtartig das zusammenstürzende Gebäude zu verlassen, hörte er neben sich einen Aufschrei, einen spitzen, entsetzten Laut, der trotz des Chaos um ihn herum an ihn herandrang und ihn zögern ließ.
Es bedurfte nur eines kurzen Blicks, um zu erkennen, wer dort geschrien hatte: Es war Esanna. Das Mädchen lag kaum zwei Fuß von ihm entfernt, ein undeutlicher Schemen inmitten einer Staub- und Partikelwolke, die es fast gänzlich einhüllte. Die Beine des Mädchens waren von etwas eingeklemmt, was wie der zerborstende Rest eines Dachbalkens aussah. Mit einem Schritt war Skar bei ihr. Ein Digger, der an ihm vorbeitaumelte in Richtung der vermeintlichen Rettung - also dorthin, wo die Quorrl verschwunden waren -, starrte ihn einen Augenblick aus weit aufgerissenen Augen an und hob dann die mit einem Schwert bewehrte Hand, als wollte er Skar mit einem einzigen Schlag in zwei Stücke spalten. Aber dann taumelte er weiter, ohne auch nur den Versuch eines Angriffs unternommen zu haben.
Skar beugte sich zu Esanna herab. Es blieb ihm nicht mehr viel Zeit, streng genommen gar keine mehr, denn das Gebäude schien nun den Widerstand gegen die mutwillige Zerstörung aufgeben zu wollen, um dann endgültig einzustürzen und zuvor als ersten Sendboten der totalen Zerstörung den Rest der Dachkonstruktion auf all die herabzuschicken, die sich noch nicht in Sicherheit hatten bringen können. Ohne zu überlegen, ging Skar in die Hocke, packte Esanna am Handgelenk und sprang im gleichen Moment schon wieder auf; das Mädchen wurde wie eine Puppe hochgerissen und der Rest des Balkens rutschte von ihren Füßen. Ein fürchterliches Krachen im noch verbliebenen Gebälk über ihnen kündete die nächste Schuttlawine an. Skar brauchte nicht nach oben zu sehen, um zu wissen, dass er die wenigen Meter bis zur zerstörten Wand kaum noch zurücklegen konnte, bevor er und das Mädchen von den herabfallenden Trümmern erschlagen wurden. Er setzte zu einem gewaltigen Sprung an, der sie mit einem Schritt aus der Gefahrenzone bringen sollte, doch im selben Moment ging ein massiver Querbalken vor ihm krachend nieder, gefolgt von einer Flut weiterer schwerer Holzteile. Skar bremste seine Bewegung gerade noch rechtzeitig ab, um nicht mitten in die hinabstürzenden Trümmer hineinzulaufen, die sie andernfalls beide zweifelsohne zerschmettert hätten, schlug einen Haken und setzte dann, immer noch Esannas Handgelenk fest umklammernd, über den Trümmerhaufen hinweg.
Keinen Augenblick zu früh. Hinter ihnen stürzte das größte Gebäude des Dorfes wie ein Kartenhaus in sich zusammen; der Rest des Dachs krachte mit einer Reihe gewaltiger Explosionen auf den Boden, gefolgt von den wenigen Stützbalken, die die bereits zerstörten Wände noch halbwegs in ihrer Position gehalten hatten. Ein mehrfaches Wummern, dumpf und erschreckend laut für eine solche instabile Konstruktion, erschütterte den Boden, und dann folgte eine aufgewirbelte Staub- und Dreckwolke, die sich über die Trümmer ausbreitete, als wollte sie das Ausmaß der Zerstörung vor neugierigen Blicken verbergen.
Doch das war absolut nicht nötig, denn wie ein erstickendes Leichentuch hing der Nebel über dem Tal und machte es unmöglich, viel mehr als nur die Hand vor Augen zu erkennen. So sehr sich Skar auch anstrengte, das feuchte Grau zu durchdringen, hatte er doch kaum einen anderen Ansatzpunkt zur Orientierung als die Kampfgeräusche, das Wimmern und Schreien überall um sich herum und er begriff, dass die Quorrl die systematische Vernichtung des Dorfes mit der ihnen eigenen Gründlichkeit und Grausamkeit zu Ende führen würden, egal, wie viel erbitterten Widerstand die Digger auch zu leisten bereit waren.
Was ihn selber aber nicht aus der Gefahrenzone brachte. Er hatte nur zwei, drei Sekunden lauschend dagestanden, dann lief er wieder los, ohne die mittlerweile sich sträubende Esanna loszulassen, aber auch ohne sich ihr zuzuwenden, um zu überprüfen, wie es ihr ging; dafür würde gleich Zeit sein, wenn er den Kampftumult erst einmal hinter sich gelassen hatte. Es war mehr ein Gefühl als ein bewusstes Wahrnehmen, das ihn dazu brachte, sich nach links zu wenden und damit direkt an mehreren Diggern vorbei, die wohl gleich ihm noch in letzter Sekunde aus dem einstürzenden Gebäude hatten entkommen können. Zwei, drei Männer wandten sich zu ihm; sie waren ihm so nah, dass Skar trotz des Nebels das kalte Funkeln in ihren Augen zu sehen glaubte, als sie ihn entdeckten, wie er auf sie zustürmte, die Tochter ihres Anführers wie eine Trophäe hinter sich herziehend. Auch unter weitaus günstigeren Umständen wäre es Skar wahrscheinlich schwer gefallen zu erklären, was er mit Esanna vorhatte und wieso er gar keine andere Wahl gehabt hatte, als die mittlerweile Zappelnde und um sich Schlagende mitzuschleifen.