Und so, wie sie es sagte, war es ihr auch egal. Sie starrte die ganze Zeit über ins Feuer und vermied es, auch nur einen einzigen Blick in seine Richtung zu werfen.
»Was hast du morgen vor?«, fragte sie in das Prasseln der Flammen hinein.
»Ich werde mich auf den Weg zu Marna machen«, sagte er.
»Und du erwartest, dass ich dich begleite?«
»Ja. Nein. Ich weiß nicht.« Skar fingerte in seinem Waffengurt aus gegerbter Reptilienhaut herum, in den er Esannas Messer hatte verschwinden lassen und legte es neben ihr auf den Boden. »Hier«, sagte er. »Du wirst es brauchen, fürchte ich. So oder so.«
Sie warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Du vertraust mir?«
»Ja.« Diesmal blieb er bei der einfachen Antwort.
»Warum? Nur weil du mich geküsst hast?«
»Nein.« Skar legte den Kopf in den Nacken und starrte in die verrußte Höhlendecke hinauf. Mit einem Mal merkte er, wie müde er war. Müde und zerschlagen, als hätte er eine fürchterliche Anstrengung hinter sich. Aber das war es ja auch gewesen: Der Kampf gegen die Quorrl, der Aufstieg bei Nacht und Nebel, der ihn mit instinktiver Zielsicherheit hierher geführt hatte und schließlich diese quälenden Visionen (oder was sonst immer es gewesen war) und die Auseinandersetzung mit Esanna.
»Warum dann?«, hakte sie nach, nachdem sie das Messer wieder unter ihrem Gewand hatte verschwinden lassen. »Weil es jetzt keinen Sinn mehr haben würde, wenn du mich als deinen Feind betrachten würdest«, sagte Skar. »Nicht, nachdem du begriffen hast, dass unsere Begegnung kein Zufall war und dass wir eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen haben.«
Esanna stocherte weiter in der mittlerweile bereits entfachten Glut herum, bis Funken stoben. In dem flackernden Licht wirkte ihr bleiches Gesicht fast so durchscheinend wie das einer der teuren bemalten Glaspuppen, wie sie vor einer Ewigkeit von reisenden Händlern auf dem Markt von Besh an die Töchter reicher Häuser verkauft worden waren. Es war etwas Unnatürliches an ihr, fand Skar in diesen Sekunden, etwas, dass so gar nicht zu einem ungehobelten Haufen verrückter Digger passte.
»Ich glaube, du siehst irgendjemanden in mir, der ich nicht bin«, stellte Esanna nach einer Weile fest. Ihre Stimme verlor sich fast im Prasseln der letzten Holzscheite, die sie jetzt nachgelegt hatte. Wenn das Feuer heruntergebrannt war, würde es schon Minuten später empfindlich kalt werden.
»Kann sein«, gab Skar zu. »Aber es könnte natürlich auch anders herum sein.«
»Anders herum?«, fragte sie misstrauisch. »Was meinst du damit?«
»Dass du eine Bestimmung hast, derer du dir selbst noch nicht bewusst bist. Etwas, das die ganzen Jahre in dir geschlummert hat und das jetzt zum Ausbruch kommt.«
»Wie kommst du nur auf einen solchen Unsinn?«, fragte sie.
»Vielleicht deshalb, weil es mir vor einer Ewigkeit ganz ähnlich ging...«, sagte Skar und erinnerte sich an sein Widerstreben, als er Stück für Stück hatte begreifen müssen, was der Dunkle Bruder in ihm gewesen war: mehr als nur eine innere Stimme, der Wächter, etwas unglaublich Fremdes und dennoch nur allzu bald sehr Vertrautes, das ihm die Verantwortung für ganz Enwor auf die Schultern gelegt hatte. »Das Schicksal sucht sich manchmal in bestimmten Menschen ein Werkzeug zur Erledigung großer Aufgaben«, murmelte er nach einer Weile. »Und es fragt nicht, ob dieser Mensch sein Schicksal nun annehmen will oder nicht.«
»Na, vielen Dank. Und wenn ich nun kein Werkzeug sein will?«
Skar schloss für einen Moment die Augen. Der Boden glänzte unter einer feuchten, schlierig-klaren Schicht. Die Luft stank so durchdringend, dass das Atmen zur Qual wurde. Die skelettierten Reste von sieben, acht Quorrl lagen auf dem Boden oder zerbrochen über Stühlen und dem breiten Bett, dessen Seidenbezug schwer und dunkel vom Blut der Sternenbestie geworden war.
Er hatte Tod und Vernichtung unter die Quorrl gebracht wie auch unter die Menschen, er hatte zu lange gezögert, weil er sich dem Schicksal hatte entgegenstemmen wollen. Es durfte nie wieder geschehen. Was auch immer da in seinem Inneren aufgeflackert war, diese ferne Erinnerung einer grauenvollen Katastrophe: Er durfte nie die mir ihr verbundene Warnung vergessen.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, drängte ihn Esanna.
Aber das hatte Skar auch gar nicht vor. Er konnte es nicht.
2.3
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, das hier nicht hingehörte, ein leises, kaum hörbares Tapsen, dessen Ursprung er nicht orten konnte. Vielleicht ein Tier, möglicherweise sogar ein Bär - auch wenn er sich das nicht vorstellen konnte, denn dann hätte er seine Anwesenheit schon vorher spüren müssen. Das Geräusch wiederholte sich und dann glaubte Skar noch etwas anderes zu hören: einen leisen Singsang, sanft und fern wie ein Windhauch, aber doch so deutlich wie das Geräusch der ersten feinen Tropfen, das einen Regen ankündigte.
Skar glitt förmlich in die Töne hinein, die er hörte, versuchte sie zu fassen und zu ergründen, während er noch immer in das prasselnde Feuer vor sich starrte. Es war nicht einfach, die Feuergeräusche so weit auszublenden, bis er die Quelle der anderen Laute feststellen konnte.
»Warum antwortest du nicht auf meine Frage«, wollte Esanna wissen.
»Still«, zischte Skar kaum vernehmbar und legte den Finger auf den Mund, um seine Worte zu bestärken.
»Warum?«, fragte Esanna trotzig, doch ein Blick in Skars Gesicht ließ sie verstummen und erschrocken die Augen aufreißen.
Skar erhob sich langsam und ohne Eile. Wer oder was auch immer dort im Hintergrund der Höhle war, bewegte sich langsam und vorsichtig. Womöglich wurden sie die ganze Zeit über schon beobachtet. Wenn das so war, dann wollte er den oder die Lauscher nicht mit der Nase darauf stoßen, dass er sie entdeckt hatte.
»Was ist denn nun ...«, begann Esanna, brach dann aber mitten im Satz ab, als Skar den Kopf schüttelte.
Es war merkwürdig: Aber in diesem Moment wünschte er, Del wäre an seiner Seite und nicht ein unbeholfenes Digger-Mädchen, das sich mit jeder Bewegung und jeder Äußerung einem heimlichen Beobachter verdächtig machen musste.
Aber Del war nicht nur tot. Er war auch ein dreckiger Verräter gewesen. Der Mann, den er als seinen besten Freund, seinen engsten Vertrauten und letztlich auch als eine Art Ziehsohn betrachtet hatte, hatte ihn von Anfang an betrogen.
»Wir brauchen noch etwas Holz«, sagte er laut. »Halte die Flammen so lange in Gang, bis ich welches gefunden habe.« Esanna nickte hektisch und sah sich gehetzt nach allen Seiten um. Verdammt. Genauso gut hätte sie sich ein Schild um den Hals hängen können mit der Aufschrift: Wir haben euch entdeckt. Und Skar sucht euch jetzt.
Mit langsamen, elastischen Bewegungen ging Skar tiefer in die Höhle hinein, dorthin, wo das flackernde Licht des Feuers ein verwirrendes Spiel zuckender Bewegungen auf die Wände zauberte, die kaum noch ausreichten, um ein paar Schritt weit sehen zu können. Seine Phantasie gaukelte ihm hinter jedem Vorsprung, hinter jedem Knick eine Horde unbekannter Angreifer vor, die nur darauf lauerte, sich mit einem Kampfschrei auf ihn zu stürzen.
Trotzdem vermied er es, seine Waffe zu ziehen. Er wollte niemanden unnötig provozieren. Und dass hier jemand war, das bezweifelte er schon nach ein paar Schritten nicht mehr. Es waren jetzt weniger Geräusche, die ihn bei seiner Wahrnehmung bestärkten, als vielmehr das sichere Gefühl, von mehreren Augen beobachtet zu werden. Skar verfügte über genug Erfahrung, um zu wissen, dass dieses Gefühl absolut verlässlich war: Fast jeder Mensch war in der Lage, die Blicke eines heimlich in der Nähe kauernden Beobachters zu spüren, doch die meisten überlagerten solche Empfindungen mit trägen Gedanken oder Zweifeln.
Das hatte Skar nicht vor. Er schlich weiter hinein in das Halbdunkel, die ganze Zeit über darauf vorbereitet, jederzeit einen Angriff parieren zu können. Er wusste, dass er dabei im Nachteil war: Während er keine Ahnung hatte, wo die anderen steckten, hatten sie ihn die ganze Zeit im Blickfeld und konnten so in Ruhe die beste Angriffsstrategie ersinnen.