Ein Blitz aus schwarzem Nebel streifte eisig und gleichzeitig erbärmlich stinkend sein Gesicht. Sein Schwert zuckte nach oben, folgte der Bewegung des Khtaám und grub sich tief in das schwarze zappelnde Etwas, das ihm den Todesstoß hatte versetzen wollen.
Dann war er wieder auf den Beinen. Er bemerkte überhaupt nicht die Veränderung um sich herum, er nahm nichts mehr bewusst wahr, er war nur noch eins mit seinem Tschekal und eins mit dem brennenden Verlangen, um jeden Preis zu überleben. Sein Schwert wütete wie ein Dämon unter den Nachtmahren, vernichtete sie mit einer Schnelligkeit und Präzision, mit der diese Klinge sicherlich noch nie zuvor bewegt worden war. Doch schließlich erlahmten seine Bewegungen, verloren an Kraft und Geschmeidigkeit, verlangsamten sich auf ein normales Maß und damit auf eine Geschwindigkeit, mit der den Khtaám nicht mehr beizukommen war.
Mit einer letzten schwungvollen geschlagenen Acht erwischte er zwei der Ungeheuer. Torkelnd stolperte er einen Schritt vor, stieß die Klinge vollkommen blind und ohne zu treffen in die Luft und brach dann abermals zusammen, mitten hinein in widerlich zuckendes Gewirr abgeschlagener Tentakel und zerschlagener Schleimteile. Ein letztes Mal begehrte sein Geist auf, gewann sein Verstand die Kontrolle über die Gedanken und riss den Schleier des Fremden, ihn vernichten Wollenden entzwei und erwischte einen letzten Blick auf Esanna, die wie durch ein Wunder immer noch auf den Beinen war und sich so schnell zu bewegen schien, dass ihr seine Augen nicht mehr zu folgen vermochten.
Dann verschwamm die Szene, riss auseinander wie ein Gemälde, in das ein Schwert geschlagen wurde, und erlosch.
2.4
Wie lange er bewusstlos dagelegen hatte, hätte er später nicht mehr zu sagen vermocht. Irgendetwas kitzelte in seiner Nase. Es war ein widerliches Gefühl, so als wollte etwas in sein rechtes Nasenloch fahren und in seine Stirnhöhle hochkrauchen.
Er schlug die Augen auf. Es war fast noch schlimmer, als er befürchtet hatte, schlimmer, als der bedrückendste Alptraum sein konnte: Er lag kopfüber in einer schleimigen, stinkenden, sich windenden Masse, aus der ein einzelner Tentakel hochgekrochen war und sich an seiner Nase zu schaffen machte. Er versuchte die Hand vorschnellen zu lassen, um sich von dem gleichermaßen ekelhaften wie gefährlichen Auswuchs zu befreien, aber es gelang ihm nicht einmal, die Finger zu bewegen. Er wollte schreien, aber es war nur ein einzelner ächzender Laut, der über seine Lippen kam. Zu allem Überfluss schien er das, was den Tentakel steuerte, so damit zu motivieren, dass es den schleimigen Fühler nach einem kurzen Zucken schneller über seine Oberlippe schob, sodass dieser jetzt bereits bis auf Daumenlänge in seinem Nasenloch verschwunden war. Hämmernde, harte Panik begann sich in Skar breit zu machen. Er versuchte irgendetwas zu machen, einen Finger zu bewegen oder auch einen ganzen Arm, die Beine anzuziehen oder den Kopf zu drehen: Aber er war wie gelähmt.
Schleimig tastend fuhr der Tentakel weiter in seiner Nasenhöhle hinauf. Es wäre Skar in diesem Moment tausendmal lieber gewesen, von einem Schwert durchbohrt zu werden, als diesem grauenvollen Angriff eines angeschlagenen Khtaám ausgeliefert zu sein. Was passierte, wenn sich der Tentakel immer weiter nach oben schob, konnte er sich nur zu genau ausmalen.
Was ihn schließlich rettete, war so banal, dass es geradezu grotesk war: Er musste niesen. Der Tentakel hatte seine Schleimhaut so gereizt, dass er von einem explosiven Niesen durchgeschüttelt wurde. Sein Kopf flog ein Stück zurück. Die Saugnäpfe des Tentakels spreizten sich auf, versuchten sich festzusaugen. Doch dann glitt der widerliche fühlerähnliche Auswuchs plötzlich ab, rutschte die Nasenhöhle hinunter und verabschiedete sich mit einem letzten Hieb auf Skars Lippen, im wahrsten Sinne des Wortes ausgeniest.
Skar atmete erleichtert auf, bereute den tiefen Atemzug aber im selben Moment schon wieder: Der Gestank der Masse, in die er mit dem Kopf eingetaucht war, brachte ihn zum Würgen. Er versuchte den Kopf etwas höher zu drehen, Stückchen für Stückchen, und schließlich hatte er zumindest das Gesicht aus der noch immer zuckenden Masse befreit. Er wusste nicht, wie viel Leben noch in den Ungeheuern war, in die er eingetunkt war, oder ob ihre Zuckungen vielleicht nur bedeuteten, dass sie wieder zu sich kamen, zu einem Leben erwachten, das mit etwas Natürlichem nichts zu tun hatte.
Er hatte auch nicht vor es herauszufinden.
Die Arme so weit anzuziehen, dass er sich auf sie stützen konnte, fiel ihm unglaublich schwer. Er versuchte sich aufzurichten, aber die Bewegung überforderte ihn. Wie ein Kleinkind robbte er weg von dem schwarzen, zuckenden und ekelhaft lebendigen Gewimmel, aus dem sich bereits wieder Tentakel in seine Richtung schlängelten. Seine rechte Hand tauchte in etwas Glitschiges ein, das sie ein paar Zoll weit über den verschleimten Boden gleiten ließ, sodass er mit dem Gesicht wieder in das schwarze Gezappel eintunkte. Züngelnde, schlängelnde Auswüchse glitten über sein Gesicht, tastend und fordernd, gleichermaßen zielgerichtet wie schnell.
Er hustete verzweifelt, stemmte sich wieder ein Stück in die Höhe, ohne jedoch alle Tentakel abschütteln zu können. Mit der einen Hand in die schleimige Masse gestützt, versuchte er sich mit der anderen Hand von dem widerlichen Gewimmel in seinem Gesicht zu befreien. Zwei, drei Auswüchse konnte er mit einer einfachen Handbewegung beiseite wischen, aber ein Tentakel glitt kraftvoll über sein Kinn und seinen rechten Mundwinkel in Richtung Nase.
Was auch immer die Khtaám antrieb, es war nicht beendet, wenn man sie zerstückelte und zerquetschte. Es war kein einziger Körper der Nachtmahre mehr erkennbar, sondern nicht mehr als ein schmieriger, stinkender Brei, der aber von Sekunde zu Sekunde mehr Konturen annahm und zu einem Schlangennest zu mutieren schien, aus dem die giftige Brut gerade ins Freie kroch, gierig und blutrünstig auf der Suche nach einem ersten Opfer.
Skar begriff, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb, wenn er dem noch fast harmlos anmutenden Tasten und Glibbern entkommen wollte. Um ihn herum war ein Stöhnen, Rascheln, Schaben und Wimmern, eine Mischung unterschiedlichster Laute der Angreifer und ihrer Opfer, aber keine Geräusche, die auch nur im Entferntesten auf einen regelrechten Kampf der Nahrak gegen die schwarze Brut hindeuteten. Was auch immer passiert war: Die erste Angriffswelle der Khtaám schien beendet zu sein. Was nicht hieß, dass die nächste nicht schon bevorstand.
Das sich windende, schlängelnde Etwas, das sich nicht hatte abschütteln lassen und nach wie vor in seine Nase vorzustoßen versuchte, schnellte mit einer kraftvollen Bewegung vor. Skar schrie auf. Diesmal gelang es ihm, den Tentakel zu packen. Aber das Ding hatte nicht vor so schnell aufzugeben. Die abstoßende Mischung aus Saugfüßen und spitzen Zähnen krallte sich in ihm ein, saugte an seinem Unterkiefer und durchbohrte schmerzhaft seine Oberlippe. Skar spannte seine gewaltigen Muskeln an und ließ ihre gesamte Energie in einer einzigen Bewegung frei.
Er hatte das Gefühl, als ob er sich selbst einen Teil seines Gesichts herausreißen würde. Seine durchstochene und mittlerweile heftig blutende Oberlippe dehnte sich weit über den Punkt des Erträglichen hinaus, so als wäre sie bereits mehr in dem Peitschenarm verwurzelt als in seinem eigenen Körper. Sein eigener Schrei mischte sich mit dem zischenden Geräusch von dem glitschigen Etwas, zu dem der Tentakel gehörte, und einen winzigen Augenblick entbrannte ein absurder Kampf um seine Oberlippe, die beide Seiten nicht herzugeben bereit waren.
Und wenn er sich dabei seine Lippe ausreißen würde, er musste sich von dem gierigen Peitschententakel befreien, das bereits wieder wild um seine Nase schlängelte und nichts unversucht lassen würde, um von ihm Besitz zu ergreifen. Es war in ihm kein Platz mehr für Schmerzempfinden oder Zaudern, er war nur noch personifizierter Wille und die Kraft, die diesen Willen in die Tat umsetzen würde, jetzt, hier und ohne Zögern.