In diesem Moment erschien Tyler.
«Guten Morgen.«
«Richter Stanford?«
«Ja.«
«Ich bin Simon Fitzgerald, neben mir steht mein Partner Steve Sloane. Steve hat die Überführung der Leiche Ihres Vaters aus Korsika in die Wege geleitet.«
Tyler wandte sich Steve zu.»Ich bin Ihnen sehr verbunden. Übrigens — da in den Medien unterschiedliche Versionen über den Hergang herumgeistern, wissen wir nicht so recht, was genau passiert ist. War es ein Verbrechen?«
«Nein. Allem Anschein nach handelte es sich wirklich um einen Unfall im Zusammenhang mit einem furchtbaren Sturm, in den die Jacht Ihres Vaters vor der korsischen Küste geriet. Laut Augenzeugenaussage des Leibwächters Dmitri Kaminski stand Ihr Vater auf dem Deck vor seiner Kabine im Freien, als ihm eine Windböe Unterlagen aus der Hand riß, die er wieder einfangen wollte — und dabei hat er das Gleichgewicht verloren und ist über Bord gefallen. Und als er aus dem Wasser gezogen wurde, kamen alle Wiederbelebungsversuche zu spät.«
Kendall erschauderte.»Welch furchtbare Art zu sterben!«»Haben Sie mit dieser Person… mit Kaminski gesprochen?«wollte Tyler wissen.
«Leider nein. Bei meiner Landung in Korsika hatte er die Insel bereits verlassen.«
«Der Kapitän der Jacht«, erläuterte Simon Fitzgerald,»hatte Ihren Vater vorher inständig gewarnt, bei diesem Sturm auszulaufen. Aus einem uns nicht bekannten Grund hatte Ihr Vater es jedoch sehr eilig, nach Amerika zurückzukehren. Er hatte einen Helikopter gechartert, der ihn von Korsika aus nach Hause bringen sollte. Es gab da wohl irgendein dringendes Problem.«
«Und Sie wissen, was für ein Problem das war?«fragte Tyler.
«Leider nein. Ich befand mich in den Ferien, als er anrief und mir ausrichten ließ, er müsse mich unbedingt sofort in Boston sprechen. Ich weiß also nicht, um was…«
«Das alles ist ja recht interessant«, unterbrach ihn Woody,»aber längst Vergangenheit, oder? Wir müssen über Vaters Testament reden. «Seine Hände zitterten.»Hat er uns nun was vermacht oder nicht?«
«Warum nehmen wir nicht Platz?«schlug Tyler vor.
Sie setzten sich. Simon Fitzgerald nahm ihnen gegenüber hinter dem Schreibtisch Platz, öffnete seine Aktentasche und begann, die Papiere herauszuholen.
Woody wäre vor Ungeduld fast geplatzt.»Also, was ist nun! Um Himmels willen! Ja oder nein?«
«Woody!«sagte Kendall mahnend.»Du…«
Doch ihr Bruder schnitt ihr das Wort ab.»Ich kenne die Antwort schon! Nicht einen verdammten Cent hat er uns hinterlassen!«
Fitzgerald musterte die Gesichter der Sprößlinge von Harry Stanford mit ausdrucksloser Miene.»Ganz im Gegenteil«, erklärte er nüchtern,»die Hinterlassenschaft geht zu gleichen Teilen an Sie alle.«
Steve konnte die Euphorie spüren, die sich plötzlich im Raum ausbreitete.
Woody starrte Fitzgerald mit offenem Mund an. »Was? Ist das Ihr Ernst?«Er sprang auf.»Aber das ist ja fantastisch!«Er drehte sich zu den anderen um.»Habt ihr das gehört? Der alte Mistkerl hat endlich einmal an uns gedacht!«Er richtete den Blick wieder auf Fitzgerald.»Um welche Summe handelt sich's denn?«
«Ich verfüge nicht über eine Kenntnis der genauen Zahlen. Laut der Zeitschrift Forbes — in ihrer jüngsten Nummer beläuft sich der Wert des Konzerns Stanford Enterprises auf sechs Milliarden Dollar, die im wesentlichen in Firmen angelegt sind. Die liquiden Mittel betragen vierhundert Millionen Dollar.«
Die Mitteilung verschlug Kendall fast den Atem.»Aber das würde ja heißen, daß jeder von uns mehr als hundert Millionen Dollar kriegt. Unglaublich!«Und für mich persönlich bedeutet es Freiheit! jubelte sie innerlich. Ich kann mich für immer freikaufen. Sie strahlte und drückte heimlich Marcs Hand.
«Glückwunsch«, sagte Marc, der eine konkrete Vorstellung davon hatte, was eine solche Summe bedeutete.
Simon Fitzgerald hob die Stimme.»Wie Sie wissen, hat Ihr Vater persönlich neunundneunzig Prozent der Aktien an den Stanford Enterprises gehalten — diese Aktien fallen nun zu gleichen Teilen an die Kinder. Im übrigen«, er sah Tyler an,»geht das bisher treuhänderisch verwaltete restliche eine Prozent der Aktien mit dem Tode Ihres Vaters in Ihr persönliches Eigentum über, Richter Stanford. Selbstverständlich sind vorher gewisse Formalitäten zu erledigen. Außerdem muß ich Sie von der Möglichkeit eines weiteren, vierten Erben in Kenntnis setzen.«
«Eines weiteren Erben?«fragte Tyler, als ob er nicht richtig gehört hätte.
«Das Testament Ihres Vaters enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß seine Hinterlassenschaft zu gleichen Teilen unter allen Nachkommen aufzuteilen ist.«
Peggy stutzte.»Was… was hat das zu bedeuten — >alle Nachkommen<?«
Tyler klärte sie auf.»Einschließlich außerehelicher und rechtmäßig adoptierter Kinder.«
Fitzgerald nickte.»Ganz recht. Damit werden alle außerhalb der Ehe geborenen Kinder wie die Kinder aus der Ehe von Vater und Mutter behandelt, deren Schutz und Interessen nach Gesetz und Recht gewährleistet sind.«
«Und was heißt das nun konkret?«fragte Woody unwirsch.
«Konkret heißt das: Es könnte auch noch eine andere Person Anspruch auf das Erbe erheben.«
Kendall sah ihm offen in die Augen.»Wer denn?«
Simon Fitzgerald zögerte, mußte sich aber eingestehen, daß Rücksicht und Takt in diesem Moment nicht weiterhelfen würden.»Sie sind sich, wie ich gewiß annehmen darf, der Tatsache bewußt, daß Ihr Vater vor vielen Jahren mit der Gouvernante hier in Rose Hill ein Kind zeugte.«
«Mit Rosemary Nelson«, sagte Tyler.
«Genau. Die Tochter wurde im St.-Josephs-Krankenhaus in Milwaukee geboren und auf den Namen Julia getauft.«
Man hätte die Stille im Raum mit dem Messer schneiden können.
«He!«rief Woody.»Das ist ziemlich genau fünfundzwanzig Jahre her.«
«Sechsundzwanzig, um ganz genau zu sein.«
«Weiß jemand, wo sie lebt?«fragte Kendall.
Simon Fitzgerald klang plötzlich wieder Harry Stanfords Stimme im Ohr. Sie hat mir geschrieben, daß sie ein Mädchen zur Welt gebracht hat. Aber wenn sie meint, daß sie deswegen auch nur einen Cent von mir bekommt, dann soll sie zur Hölle fahren.»Nein«, antwortete Fitzgerald gedehnt,»das weiß niemand.«
«Wozu zerbrechen wir uns dann den Kopf?!«rief Woody laut.
«Ich habe nur sichergehen wollen, daß Sie alle sich darüber im klaren sind — falls diese Tochter auftaucht, hat sie Anrecht auf ein gleich großes Erbteil wie Sie.«
«Damit wird ja wohl kaum zu rechnen sein«, wandte Woody ein.»Sie weiß wahrscheinlich nicht einmal, wer ihr Vater war.«
An diesem Punkt schaltete Tyler sich mit einer Frage an Simon Fitzgerald ein.»Sie haben vorhin gesagt, daß Ihnen der genaue Wert der Hinterlassenschaft unbekannt ist. Darf ich nach dem Grund fragen?«
«Weil unsere Kanzlei Ihren Vater privat vertreten hat, in seinen geschäftlichen Belangen wurde er von zwei anderen Anwaltskanzleien betreut, mit denen ich schon mit der Bitte um baldmögliche Aufklärung über die Finanzlage Verbindung aufgenommen habe.«
«Aber um was für einen zeitlichen Rahmen geht es hier?«erkundigte sich Kendall. »Wir brauchen zur Deckung unserer aufgelaufenen Unkosten unverzüglich hunderttausend Dollar.«
«Zwei bis drei Monate vermutlich.«
«Besteht denn keine Möglichkeit«, erkundigte sich Marc, der die sorgenumwölkte Miene seiner Frau bemerkte,»da ein bißchen Druck auszuüben?«
«Leider nein. «Die Antwort kam von Steve Sloane, der erläuterte:»Das Testament muß nämlich zuerst vom
Nachlaßgericht für unbedenklich befunden werden, und der Terminkalender des Nachlaßgerichts ist gedrängt voll.«