»Ja?«
»Ich ... ich meine ...«
Er konnte sie nicht sehen, aber er spürte, dass sich ihr Atem beschleunigte. »Du meinst... ob mir heute Nacht etwas aufgefallen ist?«, fragte Esanna. »Etwas, was auf die Khtaám schließen lässt?«
»Ja«, sagte er erstickt. »Es könnte sein ... dass sie versucht haben ...«
»Sich in unsere Gedanken und Gefühle einzuschleichen«, beendete Esanna seinen Satz.
Es war ihm geradezu unheimlich, wie präzise sie seine Gedanken erriet. »Es hat uns in der Höhle nicht nur äußerlich angriffen«, sagte er. »Es hat... auch etwas anderes gemacht.«
Esanna schwieg so lange, bis sich ihr Atem wieder einigermaßen beruhigt hatte. »Vielleicht haben wir uns das nur eingebildet«, sagte sie schließlich.
Skar hätte sich fast umgedreht, um ihren Gesichtsausdruck zu sehen; doch stattdessen beschleunigte er seine Schritte. Seine Stiefel streiften einen kümmerlichen, aber blühenden Busch - das erste Anzeichen dafür, dass sie nun wieder in wärmere Gefilde kamen - und zerquetsche mit unnötig roher Gewalt ein paar der kleinen, rotweißen Blüten. »Ich weiß nicht, was mit dir los ist«, sagte er in den Wald vor sich hinein, und vielleicht waren die Worte tatsächlich gar nicht an das Mädchen gerichtet, das offensichtlich Mühe hatte mit ihm Schritt zu halten, sondern an das, was ihn gerufen hatte, um Enwor vor der drohenden Vernichtung zu bewahren.
»Was soll mit mir los sein?«, fragte Esanna. »Verdammt, Skar ... kannst du nicht etwas langsamer gehen? Was soll diese plötzliche Hetze?«
»Vielleicht hat dich ja jemand geschickt«, flüsterte er. »Vielleicht hat dich jemand auf mich angesetzt.«
Er hatte so leise gesprochen, dass ihn das Mädchen gar nicht verstehen konnte. Er wusste nicht, was ihn am Fluss erwarten würde, dessen Nähe er jetzt bereits zu riechen glaubte, aber vielleicht war jetzt die letzte Möglichkeit für sie beide Dinge zu erklären, die unausgesprochen zwischen ihnen standen - und sie dennoch miteinander vereinten. Ob sie das ähnlich sah, konnte er nicht beurteilen. Falls das so war, änderte es jedenfalls nichts an ihrem Verhalten. Die Unruhe, die sie erfasst hatte, mochte aber auch noch teilweise eine Nachwirkung der Nacht sein, die sie und Skar an den Rand von etwas getrieben hatten, auf was er sich - zumindest im Moment - auf keinen Fall einlassen wollte. »Wir sollten miteinander reden, Skar«, sagte Esanna hinter ihm. »Wir können doch nicht einfach so weiterziehen ...«
»Still«, zischte Skar. Er war abrupt stehen geblieben; erschreckt nicht durch ein Geräusch, sondern durch einen ihm nur allzu bekannten Geruch: den Geruch des Todes. Wie von selbst schmiegte sich seine Hand um den Griff des Tschekals. Aber er zog die Klinge noch nicht, nicht, bevor er eine ungefähre Ahnung hatte, was ihn erwartete.
»Was ist los?«, flüsterte Esanna.
Sie trat dicht an ihn heran, beunruhigt und auf eine seltsame Weise erregt. Ihre Hand schob ihr Gewand hoch und kam mit ihrem Messer wieder hervor. »Hast du etwas gehört?« Skar schüttelte den Kopf. »Nein«, gab er ebenso leise zurück. »Ich habe nichts gehört. Noch nicht. Aber ich rieche etwas.«
»Du tust... was?« Esannas große Augen starrten ihn überrascht an.
»Es muss ein Kampf stattgefunden haben«, sagte Skar. »Es liegen mehrere Tote vor uns. Gar nicht weit entfernt. Vielleicht zwei-, dreihundert Schritte.«
»Und das riechst du alles?«
»Sicher.« Skar schob ein paar eng stehende, zwergenhafte Kalypso-Bäume auseinander, die den Pfad vor ihnen verengten. »Den Tod mit der Nase zu orten, ist nicht schwer. Viel schwerer ist es dagegen, Lebende auf diese Weise ausfindig zu machen.«
»Du meinst, wir stolpern geradewegs in einen Hinterhalt, wenn wir weitergehen?«, fragte Esanna.
Sie stand jetzt so nah neben ihm, dass es Skar mehr als irritierte. Der Geruch ihres heute Morgen an der Quelle frisch gewaschenen Körpers überlagerte den süßlichen Leichengeruch; es war so viel Lebendigkeit in ihr, dass ihm der Gedanke an den Tod - und an die Toten, die irgendwo vor ihnen lagen - mehr als abwegig erschien.
»Wir gehen jetzt weiter«, sagte Skar leise. »Aber vorsichtig.«
»Wäre es nicht besser, einen anderen Weg zu suchen?« Ihr Schenkel streifte sein immer noch nacktes Bein und Skar zuckte zusammen, als ob man ihn geschlagen hätte. »Es kann sein«, sagte er heiser. »Vielleicht. Aber ich muss wissen, was dort vorne ist.«
»Warum?«
»Ich muss es einfach wissen«, knurrte Skar, nicht bereit noch länger auf Esanna einzugehen. »Komm jetzt.«
Schweigend und angespannt gingen sie weiter. In Skar war gleichzeitig eine unglaubliche Leere und das Gefühl, tausend Stimmen würden auf ihn einreden. Esanna hielt sich jetzt so dicht bei ihm, dass ihr Geruch noch immer den des Todes auslöschte und er nahm ihre Anwesenheit in einer Intensität wahr, die ihn gleichermaßen anzog wie abstieß. Es war nicht gut, die gespannten und in gewisser Weise übersteigerten Sinne des Kriegers durch jemanden, durch etwas ablenken zu lassen, das vielleicht zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort seine Berechtigung haben mochte ... Er krampfte die Finger um den Schwertgriff und öffnete die Augen so weit er konnte, versuchte seine Wahrnehmung auf das zu konzentrieren, was vor ihm war, versuchte seine Sinne vorauszuschicken und sie prüfen zu lassen, ob sich hier irgendwo Krieger versteckt hielten, die ihn - oder überhaupt alle Reisenden - in eine Falle locken wollten. Schließlich schaffte er es, Esannas Nähe aus seinem Bewusstsein auszublenden. Die Vegetation begann sich merklich zu verändern; sie würde üppiger. Neben frischen Grüntönen mischten sich auch rote, weiße und gelbe Farbtupfer ins sprießende Unterholz und Buschwerk, dazu Farne aller Art und sogar ein paar wild sprießende Blumen.
Es war nirgends ein verräterisches Aufblitzen zu sehen. Dennoch konnte er geradezu spüren, dass hier etwas nicht stimmte. Hinter einem wild sprießenden Kalypso-Hain stieß er schließlich auf den Beweis für seine Vermutung.
»Oh, mein Gott«, stieß Esanna hervor, als sie neben ihn trat und auf den Weg starrte, der sich vor ihnen auftat und der aussah, als wäre ihn der Frarr ein paarmal entlangspaziert. »Hier muss ja eine ganze Kompanie Soldaten vorbeigekommen sein.«
Skar schob das Buschwerk auseinander, das den Weg von dem Wildpfad trennte. Er trat auf das breit getretene, matschige Stück Erde hinaus, das irgendwo seitwärts aus dem Wald kam und nach einer Kurve in einem üppigen Waldstück verschwand - fast in gradliniger Verlängerung des von ihnen begangenen Pfades und damit in Richtung Pojoaque. »Es waren nicht nur Menschen«, sagte er, während er in die Hocke ging, um die Spuren zu untersuchen. »Das sieht mir eher nach Quorrl aus.«
»Verdammt.« Esanna packte unwillkürlich ihr Messer fester, als wäre sie sich nicht bewusst, wie lächerlich diese Waffe auf einen angreifenden Reptilienkrieger wirken musste. »Ich habe doch gewusst, das sich diese Tiere hier irgendwo in der Gegend herumtreiben.«
Skar unterdrückte die scharfe Antwort, die ihm auf der Zunge lag. »Ich glaube nicht, dass sie noch hier sind«, sagte er stattdessen. »Die Quorrl-Spuren sind relativ alt... aber hier, siehst du ... das sind Pferdehufe, die sich nicht so tief eingegraben haben; es müssen menschliche Reiter gewesen sein. Und hier sind sogar die Abdrücke von ein paar Stiefeln - nach den Quorrl müssen hier noch Menschen langgekommen sein.«
»Auf der Flucht vor den Quorrl«, sagte Esanna voller Hass, »weil diese Monster von Digger-Dorf zu Digger-Dorf ziehen und eines nach dem anderen auslöschen.«