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Senator Basenart verabschiedete sich von seinen Gästen. Jacob und Irene gingen mit Reverend Hume an Land, und sie gerieten in das aufgeregte Gewühl rund um den Anlegeplatz der PERSIA.

Ein untersetzter Mann, der zwei große Reisetaschen trug, rempelte Irene an. Sie stolperte und wäre gestürzt, hätte Jacob sie nicht aufgefangen.

Der Mann blieb stehen, setzte die beiden Taschen ab und lüftete seinen flachen grauen Zylinder. Das leicht aufgeschwemmte Gesicht wirkte erschrocken.

»Verzeihen Sie, Madam«, sagte er. »Ich habe Sie in dem Gedränge leider zu spät bemerkt. Zum Glück hat Ihr Gatte Sie aufgefangen.«

»Nicht mein Gatte, sondern ein guter Freund«, erwiderte Irene.

»Noch einmal, meine Entschuldigung. Ich bin gerade mit der PERSIA hier angekommen. Sie wissen nicht zufällig eine preiswerte und saubere Unterkunft?«

»Sie suchen sicher ein gutes Hotel«, meinte Irene. »Mr. Adler und ich wohnen in einem Boarding-House. Es ist zwar sauber und preiswert, aber dort gibt es keine Einzelzimmer, sondern nur zwei große Schlafsäle, einer für die Herren und einer für die Damen.«

»Das klingt genau nach dem, was ich suche«, sagte der Mann.

Irene beschrieb ihm den Weg und sagte: »Wir würden Sie hinführen, aber wir haben vorher noch ein anderes Ziel.«

Sie und Jacob wollten mit Reverend Hume zum Hotel Santa Rosa, wo Mrs. Goldridge mit dem kleinen Jamie wartete.

»Wir sehen uns sicher noch«, meinte der Fremde und lächelte Irene zu. »Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen. Guten Abend!«

Er nahm seine Taschen wieder auf und verschwand zwischen Passagieren der PERSIA, Schaulustigen und Straßenjungs, die sich als Gepäckträger oder Taschendiebe etwas verdienen wollten.

»Ein seltsamer Kauz«, meinte Jacob. »Wenn ich mich in seinem Dialekt nicht getäuscht habe, ist er Deutscher wie wir.«

»Wieso seltsam?« fragte Irene. »Er war doch sehr nett.«

»Ich frage mich, weshalb so ein feiner Pinkel nicht ins Hotel zieht.«

»Nicht nur arme Leute wie wir müssen sparen, Jacob. San Francisco ist nicht billig.«

»Ja, wer weiß.« Jacob sah in die Richtung, wo der Fremde verschwunden war. »Trotzdem - irgend etwas war mit dem Burschen nicht in Ordnung.«

*

Mit jedem Schritt, den Franz Pape sich vom Ankerplatz der PERSIA entfernte, fühlte er sich ein wenig sicherer.

Kapitän Billings hatte ihn zwar gebeten, sich für weitere Untersuchungen zur Verfügung zu halten, aber Pape dachte nicht daran. Das schlechte Gewissen und die Angst, einen Fehler zu begehen, plagten ihn.

Die große Silhouette des Cunard-Dampfers wirkte auf ihn bedrohlich. Sie erinnerte ihn an seine Tat und die Schuld, die er auf sich geladen hatte.

Die scheinbare Ungezwungenheit, zu der Pape sich bei dem Gespräch mit der blonden Frau gezwungen hatte, verließ sein Gesicht. Jetzt spiegelte es Papes Angst vor Entdeckung und den Ärger über seine eigene Dummheit wider.

Pape wollte in kurzer Zeit schon ein reicher Mann sein. Aber im Augenblick hatte er so wenig Geld, daß er sich kaum zwei, drei Tage in San Francisco würde durchschlagen können. Der Goldrausch trieb die verdammten Preise in die Höhe.

Warum war er auch so dumm gewesen, sich nicht Carls prall gefüllter Börse zu bemächtigen, bevor er den Toten ins Wasser warf? Es wäre nur ein Handgriff gewesen.

Ein geübter Mörder hätte daran gedacht. Aber Pape war kein geübter Mörder. Es war sein erster Mord.

Er hastete durch die überfüllten Straßen der Hafengegend, ohne auf die Menschen um ihn herum zu achten. Ein kräftiger Neger bot ihm an, sein Gepäck zu tragen - Pape blieb nicht einmal stehen. Ein pickliger Junge wollte ihm ein Extrablatt des Call über den großen Brand der letzten Nacht verkaufen -Pape rannte ihn über den Haufen.

Der untersetzte Mann fühlte sich verfolgt. Als sei Carls Geist hinter ihm her. Von der PERSIA aus, die dort drüben in der Bucht ankerte, schien der Geist Papes Tat hinauszuschreien. Erst als Pape in eine enge Gasse eintauchte und den großen Dampfer aus den Augen verlor, verebbten die Schreie.

Pape war erleichtert. Er blieb einen Augenblick stehen, setzte die Taschen ab und fuhr mit dem Ärmel über seine Stirn, um den Schweiß abzuwischen.

Er blickte sich um, wollte sich orientieren. Geradeaus! Dort mußte die Dean Street mit dem Boarding-House liegen, von dem die blonde Frau mit dem deutschen Akzent gesprochen hatte.

Pape nahm die Taschen wieder auf und setzte seinen Weg fort, mit immer größeren Schritten. Diesmal trieb ihn nicht die Angst voran, sondern eine fieberartige Erregung. Er spürte, daß sich in diesen Tagen und in dieser Stadt sein Schicksal entscheiden würde.

*

»Ob der komische Kauz wohl bei Mrs. Marsh untergekommen ist?« fragte Irene, als vor ihnen die Silhouette des Boarding-Houses auftauchte.

Es zeichnete sich nur undeutlich gegen die übrigen Gebäude ab. Die Dämmerung war der Finsternis gewichen. Wolken verdunkelten das Firmament. Für Licht sorgten nur die Fenster der umliegenden Häuser und die Laternen, die hin und wieder vor einer Eingangstür hingen.

»Vielleicht sehe ich ihn im Schlafsaal der Männer«, antwortete Jacob.

Er sprach ebenso leise wie seine Begleiterin, um Jamie nicht zu wecken. Irenes Sohn schlief, in eine dicke Decke gewickelt, in den Armen seiner Mutter.

»Adler!«

Der Mann, der den lauten Ruf ausstieß, war weniger rücksichtsvoll als die beiden Auswanderer. Das Kind öffnete die Augen und begann vor Schreck und Verwirrung zu wimmern.

»Bleib stehen!« zischte Jacob der Frau an seiner Seite zu.

Er selbst zog die beiden Revolver aus seinen Jackentaschen, einen Joslyn und einen Remington.

San Francisco hatte sich als gefährliche und wahrhaft brandheiße Stadt erwiesen. Als sich jetzt langsam ein Schatten aus der Dunkelheit löste und auf die beiden Auswanderer zuhielt, rechnete der Zimmermann mit allem. Und er wollte auf alles vorbereitet sein.

Das metallische Klacken der zurückgezogenen Hähne warnte den Schatten, und er blieb stehen.

»Nicht schießen, Adler!« bat eine Stimme, die Jacob irgendwie bekannt vorkam. »Ich fühle mich noch zu jung zum Sterben.«

»Wer ist dort?«

»Ich, Clemens.«

Clemens!

Der Name kam Jacob ebenso bekannt vor wie die Stimme. Aber beides konnte er nicht einordnen.

»Treten Sie ganz langsam vor!« befahl der Deutsche. »Bleiben Sie stehen, sobald ich Ihr Gesicht sehen kann.«

Der Unbekannte gehorchte und begab sich ins Licht der nächsten Laterne. Dort wurde aus dem Schatten ein mittelgroßer Mann in einem abgewetzten dunklen Anzug.

Sofort erkannte Jacob das kantige Gesicht, das von einem vorspringenden Kinn, einem buschigen Schnauzbart und ebenso buschigen Augenbrauen beherrscht wurde.

Erst vor wenigen Tagen hatte er mit diesem Mann gesprochen. Doch in der Zwischenzeit war soviel geschehen, daß der Auswanderer die Begegnung fast aus seinem Gedächtnis gestrichen hatte.

»Mark Twain!« rief Jacob den Namen aus, mit dem der Journalist sich bei ihm vorgestellt hatte.

Er erinnerte sich, daß der Mann eigentlich Samuel Langhorne Clemens hieß. Mark Twain war der Name, unter dem er schrieb. Als Mark Twain hatte er sich Jacob vorgestellt, und so hatte der Deutsche ihn ihm Gedächtnis behalten.

»Darf ich mich wieder rühren?« fragte der Journalist.

»Gewiß.« Jacob lächelte entschuldigend, ließ die Hähne zurückgleiten und die beiden Revolver wieder in den Jackentaschen verschwinden. »Entschuldigen Sie, Mr. Twain, aber ich habe in San Francisco einiges erlebt, das mich vorsichtig gemacht hat.«

»Ich habe davon gehört, Mr. Adler. Deshalb bin ich hier.«

Der Journalist trat vor, blieb vor Irene stehen und zog seinen Hut.

»Sie müssen Miß Sommer sein. Mein Name ist eigentlich Clemens, aber sagen Sie ruhig auch Mark Twain zu mir. Falls ich mit meiner Feder einmal so erfolgreich sein werde, wie ich es mir wünsche, werde ich mich an den Namen gewöhnen müssen.«