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Skar konnte geradezu sehen, wie sich die Gedanken hinter der Stirn des Mädchen überschlugen. »Die Ungeheuer haben uns angegriffen, weil Ihr uns verraten habt.« Sie schüttelte den Kopf, als könne sie etwas nicht verstehen, und fuhr dann anklagend fort: »Mein Vater hat Euch Gastrecht gewährt. Und wie habt Ihr es ihm gedankt?«

»Wie hätte ich es ihm denn danken sollen?«, fragte Skar mit einer Schroffheit, die ihn selbst überraschte. »Indem ich mich von ihm und seinen Freunden hätte umbringen lassen?«

Esannas Augen wurden groß und dunkel vor Angst.

»Mein Vater hat Euch nur angegriffen, weil er begriffen hat, dass Ihr ein dreckiger Verräter seid.«

»Ich habe niemanden verraten.«

»Und wie kommt es dann, Satai, dass die Quorrl unser Dorf ausgerechnet in der Vorbereitung zur Erweckung angegriffen haben?« Esannas Stimme zitterte. »Ihr habt uns ausspioniert und ihnen verraten, dass wir die Erweckung vorbereiten. Das genau war ihre Chance. Der einzige Zeitpunkt, zu dem unsere Wachsamkeit nicht so groß war wie sonst.«

»So ein Schwachsinn«, knurrte Skar. »Es war der Schutz des Nebels, den die Quorrl genutzt haben. Obwohl ich nicht einmal glaube, dass sie irgendeinen Schutz gebraucht hätten.«

»Sie brauchten keinen Schutz, weil Ihr uns verraten habt.« In Esannas weit aufgerissenen Augen stand ein Ausdruck fassungslosen Entsetzens, so als würde sie dem Mörder ihrer Familie ins Gesicht blicken und könnte einfach nicht glauben, dass ihn noch nicht einmal das geringste Schuldgefühl plagte. »Aber das ist Euch gleichgültig, nicht wahr? Es interessiert Euch nicht im Geringsten, wie viel Leid Ihr über mich und all die anderen gebracht habt!«

»Es tut mir Leid, was passiert ist«, sagte Skar. »Aber ich habe nichts mit dem Hass zwischen euch und den Quorrl zu tun. Und verraten habe ich schon gar nichts.«

Esannas Hände begannen für einen Moment zu zittern. »Ihr seid ein Verräter«, sagte sie erschüttert. »Möge Euch der Tod noch heute Nacht im Schlaf ereilen.«

»Danke für die frommen Wünsche«, sagte er schroff und dachte daran, dass ihn der Tod schon längst geholt hatte - was aber nicht hieß, dass er es nicht noch einmal tat. »Menschen und Quorrl dreschen aufeinander ein, wo auch immer sie können - aber das heute ... das war anders. Ich will wissen, warum.«

»Natürlich war es anders«, sagte Esanna wütend.

»Schließlich sind wir Digger. Die Quorrl sind unsere Todfeinde. Wann immer sie einen von uns erwischen, metzeln sie ihn nieder ...« Sie brach ab und schluchzte. Es war offensichtlich, dass sie gegen Tränen ankämpfte, aber auch genauso sinnlos. Sie weinte leise vor sich hin, in einem Schmerz, dessen ganze Kraft sich sicherlich erst in den nächsten Tagen entfalten würde, wenn der Schock nachließ und sie die ganze Tragweite des heute Geschehenen nicht mehr länger vor sich verleugnen konnte.

Skar starrte in das prasselnde Feuer, das er nur mit Mühe in Gang hatte setzen können; es war kaum trockenes Laub oder Reisig in diesem Teil der Höhle zu finden gewesen, aber immerhin einige, wohl von einem früheren Besucher dieses ungastlichen Unterschlupfs zusammengesammelte Holzstücke. Er wollte Entsetzen empfinden, Furcht, Schmerz, Verzweiflung, aber in ihm war nichts. Jedenfalls nichts von alledem. Der mannigfache Tod der Digger, ihr Sterben und Leiden, ließ ihn merkwürdig kalt. Es war sogar beinahe so, als würde etwas in ihm so etwas wie Genugtuung bei dem Gedanken empfinden, dass das Dorf der Digger nun dem Erdboden gleichgemacht worden war.

Ein paar Atemzüge lang verlor er sich vollkommen in den Flammen, ihrem Züngeln und spielerischen Ausfällen in die kalte Nacht hinein, ins Spiel der Rauchschwaden, die, von der immer noch eiskalten, zugigen Luft mitgerissen, in verwirrenden Mustern zum fernen Ausgang gewirbelt wurden, und in das Knistern und Prasseln des Holzes, das ihm nach den schrecklichen Schreien, dem Stöhnen und dem Waffengeklirr wie das Versprechen einer fernen heilen Welt erschien. Während ihn das unergründliche Züngeln der kleinen Flämmchen noch gefangen nahm, bemerkte er aus den Augenwinkeln eine andere Bewegung, ein vorsichtiges Voranschieben von Esannas zierlicher Hand, die sich unter ihren Rock schob wie eine Schlange auf der Suche nach einer schnellen Beute. Es war vielleicht den sich schrecklich überstürzenden Ereignissen des Nachmittags zuzuschreiben, der Erschöpfung der äußerst bizarren Wanderung durch das unwegsame, kaum einsichtige Gelände, durch das sie auf ihrem wie von einer unsichtbaren Hand gelenkten Weg hierhin gelangt waren: Seine Reaktion war viel langsamer, als man sie von einem Ausnahmekrieger wie ihm erwarten durfte.

Esannas Hand kam wieder vor und sie war nicht leer. Spätestens das metallische Aufblitzen hätte ihn warnen müssen oder die in einer schnell Bewegung nach oben gerissene Hand. Nichts von alledem geschah. Er wandte in einer geradezu grotesk langsamen Bewegung den Kopf zu ihr um, wie es vielleicht ein Bauer tun würde, der sich in einem Wirtshaus einem überraschenden Angriff gegenübersah. Auch als sich Esanna mit einem Aufschrei auf ihn stürzte, reagierte er nicht. Ihre Hand, die den zierlichen Schaft des Messers so fest umklammerte, dass das Weiß ihrer Knöchel hervortrat, zuckte nach unten, genau in Richtung seines Halses.

Erst in diesem Moment handelte er, endlich, und mit der ihm eigenen Schnelligkeit und Konsequenz. Seine rechte Hand schoss wie ein Falke nach oben, um ihr Handgelenk zu packen, gleichzeitig drehte er den Oberkörper zur Seite und so nah übers Feuer, dass die Hitze seine Augenbrauen versengte. Das scharf geschliffene Messer sauste mit unvermindert tödlicher Wucht auf seinen Hals hinab und ritzte die Haut, kurz oberhalb der Halsschlagader. Doch da umklammerte seine Hand auch schon Esannas Handgelenk; mit einer kräftigen Bewegung verdrehte er es so kräftig, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als die Waffe mit einem Aufschrei loszulassen. Das Messer trudelte ins Feuer hinab und tauchte mit einem dumpfen Aufprall in die Hitze hinein. Funken stoben auf und begruben die Waffe unter sich in ihrer Glut.

Skar ließ Esannas Handgelenk wieder los und versetzte ihr einen Stoß gegen die Schulter, der sie ein paar Meter zurücktaumeln ließ. »Tu das besser nicht noch mal«, sagte er, ohne aufzusehen, aber jetzt wachsam und gespannt genug, um jeden weiteren Angriff schon im Ansatz abwehren zu können.

Esanna reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Statt sich wie eine Furie auf ihn zu stürzen, gab sie nur einen fast lautlosen, jammernden Laut von sich, griff dann mit der Linken nach ihrem Handgelenk und massierte die Stelle, an der Skar sie gepackt hatte. Der Satai beließ es dabei. Es hatte keinen Sinn, ihr Vorhaltungen zu machen; außerdem konnte er sie verstehen, nur zu gut sogar. Wahrscheinlich machte sie ihn allein für die Vernichtung ihrer Familie verantwortlich und sicherlich glaubte sie, dass er irgendetwas Entsetzliches mit ihr vorhatte - was sie allerdings nicht ungefährlich machte, denn Rache und Angst waren starke Motive für einen erbarmungslosen Angriff und möglicherweise bereitete sie schon jetzt die nächste Attacke vor.

Aus den Augenwinkeln gewahrte er eine zuerst fast unmerkliche Veränderung in ihrer Körperhaltung, die dann zur eindeutigen Absicht wurde: Esanna trat ein paar Schritt vor und damit so nah ans Feuer, dass die Flammen fast ihre Füße versengten. Im ersten Moment glaubte Skar, sie wollte nach dem von feuriger Gischt verschlungenen Messer greifen, aber dann begriff er seinen Irrtum - sie wollte mit ihm reden.

»Gebt mich frei«, sagte sie tonlos. »Ich bin Euch doch nur im Weg. Was will schon ein Herr wie Ihr von einem wertlosen Digger-Mädchen?«

Skar starrte wieder ins Feuer, beobachtend, wie die leckenden Flammen nach dem Messer griffen. Zuerst schien das gehärtete Metall dem Angriff zu widerstehen, doch dann machten sich erste Verfärbungen bemerkbar, ein Wechselspiel verschiedener Farben, ein violett-grünliches Flammenspiel, das ihm verriet, dass die Waffe aus billigem Eisen gefertigt worden war. Einen Herzschlag lang war er versucht, sie mit einem Ast aus der Mitte der Funken sprühenden, hell brennenden Holzscheite zu angeln, um Esanna nicht in Versuchung zu führen - doch eine unerklärliche und vor allem ungewohnte Trägheit hinderte ihn daran, diese einfache Vorsichtsmaßnahme durchzuführen.