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»Quorrl oder Menschen?«, fragte Esanna nervös.

»Natürlich Menschen«, sagte Skar rasch, »und sie scheinen sich nicht sehr schnell zu bewegen. Es ist eher so ... als wären sie gerade stehen geblieben, vielleicht, um eine Rast einzulegen.«

»Umso besser für uns, dann können wir sie mühelos überraschen«, flüsterte Esanna. »Und nun komm schon und lass uns gehen.«

Skar schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ich werde nachsehen gehen, mit wem wir es zu tun haben. Du wartest solange hier...«

»Ich denke doch gar nicht daran!«

»Still jetzt«, sagte Skar ärgerlich und dennoch so leise, dass Esanna ihn gerade noch verstehen konnte. »Es fehlt noch, dass sie auf uns aufmerksam werden, weil wir hier einen vollkommen nutzlosen Streit führen. Und vergiss nicht: Wo ein paar Menschen sind, können auch noch mehr sein.«

»Und Quorrl«, fügte Esanna aufgebracht hinzu, »und da willst du mich allein hier stehen lassen? Kommt nicht infrage.«

Skar seufzte. Er hatte ganze Armeen befehligt, die blind jedem seiner Befehle gefolgt waren, aber einem jungen Mädchen eine einfache Anweisung zu geben und zu erwarten, dass es sie dann auch noch befolgte, war eine ganz andere Sache - das zumindest hatte sich im Lauf der letzten dreihundert Jahre nicht geändert.

»Mach, was du willst«, sagte er schließlich verärgert.

»Aber mach keinen Krach dabei und stör mich nicht.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte er sich durch das Gebüsch, so lautlos und so wenig Spuren verursachend wie eine Raubkatze, die sich an ein Opfer anschleicht. Als er einen Wildpfad erreichte, der auf die Quelle der Geräusche zuführte, kam er zügiger voran, aber gleichzeitig erhöhte sich seine Wachsamkeit, denn gleich musste er die Reiter erreicht haben. Es entging ihm natürlich nicht, dass ihm Esanna folgte, und wenn sie auch nicht über seine Erfahrung verfügte, so musste er doch zugeben, dass sie sich dabei äußerst geschickt verhielt. Der schmale, wohl von Rotwild geschlagene Pfad, dessen Verlauf er folgte, war abschüssig und wurde mit jedem Schritt rutschiger, aber auch gleichzeitig breiter, wodurch er fast schneller vorankam, als ihm lieb war: Nicht nur einmal rutschte er ein paar Schritte weit nach vorne und musste sich mühevoll ausbalancieren.

Dann hatte er auch schon den Rand des Unterholzes erreicht und drückte vorsichtig ein paar Zweige auseinander, die ihm die Sicht nach vorne versperrten. Bevor er dazu kam, einen vorsichtigen Blick auf die Szene zu werfen, die sich vor ihm abspielte, spürte er Esannas Hand auf der Schulter, dann an seiner Seite und im nächsten Augenblick sah er sie auch schon vor sich, wie sie an ihm vorbeirutschend mit einem Aufschrei auf den morastigen Weg plumpste.

»Ich hatte doch gesagt, du sollst keinen Krach machen«, murmelte Skar. Aber statt sich in den Schutz des Gebüschs zurückzuziehen, folgte er Esanna und sprang mit einem Satz aus seiner Deckung hervor, während sein Tschekal wie von selbst den Weg in seine Waffenhand fand.

Er brauchte es nicht. Es war lediglich ein Reiter in seinem Blickfeld: ein Satai, seiner um Arm- und Beinschilde erweiterten Kleidung nach zu schließen, die allerdings blutbesudelt und ramponiert war. Sein Pferd, ein von Natur aus wohl eher kräftiger Brauner, taumelte vor Schwäche und wäre fast gestürzt, als sein Reiter es auf dem morastigen Boden herum und in Esannas Richtung zwang. Das Fell des Tieres war mit weißem, flockigem Schweiß und Blut bedeckt und aus seinem Maul tropfte heller Schaum.

Sein Reiter konnte oder wollte darauf keine Rücksicht nehmen, was angesichts seines Zustands auch kein Wunder war. Seine ehemals strapazierfähige Kleidung war zerfetzt und mit etwas verschmiert, was Skar auf den ersten Blick für eine abstoßende Mischung von Schlamm, Blut und Dreck hielt. Sein rechter Arm hing nutzlos und sonderbar falsch und verdreht von der Schulter und musste gebrochen sein, sein Brustharnisch war geborsten und über und über von Blut besudelt, als sei ihm eine frische Brustwunde zugefügt worden. Er hockte weit nach vorne gebeugt im Sattel und schien sich nur noch mit letzter Kraft auf dem Rücken des Tieres zu halten. Als sein Pferd schräg und versetzt näher tänzelte, bemerkte Skar seinen rasselnden und von einem furchtbaren Laut begleiteten Atem; es war ein Wunder, dass es seinen Reiter noch nicht abgeworfen hatte. Skar war mit wenigen Schritten bei dem Tier und griff blitzschnell zu, um seinen wankenden und fast aus dem Sattel gestürzten Reiter in letzter Sekunde aufzufangen. »Die Quorrl«, stöhnte der Mann. »Vorsicht... sie sind noch in der Nähe.«

»Was ist passiert?«, fragte Skar leise, während er den Mann vorsichtig auf den Boden gleiten ließ und sich an den Verschlüssen des Harnischs zu schaffen machte, um sich seine Wunde anzusehen - falls es für eine Hilfeleistung nicht sowieso schon zu spät war.

Der Satai hob mühsam den Kopf, um Skars Blick zu suchen. »Du musst... Marna... warnen«, brachte er mit bebender, erschöpfter Stimme hervor, die Worte nicht viel mehr als ein Flüstern, das Skar mehr erriet als verstand. »Marna?«

»Ja«, nickte der Satai mühsam.

Skar hatte endlich die Verschlüsse des Harnischs geöffnet und zog den Brustpanzer vorsichtig ab. Das, was darunter zum Vorschein kam, erschreckte ihn: Es war eine klaffende, gezackte Wunde, und obwohl die Wucht des tödlichen Hiebs vom Harnisch wohl größtenteils aufgefangen worden war, war sie viel zu tief, um sie mit einfachen Mitteln schließen zu können.

»Die Quorrl... sie sammeln sich«, stieß der Satai hervor. »Skar!«, schrie Esanna neben ihm entsetzt auf. »Er ... er stirbt!«

Skar gab ihr insgeheim Recht. Der dunkle Fleck auf der Brust des Satais wuchs rasch und selbst wenn er sofort in die Hände eines begnadeten Heilers gekommen wäre, wäre er wohl kaum noch zu retten gewesen. Das Einzige, was er selbst noch tun konnte, war ein Wort des Trostes oder der Zuversicht zu spenden - aber er wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb, bis die Quorrl auftauchten, von denen der Mann gesprochen hatte. »Wo sammeln sie sich?«, fragte er deshalb.

»Nicht weit... von hier...« Der Mann versuchte weiterzusprechen, aber seine Worte kamen immer stockender und die Pausen dazwischen, in denen er qualvoll nach Atem und Kraft rang, wurden länger. Sein Körper zitterte. Plötzlich schrie er, bäumte sich auf und warf sich zurück, so abrupt und heftig, dass er Skars Griff entglitt und rücklings in den Morast stürzte. Er hustete qualvoll und versuchte sich herumzuwälzen; offensichtlich war ihm das, was er sagen wollte, wichtiger als alles andere und wahrscheinlich war es ihm trotz seiner Benommenheit nur zu bewusst, dass es für ihn keine Aussicht auf Rettung gab. Er keuchte, als Skar ihn in die Arme nahm und so sanft und vorsichtig wie möglich ein Stück aufrichtete, aber es schien genau das zu sein, was er selber wollte. Seine Lippen stammelten immer wieder ein einzelnes, immer und immer wiederkehrendes Wort und als Skar ihm mit einem seiner Ärmel das Gesicht abwischte, hob er die Hand und krallte die Finger in seine Schulter. Sein Blick flackerte, irrte an Esanna vorbei und blieb auf Skars Gesicht hängen. Für einen kurzen Moment klärte sich sein Blick noch einmal auf.

Endlich verstand Skar das Wort. »Nemesis«, brachte der Satai plötzlich erstaunlich kraftvoll hervor, »Nemesis.«

»Was ist mit Nemesis?«, fragte Skar rasch. Er fürchtete, dass es nur ein letztes Aufbäumen war, das diesen Mann noch einmal zu Wort hatte kommen lassen, und wenn er etwas erfahren wollte, dann musste er so schnell wie möglich nachbohren.

Und doch - die Antwort kam von ganz anderer Seite. »Nemesis ist die Kriegshauptstadt der Satai«, sagte Esanna tonlos. »Sie liegt nur ein paar Tagesritte von hier entfernt.« Der Blick des Verletzten irrte zwischen Skar und Esanna hin und her. »Bei allen Göttern«, stammelte der Mann, »wer ... wer bist du. Wieso ... kennst du Nemesis nicht?« Skar verstand die Panik in seiner Stimme. Er selbst trug die Kleidung eines Satais, aber jedes Mitglied dieser besonderen Kriegerkaste würde, ja musste seine Kriegshauptstadt kennen. Kannte er sie nicht, war aber wie ein Satai gekleidet - dann war er ein Spion oder Schlimmeres.