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Die Welt um ihn herum explodierte in tausend Farben, in tausend Splittern, nur um dann wahnsinnig rasch, aber irgendwie verkehrt und verdreht wieder zusammenzuwachsen. Die Magie der Bilder war gleichzeitig grauenvoll und entsetzlich schön, riss ihn allumfassend mit sich, ergänzt durch einen tausendfachen Choral brüllender, tobender, infernalisch kreischender Stimmen und knatternder Geräusche, die auf ihn eindrangen und den Rest seines Bewusstseins mit sich rissen, als wollten sie ihn mitnehmen auf eine Höllenreise ohne Wiederkehr und einen fürchterlichen Augenblick lang erkannte er ihn: den Kern der Dinge, umgeben vom Feuerwerk netzförmiger Strukturen, die sich durch alles zogen, alles unterwanderten, nichts unberührt ließen, um, von einem unbekannten Trieb getrieben, immer weiter hinauszuwachsen in die Welt, bis sie auch den letzten Gegenstand, jeden Menschen und jedes beliebige andere Lebewesen in Besitz genommen hatten ...

... und auch ihn und Esanna, die miteinander verwoben waren, sich im Tiefsten bereits in dem Moment erkannt hatten, als sie sich zum ersten Mal gegenübergestanden hatten, in all ihrer Fremdartigkeit und trotz des drohenden Abgrunds der Zeit, der zwischen ihnen klaffte. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das sich vom Anfang der Zeit, vom Nabel der Welt, vom Ursprung her ausdehnte und in sie hineinfraß, das gleichzeitig erschreckend fremd und unglaublich vertraut war. Es bohrte sich in ihn hinein und, dessen war er sich mit erschreckender Klarheit bewusst, gleichzeitig auch in Esanna, suchte nach etwas, nach einer Antwort, nach dem Erkennen. Das Tasten und Suchen in seinem Geist wurde stärker, glitt hinab auf eine Ebene seines Bewusstseins, die ihm bislang vollständig verschlossen geblieben war, und noch tiefer, tief unter sein Denken und Fühlen und bis auf den Grund seiner Seele und ...

... plötzlich stand sie wieder vor ihm.

Esanna.

Auch er stand nun und es war etwas ganz Selbstverständliches in dieser schmerzhaft vertrauten Art, mit der sie sich gegenüberstanden, wie zwei Menschen, die sich lange nicht gesehen hatten und nun nicht wussten, wie sie miteinander umgehen sollten. Zitternd starrte sie Skar an, erwartungsvoll, fragend und doch wissend, und dann streckte sie die Hände zu ihm vor, fassend, berührend und ertastend, bis sie seine Finger gefunden hatte und sie mit sanftem Griff umschloss.

Er wusste nicht, was sie tat, geschweige denn, wie, aber er spürte, wie sie seine Kraft mit diesem erschreckend fremden Etwas verband. Es war ihm, als berührten unsichtbare kalte Finger seinen Geist; es war ein unangenehmes Gefühl, fremd und auf unfassbare Weise drohend und düster. Er kämpfte einen Moment gegen den Impuls ihre Hände mit Gewalt von den seinen loszureißen und sie von sich zu stoßen.

Und dann tat Esanna plötzlich etwas, was er als Letztes von ihr erwartet hatte.

Sie glitt dicht an ihn heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn, sehr sanft und ohne irgendwelches Verlangen; auf eine mädchenhaft scheue und doch gleichzeitig selbstsichere Art, wie sie Skar noch nie kennen gelernt hatte. Es war eine Berührung, aus der tiefe Vertrautheit sprach. Und - ja, sicher - auch Hingabe, aber eine Hingabe sonderbar fremder, verwirrender Art, seltsam substanzlos, als hätte sie gar nichts mit ihnen beiden zu tun, sondern mit einer vollkommen fremden, unergründlichen Macht - mit Es. Einen Herzschlag lang versuchte er sich gegen ihre Umarmung zu wehren, aber dann entspannte er sich und genoss das Gefühl einem Menschen nahe zu sein, der auf eine vollkommen unbegreifliche Weise mit ihm verbunden war - tiefer vielleicht, als es selbst zwischen Liebenden jemals möglich war.

»Sieh«, flüsterte Esanna so sanft wie ein Luftzug, der über die Blätter eines Baums strich, »und begreife.«

Er schloss unwillkürlich die Augen, stieg hinab in sich selbst, erlag dem Lockruf des Unfassbaren, das ihn im gleichen Moment mit unbarmherziger Kraft anzog und abstieß. Ein Bild stieg in ihm auf, zuerst kaum fassbar, dann immer konkreter ... es nahm Form an und verlor sie doch gleichzeitig, war gut und doch bis auf den Grund böse, abgrundtief schlecht, fremd und unmenschlich ... war nichts mehr als Schaum, weiß und federleicht, auf der Oberfläche eines massiven, schwerfälligen Ozeans, einer dunklen Masse aus Wasser, die auf Enwor schwappte und sich ständig ausbreitete, nicht aufhörte zu wachsen, solange es lebte, ein riesenhaftes Gebilde, Lage um Lage, Schicht um Schicht seine ursprüngliche Form, seinen Zusammenhalt verlierend, wie ein Schneckenhaus mit Millionen Kammern, eine Zwiebel aus tausendfach ineinander geschichteten Ablagerungen. Die Vision war nicht klar vor seinen Augen, sondern blieb seltsam unfassbar, aber es drängte sich ihm auf mit einer Zwanghaftigkeit, die ihn erschreckte und bis ins Tiefste berührte und sein Innerstes aufwühlte, weil er ahnte, nein, wusste, dass es der Wirklichkeit näher kam, als es ihm lieb sein konnte ...

Und er begriff. Es war kein intellektuelles Verstehen, nicht einmal der Hauch eines bewussten Gedankens, sondern etwas ganz anderes, viel tieferes. Er und Es, sie waren eins und dennoch Unendlichkeiten voneinander getrennt; sie waren wie ineinander verwachsene Zwillinge und doch wie zwei feindliche Geschwister, wie sie sich fremder nicht sein konnten, und während er Es sah, veränderte sich alles um ihn, warfen die tausendfachen realen Gegenstände dieser Welt Dutzende von Schattenbildern an Hunderten von Orten, gleichzeitig und dennoch getrennt durch unbegreifliche Abgründe der Zeit.

Dann zerstob das Bild, löste sich von einem Moment auf den anderen auf und ließ ihn zerstört und leer zurück. Er hätte aufschreien können in diesem Augenblick, aufschreien, weil der Verlust ihn fast zerriss und ihn mit einer unbekannt brennenden Sehnsucht zurückließ, die sich in seine Eingeweide wühlte und in seine Seele stahl, als wollte sie ihn vernichten.

»Weil was?«, fragte Esanna.

Ihre Worte rissen Skar in die Wirklichkeit zurück. Er öffnete die Augen und griff Halt suchend an die Stelle, an der eben noch Esanna gestanden hatte, und zwar direkt vor ihm - jetzt aber hockte er am Boden vor der Feuerstelle und stand nicht mehr länger! -, doch dann begriff er seinen Irrtum und zog hastig die Hand zurück, als hätte er etwas glühend Heißes berührt.

»Nun sag schon, warum du den Weg in diese Einöde gewählt hast«, drängte Esanna.

Eine dumpfe, noch unfassbare Ahnung stieg in Skar empor, verblasste aber, bevor er sie greifen konnte. »Weil es ... ein gutes Versteck ist«, sagte er mühsam. »Keine Quorrl, keine Menschen ... Hier sind wir erst einmal sicher.«

Esannas Augen zogen sich zu dünnen Schlitzen zusammen. »Du hättest es mir sagen können«, beschwerte sie sich. »Was?«, fragte Skar, während ihm ein kurzer eisiger Schauer über den Rücken lief. »Dass wir an einem der unwirtlichsten und entlegensten Flecken der bekannten Welt sind? Aber ich dachte, das wüsstest du. Schließlich seid ihr Digger freiwillig in diese Gegend gekommen.«

»Ja. Nein.« Esanna schüttelte sich und trat näher ans Feuer heran, während sie gleichzeitig die Arme um sich schlang.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Er blinzelte ein paarmal, versuchte zu begreifen, was dort vor ihm gerade geschah. Er sah Esanna verfroren am Feuer stehen, müde, zerschlagen und immer noch am ganzen Körper zitternd. Aber da war noch etwas anderes, glitzerte etwas in ihrer Hand, was eigentlich harmlos in der Feuerstelle liegen sollte: das Messer.