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Er legte seinen Arm um Papes Rücken und schob ihn zu einer der breiten, gewundenen Freitreppen, die mit einem dicken, grünen Läufer ausgelegt war.

»Puh, endlich sind wir die drei Gänse los«, sagte Carl mit einem verkniffenen Grinsen. »Ich muß mich selbst loben, aber der Spaziergang war wirklich eine gute Idee. Ohne dich wäre ich allerdings nicht darauf gekommen, Franz. Danke für die Vorgabe.«

»Ich könnte wirklich etwas frische Luft vertragen, Carl.«

Gespannt beobachtete Pape das glatte Gesicht seines Freundes. Carls Reaktion entschied darüber, ob Pape sein Vorhaben ausführen konnte oder nicht.

Pape verfluchte sich selbst, daß er den Entschluß erst vor wenigen Tagen gefaßt hatte. Auf dem vorherigen Teil der Reise hatte es mehrere Möglichkeiten gegeben. Aber da hatte Pape sich noch nicht entschieden, daß Reichtum wichtiger war als Freundschaft.

»Ich begleite dich selbstverständlich«, sagte Carl zur großen Erleichterung des anderen. »Sollen wir unsere Mäntel holen?«

»Ich denke, das wird nicht nötig sein. Wir müssen nicht lange an Deck bleiben. Ein paar Minuten frische Luft werden genügen.«

Sie waren nicht die einzigen nächtlichen Bummler. Verliebte Paare und andere, einzeln oder in Gruppen, versprachen sich von der frischen Nachtluft eine bessere Bettruhe.

Pape führte Carl absichtlich zur Mitte des langen Decks an der Steuerbordseite, wo eines der gewaltigen Schaufelräder arbeitete. Die auffrischende Brise trieb die Gischt des von den Schaufelblättern hochgerissenen Wassers bis über Bord, weshalb die Nachtbummler diese Stelle mieden.

»Paß auf, sonst werden wir noch naß!« warnte Carl seinen Freund.

»Seit wann bist du wasserscheu, Carl?« fragte Pape seinen Freund und ging zur Reling. »Ich dachte immer, du seist quasi auf Schiffen großgeworden.«

Carl stellte sich neben den Freund und ignorierte die winzigen Wassertröpfchen, die sein Gesicht besprühten.

»Das ist kein Grund, sich in der letzten Nacht an Bord noch eine Lungenentzündung einzufangen. Wenn die Gerüchte stimmen, laufen wir morgen schon San Francisco an.«

»Ich bin gespannt, was uns dort erwartet«, sagte Pape und drehte sich abrupt zu seinem Begleiter um. »In der Mine muß schon einiges an Gold gefördert worden sein. Hast du es bei dir?«

Carl nickte. Er wußte sofort, was gemeint war.

»Natürlich, Franz. Ich trage es immer bei mir, das weißt du doch.«

»Zeig es mir, Carl!«

Carl legte die glatte Stirn in Falten.

»Was soll das, Franz? Vertraust du mir nicht? Glaubst du, ich gehe fahrlässig mit unserem Kapital um?«

»Mit unserem oder mit deinem?« fragte Pape lauernd.

»Wir sind Freunde. Wenn die Mine richtig läuft, erhältst du einen guten Posten und eine Beteiligung. Ist doch wohl Ehrensache.« Carl maß ihn mit einem seltsamen Blick. »Oder denkst du, ich belüge dich?«

»Nein, natürlich nicht.« Pape hob die Schultern und ließ sie langsam wieder sinken. »Ich weiß auch nicht, warum ich es sehen möchte. Vielleicht kann ich noch nicht richtig glauben, daß wir beide bald steinreich sein werden.«

»Also gut«, seufzte Carl und lächelte wie ein nachsichtiger Vater, der sein Kind beim Naschen ertappt hatte. »Wenn es dich beruhigt.«

Er faßte in eine Innentasche seines Fracks und zog einen dünnes Päckchen heraus. Man sah nicht mehr als ein Stück Ölhaut.

»Gut eingewickelt«, grinste Carl. »Damit es nicht naß wird. Bist du beruhigt, oder soll ich's auch noch auswickeln.«

»Nein, ist schon gut, danke.«

Pape lächelte verlegen und sah zu, wie Carl das Päckchen wieder zurücksteckte.

Als Carl sein Gesicht abwandte, zog Pape mit raschem Griff etwas aus einer Außentasche seines Fracks, das auf den ersten Blick wie ein gebogenes Stück Holz aussah, an beiden Längsseiten mit Elfenbeinschalen beschlagen. Aber selbst für massives Holz lag es viel zu schwer in Papes Hand.

Es war eine sogenannte Vielzweckpistole, was man der Waffe jetzt nicht ansah. Pistolenlauf und Abzug waren im Griff verborgen wie auch einige andere Überraschungen.

Pape setzte die Waffe als Schlagstock ein und zog sie hart über Carls Hinterkopf.

Der Getroffene stöhnte, taumelte und sackte an der Reling zu Boden. Dort hockte er mit verschleiertem Blick und verzog das gutaussehende Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse.

Pape registrierte es mit Genugtuung, während seine Linke unter Carls Rock fuhr und nach dem Ölhautpäckchen suchte.

Endlich fand er es, löste den dünnen Strick und wickelte die Ölhaut so weit auf, bis er den Inhalt erkennen konnte. Er wollte sichergehen, das richtige Beutestück erwischt zu haben.

Und das hatte er!

»Was... soll das... bedeuten?« röchelte Carl und sah den anderen mit mühsam erhobenem Kopf an.

Pape legte die Ölhaut wieder zusammen.

»Das bedeutet, daß ich die Sache jetzt allein übernehme, mein Freund. Ich habe es satt, in deinem Schatten zu stehen. Ab jetzt bestimmt Franz Pape, wo es langgeht!«

Der Schleier vor Carls Augen verschwand, und sein Blick zeigte Verstehen.

»Dreckige Ratte!« zischte er und wollte sich an der Reling hochziehen. »Ich werde dich lehren.«

Seine Worte gingen in einem glucksenden Würgen unter. Eine scharfe Dolchklinge war in seinen Hals gefahren. Zuvor war sie in dem elfenbeinverschalten Griff verborgen gewesen. Ein Fingerdruck Papes auf einen winzigen Messingknopf hatte sie ausklappen lassen.

Carl rutschte wieder zu Boden. Noch war er bei vollem Bewußtsein und starrte entsetzt auf sein Blut, das das weiße Hemd rot färbte.

Pape stach ein zweites Mal zu, in Carls linke Brust. Ein letzter anklagender Blick traf den Attentäter. Dann schlossen sich Carls Augen, und sein Kopf kippte kraftlos zur Seite.

Pape wischte die Klinge an einem von Carls Frackärmeln ab, bis kein Blut mehr an ihr klebte. Er klappte den Dolch zurück und steckte die Vielzweckwaffe wieder in die Tasche.

Ein Blick in die Runde zeigte ihm, daß kein Besatzungsmitglied und kein anderer Passagier in der Nähe war.

Er bückte sich, hob Carl hoch und schob ihn über die Reling. Pape hörte das Geräusch nicht, als der Körper im Wasser aufschlug. Es wurde vom starken Rauschen des Schaufelrades verschluckt.

Carl geriet in den Wasserwirbel und verschwand aus Papes Blickfeld.

Der Attentäter war zufrieden. Carl war tot. Wenn ihn nicht die beiden Dolchstöße getötet hatten, war er ertrunken oder von dem riesigen Schaufelrad zermalmt worden. Nichts von ihm war mehr übrig.

Doch! Sein Zylinder war vom Kopf gerutscht und lag am Rand der Reling. Als Pape sich bückte, um ihn aufzuheben, sah er den roten Fleck.

Blut.

Verräterisches Blut!

Ein Mann, der über Bord fiel, hinterließ keine Blutlache.

Hastig zog Pape sein weißes Seidentaschentuch und machte sich daran, den Fleck zu beseitigen. Die unablässig an Bord spritzende Gischt half ihm dabei.

Endlich schien der Fleck verschwunden, soweit er das erkennen konnte. Das Licht der Gestirne und der Schiffslaternen ersetzte nicht das des Tages.

Er stand auf und wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen.

Im letzten Augenblick hielt er inne. Fast hätte er das blutige Taschentuch benutzt. Es war nicht so einfach, ein guter Mörder zu sein.

Er knüllte das Tuch zusammen und warf es über Bord, dann Carls Zylinder.

Mit dem Frackärmel wischte er sich den Schweiß ab und zählte die Sekunden und Minuten. Er mußte warten, bis die PERSIA sich weit genug von der Stelle entfernt hatte, an der er Carl über die Reling geworfen hatte.

Pape wartete nur wenige Minuten. Da der Cunard-Dampfer ein so schnelles Schiff war, würde das unbedingt reichen.

Aufgeregt lief er über das Deck und schrie aus Leibeskräften: »Mann über Bord! Mann über Bord!«