»Ein Aufgabe, bei der ich dir helfen soll?«, echote Esanna entsetzt und schob ihn automatisch ein kleines Stück von sich, ohne sich aber aus seiner Umarmung zu lösen. »Was soll das heißen? Ich bin doch nur ein einfaches Digger-Mädchen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Skar.
Esanna reagierte ganz anders auf seine Worte, als er erwartet hatte: Sie begann am ganzen Körper zu zittern. »Das ist nicht wahr«, stammelte sie.
»Was ist nicht wahr?«, fragte er, während seine Hand tröstend und doch gleichzeitig fast spielerisch durch ihr glattes, schwarzes Haar fuhr. »Ist es nicht wahr, dass es eine Verbindung zwischen uns beiden gibt, die wir im gleichen Moment gespürt haben, als wir uns zum ersten Mal gesehen haben? Ist es nicht wahr, dass du es genauso gespürt hast wie ich?«
»Ich weiß nicht...« Durch Esannas Körper ging ein leichtes, kaum spürbares Zittern. »Es macht mir Angst.«
»Das sollte es nicht«, murmelte Skar wider besseres Wissen. »Du hast nichts zu befürchten.« Seine Hand löste sich von ihrem Haar und drückte ihr Kinn mit sanfter Gewalt nach oben. Sein Blick bohrte sich in den ihren und einen Herzschlag lang verlor er sich in ihren Augen: zwei geheimnisvollen Seen gleich, unendlich warm und tief und auf unbeschreibliche Weise schön. Es war ein Moment tiefer Ruhe, ein Versprechen einander Kraft zu schenken, eine Ahnung lang vermisster Vertrautheit und doch auch die Angst alles zu verlieren, was das Leben lebenswert machte. Er beugte sich vor und küsste sie.
Es kam so überraschend, dass sich Esanna im ersten Moment versteifte und ihn von sich schieben wollte, aber Skar hielt sie fest, presste sie beinahe mit Gewalt an sich. Ihr Widerstand brach und nach einer Sekunde wurden ihre Lippen weich. Sie wehrte sich nicht mehr, sondern erwiderte seinen Kuss, stürmisch und mit gieriger Kraft und schließlich war er es, der sich von ihr löste und sie sanft von sich schob.
Esannas Blick flackerte. Ihr Atem hatte sich beschleunigt und instinktiv wollte sie ihn wieder an sich ziehen, doch Skar ergriff ihre Handgelenke und hielt sie fest. Er wirkte betroffen, verwirrt und schuldbewusst, als wäre ihm plötzlich klar geworden, dass er etwas getan hatte, was ihm nicht zustand.
»Ich ... es tut mir Leid«, murmelte er verstört. »Ich hätte das nicht tun sollen.«
Esanna reagierte nicht auf seine Worte, befreite sich stattdessen aus seinem nicht allzu festen Griff, um ihn mit einer erstaunlich kraftvollen Bewegung erneut an sich zu ziehen. »Nicht«, sagte Skar, während er das fordernde Hämmern seines Herzschlags zu überhören versuchte. Schließlich schüttelte er energisch den Kopf und schob das Mädchen von sich. »Es darf nicht sein.«
Esanna sah ihn verstört an, so, als habe er sie geschlagen. »Warum darf es nicht sein?«, fragte sie verständnislos. »Und was darf nicht sein?«
Es darf nicht sein, dass wir uns gegenseitig Trost spenden, hätte Skar beinahe herausgeschrien, aber das war so nah an der Wahrheit, dass es wehgetan hätte. Im Laufe seines Lebens hatte Skar viele Frauen kennen gelernt und sich der unterschiedlichsten Vergnügen mit ihnen hingegeben, ohne jedes Mal Einwände oder Gegenargumente zu suchen, aber er hatte beileibe auch nicht jede Gelegenheit genutzt, die sich ihm geboten hatte. Und dennoch: Bei Esanna war das etwas gänzlich anderes. Ihre Jugend war dabei noch nicht einmal das ausschlaggebende Argument - für jemanden, der bereits vor dreihundert Jahren gestorben war, waren eigentlich alle Frauen zu jung oder, besser gesagt, das Alter spielte keine Rolle mehr und außerdem waren Mädchen in Esannas Alter oft schon verheiratet und hatten bereits ein oder zwei Kinder zur Welt gebracht.
Nein. Sich mit Esanna einzulassen wäre ihm einfach - verkehrt erschienen. Der Pakt mit Unbekannt mit dem Ziel seiner Wiedergeburt, um eine ganz bestimmte Aufgabe zu erfüllen, beinhaltete nicht so etwas wie Zuneigung oder gar Liebe und hatte auch nichts mit einem naiven kleinen Digger-Mädchen zu tun, das er aus einer plötzlichen Laune heraus etwas zu stürmisch geküsst hatte.
Skar blickte sie sehr lange und sehr nachdenklich an. »Es ist besser so«, sagte er deshalb. »Wir sollten uns nicht zu sehr aufeinander einlassen.«
»Warum stößt du mich von dir?«, fragte Esanna leise und offensichtlich tief verletzt. »Bin ich dir etwa nicht gut genug?«
»Das hat damit überhaupt nichts zu tun«, behauptete Skar. »Es ist doch eher andersherum. Ich bin nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Jedenfalls niemand, an den sich ein junges Mädchen hängen sollte.«
»Das ist mir egal. Ich will doch nur ...«
Skar unterbrach sie mit einem raschen Kopfschütteln; schnell und abgehackt und so befehlend, dass sie mitten im Satz verstummte. »Unsere Aufgabe ist... zu wichtig. Alles andere zählt nicht.«
Esanna sah ihn an, als hätte er komplett den Verstand verloren. »Was hat denn das mit irgendeiner Aufgabe zu tun? Habt ihr früher wirklich so gedacht und gehandelt?« Sie schürzte verächtlich die Lippen. »Wenn das so ist, dann tust du mir Leid. Dann frage ich mich, wozu du überhaupt wieder auf die Welt gekommen bist.«
Der Hieb saß. Der Funke, den der leidenschaftliche K USS in Skar entbrannte hatte, war noch lange nicht erloschen; möglich, dass er eine Glut erweckt hatte, die noch ein paar Tage vor sich hin glimmen würde, bis sie gänzlich erstickt war.
Aber wenn Skar an andere Frauen in seinem Leben zurückdachte, die ihm einst eine Menge bedeutet hatten - etwa an Coar, die Stadtkommandantin von Cearn, oder an Gowenna, die Mutter Kiinas -, dann war das aus seiner jetzigen Sicht doch nicht viel mehr als die Erinnerung an einen fernen schönen Frühlingstag. Und Esanna wollte damit konkurrieren?
Unsinn. Das Mädchen bedeutete ihm nichts und würde ihm auch nie etwas bedeuten. Er hatte ja nicht einmal eine Ahnung, wie lang das ihm geschenkte neue Leben sein würde und überhaupt sein konnte; möglicherweise würde er schon in ein paar Wochen in eine sabbernde, alte Hülle zusammensacken, selbst wenn ihn nicht vorher ein Pfeil durchbohren oder ein Schwert tödlich verletzen würde. Ganz schwach nur streifte ihn der Gedanke, dass gerade deshalb dieser eine Moment so kostbar war, dass ihm vielleicht nur diese eine Chance blieb, das Leben zu fassen. Aber er schwieg. Seine Brust schien unter dem Druck der nicht gesprochenen Worte zerbersten zu wollen und ein, zwei Herzschläge lang war er versucht Esanna einfach wieder in den Arm zu nehmen und einer Leidenschaftlichkeit freien Lauf zu lassen, die sich im Hier und Jetzt ausleben wollte.
Das Mädchen schien zu spüren, was in ihm vorging, wandte sich wortlos um und ging mit langsamen, kraftlosen Schritten zum Feuer. Ohne ihm noch einen Blick zu schenken, warf sie zwei, drei der Holzscheite nach, die Skar am Abend vorausschauenderweise neben dem Feuerplatz aufgeschichtet hatte, und stocherte in der Glut herum, um sie wieder in Gang zu setzen.
Skar ließ sich neben Esanna am Feuer nieder und trank einen Schluck kristallklar schmeckenden Wassers aus seinem Wasserschlauch, den er vor ihrem Aufstieg zur Höhle noch an einem kleinen Bach gefüllt hatte. Die kalte Flüssigkeit tat ihm gut und brachte seine Lebensgeister einigermaßen zurück. Trotzdem war er sich fast schmerzhaft bewusst, dass nichts war, wie es sein sollte.
»Was ist mit den Ehrwürdigen Frauen, mit den Errish geschehen?«, fragte er schließlich.
»Ich... ich weiß es nicht.« Esanna wirkte noch immer aufs Äußerste verwirrt. »Ich bin weder Satai noch Schriftgelehrter, aber soviel ich weiß - es soll unter den Satai noch einige wenige Errish geben, erzählt man sich. Ob da etwas dran ist, weiß ich natürlich nicht.«