Es wäre müßig gewesen, darüber zu streiten, ob der Mann Recht hatte oder nicht. Die Quorrl sorgten dafür, dass er sowieso nicht zu einer Antwort kam. Die beiden hinter ihm stehenden Schuppenkrieger stürmten wie auf ein Kommando vor und trieben die Digger-Gruppe erbarmungslos vor sich her, während ihre Scharten-Schwerter gleichzeitig reiche Ernte unter ihnen hielten. Einer der Männer, die sich ihnen mit dem Mut der Verzweiflung entgegenstellten, brach wie vom Blitz getroffen zusammen und blieb liegen, während ein Zweiter noch einen schwerfälligen Schritt tat, zuerst auf die Knie und dann ganz nach vorne fiel. Ein paar der anderen wurden von den kraftvollen Schwerthieben ihre Waffen aus den Händen geprellt; sie taumelten zurück in dem vergeblichen Versuch dem wütenden Angriff durch schnelle Ausweichbewegungen zu entgehen, und es konnte nur noch Sekunden dauern, bis auch sie Opfer der Quorrl-Waffen wurden.
Skar war sich nur zu bewusst, dass er jetzt eigentlich gar nichts unternehmen konnte; die Situation war ihm viel schneller entglitten, als er geglaubt hatte. Sich auf die Seite der Digger zu schlagen, die ihn eben noch mit erbarmungslosem Fanatismus angegriffen hatten, verbot sich von selbst, und den Quorrl zu helfen war weder sinnvoll noch notwendig - einmal abgesehen davon, dass es undenkbar für ihn war, Quorrl auf einem ihrer Vernichtungsfeldzüge gegen eine Menschensiedlung zu unterstützen.
In diesem Moment schrie Esanna. Er hatte keine Ahnung, warum er sich so verdammt sicher war, dass sie es war, und noch weniger Ahnung hatte er, warum ihm das Schicksal dieses einen Digger-Mädchens so wichtig war, während ihm der Rest der Dorfbevölkerung gestohlen bleiben konnte. Aber es war wohl kaum der rechte Augenblick, sich wegen ein paar Haarspaltereien Gedanken zu machen; wenn er Esanna retten wollte, dann musste er schnell und konsequent handeln.
Seine Augen entdeckten das Mädchen beinahe wie von selbst. Es war halb unter einem Sterbenden begraben worden, zusätzlich eingeklemmt von einem Speer, der sich dicht neben ihr in den Boden gebohrt hatte. Skar sprang ansatzlos auf sie zu. Ein Armbrustbolzen sauste haarscharf an ihm vorbei und bohrte sich in den Arm eines Quorrl, der gerade an ihm vorbei auf den Sterbenden und damit wahrscheinlich auch auf Esanna zustürmen wollte; Skar stattete dem Schützen in Gedanken einen kurzen Dank ab, denn der Bolzen brachte den Quorrl ins Stolpern und damit von seinem Vorhaben ab. Mit wütendem Gebrüll stürzte sich der Geschuppte in die Richtung, in der er den Schützen vermutete.
Das verschaffte Skar genau die Atempause, die er für sein Vorhaben brauchte. Kaum hatte er sein Ziel erreicht, riss er auch schon den halb toten Digger zur Seite, packte Esanna an den Armen und warf sie sich in der gleichen Bewegung über die Schulter. Seine Augen suchten derweil in dem von Nebelfetzen und übel riechendem Rauch nur verschwommen erkennbarem Kampftumult nach dem Schlupfloch, durch das er mit seiner leichten, kaum spürbaren Last entkommen konnte.
Er entdeckte es genau zwischen dem von ihm zu seiner eigenen Rettung schwer verletzten Quorrl, der ganz offensichtlich innerhalb der Hierarchie der Geschuppten eine wichtige Funktion erfüllte, und Roun, dem es mit ein paar anderen Diggern gelungen war, dem ersten Ansturm auszuweichen. Vielleicht hatte er Roun abermals unterschätzt: Wenn der Mann begriffen hatte, dass der durch Skar verletzte Reptilienkrieger so etwas wie der Kommandant der ganzen Quorrl-Truppe war, dann lag es nahe, dass er ihn zuallererst angreifen würde - zumal auch er erkannt haben musste, dass dieser geschuppte Gigant sich kaum auf den Beinen halten konnte, geschweige denn sich energisch verteidigen würde.
Ein Fehler, den nur jemand begehen konnte, der die Mentalität der Quorrl nicht kannte. Skar hatte schon miterleben müssen, wie Reptilienkrieger ihre eigenen Verwundeten getötet hatten, nur um eines winzigen strategischen Vorteils willen, und er war fest überzeugt, dass es den Diggern keinen Vorteil bringen würde, den Kommandanten dieser Kriegerschar umzubringen: Statt Verwirrung zu stiften, würden sie noch mehr Wut, Zorn aber auch Entschlossenheit ernten.
Ihm konnte es in diesem Moment egal sein. Mit Esanna auf den Schultern hechtete er auf die Lücke zu, die wie gemacht für ihn aufklaffte, und wäre mit zwei weiteren raschen Schritten hindurch gewesen, wenn ihm die Quorrl nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten. Wie hingezaubert tauchten sie plötzlich aus dem Nebel vor ihm auf, in so dichter Formation, dass an ein Durchkommen nicht mehr zu denken war.
Skar bremste seinen Lauf mit einer abrupten Bewegung ab, suchte nach einem neuen Ausweg, nach einer winzigen Lücke in den im Kampf miteinander verschränkten Leibern und sah sich stattdessen schneller als ihm lieb war einem halben Dutzend geschuppter Giganten gegenüber, die sich mit gezogenen Zackenschwertern zwischen ihm, den Diggern auf der einen Seite und ihrem Anführer auf der anderen Seite aufbauten.
Jetzt konnte gar kein Zweifel mehr daran bestehen, dass er einem ganz ungewöhnlichen Quorrl das Leben gerettet hatte. Das Verhalten der Schuppenkrieger entsprach in nichts dem, was er von dieser Rasse gewohnt war. Statt einfach wild draufloszuschlagen, wie es bei einem Angriff normalerweise ihre Art war, verhielten sie sich wie eine wohl disziplinierte Leibwache, deren oberstes Ziel darin bestand, Leib und Leben ihres Führers zu beschützten. Doch wenn das so war - wo war diese Leibwache dann gestern gewesen? Hatte sich der Quorrl-Führer Zeit für einen kleinen Rundgang mit ein paar Quorrl-Frauen und wenigen Vertrauten genommen und war zufällig von einem Trupp Digger überrascht worden oder war es ein gezielter Hinterhalt gewesen, den Marna, der Satai mit der Wolfsmaske, sorgfältig inszeniert hatte? Die Gedanken purzelten blitzschnell durch Skars Kopf, während sein Instinkt vollauf damit beschäftigt war, die für die ungewöhnliche Situation passende Strategie zu entwickeln. Die Lösung war gleichermaßen einfach wie unbefriedigend: Er blieb stehen und senkte die Spitze seines Tschekals, um zu signalisieren, dass er keinesfalls beabsichtigte die Reptilienkrieger anzugreifen. Selbst Roun und seine Kumpane schienen einzusehen, dass ein Angriff Selbstmord war; sie rückten näher zusammen und zwei, drei Männer streckten ihre Lanzen vor in einer grotesken Parodie einer geordneten Abwehrhaltung, wie sie die Soldaten der großen Städte wie Ikne und Wolan praktizierten.
Zu behaupten, dass sich Skar in diesem Moment unwohl gefühlt hätte, wäre die Untertreibung des Tages gewesen. Es waren nicht nur die Digger, die ihn offensichtlich abgrundtief hassten und von denen trotz ihrer generell hoffnungslosen Lage eine große Gefahr ausging - jetzt, wo er ruhig stand, um die Quorrl nicht zu provozieren, war er eine leichte Beute für einen Armbrust- oder Bogenschützen; es waren auch die unberechenbaren Schuppenkrieger selber, die ihn jederzeit niedermachen konnten und gegen die er in seiner augenblicklichen Lage wohl kaum den Hauch einer Chance hatte. Zu allem Übel randalierte auch noch Esanna auf seinem Rücken, die wohl nicht begriff, dass er sich zu ihrer Rettung in dieses Abenteuer gestürzt hatte.
»Es wäre freundlich, wenn ihr mich durchlassen würdet«, sagte Skar. »Euer Konflikt ist nicht der meine.«
Er wusste, dass Quorrl eine solche Bitte als höchst ungewöhnlich, um nicht zu sagen als unverschämt betrachten mussten, aber was er nicht wusste, war: Warum er Esanna nicht einfach vom Rücken ließ, sein Schwert einsteckte und sich damit ein klein bisschen unterwürfiger zeigte, so wie es seiner augenblicklichen Situation wohl eher angemessen war - schließlich waren die Quorrl nicht gerade für ihr Zartgefühl bekannt, sondern eher dafür, ungebetene Einmischung auf sehr direktem Wege mit dem Schwert zu ahnden.