«Was ist denn das schon wieder — ein Nachlaßgericht?«fragte Peggy unsicher.
«Nachlaß«, belehrte sie Tyler,»ist ein anderer Ausdruck für Hinterlassenschaft, und über deren Verwendung verfügt das Testament, weshalb die Frage nach seiner Rechtsgültigkeit…«
«Sie hat dich doch nicht um Nachhilfeunterricht gebeten!«schimpfte Woody.»Warum können wir die Sache nicht einfach so erledigen?«
«So funktioniert die Rechtsordnung nun einmal nicht«, wies Tyler ihn scharf zurecht.»Nach einem Todesfall muß das Testament dem Nachlaßgericht vorgelegt werden. Dann müssen sämtliche Besitztümer des Toten — Immobilien, Aktien, Barmittel, Schmuck — erfaßt, geschätzt und aufgelistet werden, und die Inventarliste muß dann ebenfalls beim Gericht hinterlegt werden. Dann gilt es noch, die Frage der Erbschaftssteuern zu klären und vorrangige Sondervermächtnisse abzuführen. Erst nachdem all das geschehen ist, kann ein Antrag um Erlaubnis zur Aufteilung der restlichen Erbmasse an die Erben eingereicht werden.«
Woody grinste.»Na schön, was macht das schon? Ich habe vierzig Jahre darauf warten müssen, Millionär zu werden, da werde ich mich jetzt noch ein bis zwei Monate länger gedulden können.«
Simon Fitzgerald erhob sich.»Abgesehen von dem Vermächtnis Ihres Vaters an Sie, gibt es ein paar kleinere Schenkungen, welche allerdings die Substanz der Hinterlassenschaft nicht berühren. «Er ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten.»Wenn es sonst nichts gibt, was ich für Sie…«
Tyler stand ebenfalls auf.»Ich denke nicht. Wir sind Ihnen beiden sehr zu Dank verpflichtet — Mr. Fitzgerald, Mr. Sloane. Falls irgendwelche Fragen auftreten sollten, werden wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen.«
Fitzgerald verabschiedete sich mit einem höflichen Kopfnicken:»Meine Damen, meine Herren«, sagte er, drehte sich um und ging, gefolgt von Steve Sloane, hinaus.
In der Auffahrt wandte Simon Fitzgerald sich zu Steve um.»So, nun hast du seine Kinder kennengelernt. Was ist dein Eindruck?«
«Das war eher eine Jubelfeier als eine Versammlung von Trauernden. Da gibt es jedoch einen Punkt, den ich wirklich nicht begreife, Simon. Wenn Harry Stanford, und daran besteht ja wohl kein Zweifel, seine Kinder genauso gehaßt hat wie sie ihn — warum hat er ihnen dann alles hinterlassen?«
Simon Fitzgerald zuckte mit den Schultern.»Das werden wir vermutlich nie erfahren. Vielleicht wollte er mich deshalb unbedingt sprechen — weil er sein Testament ändern und sein Vermögen jemand anders vermachen wollte.«
In dieser Nacht fand niemand Schlaf, alle waren mit ihren Gedanken beschäftigt.
Tyler dachte: Es ist eine Tatsache. Es ist Wirklichkeit. Ich kann Lee die Welt zu Füßen legen. Ich kann Lee alles bieten. Alles!
Kendall dachte: Sobald, ich das Geld habe, werde ich einen Weg finden, um sie für immer zufriedenzustellen, ich werde dafür sorgen, daß sie mich nie mehr belästigen.
Woody dachte: Ich werde die besten Polopferde der Welt besitzen und mich nicht mehr mit Leihpferden begnügen müssen. Ich werde ein Spieler der absoluten Spitzenklasse! Er warf einen Blick auf seine Frau, die neben ihm lag und schlief. Als allererstes werde ich mir aber diese dumme Kuh vom Hals schaffen. Er korrigierte sich sofort: Nein, das darf ich nicht tun
Er stieg aus dem Bett, ging ins Bad, und als er wieder herauskam, fühlte er sich bereits wieder gut.
Beim Frühstück herrschte eine geradezu überschwenglich gute Laune.
«Nun erzählt mal!«sagte Woody munter,»ihr habt doch bestimmt Pläne geschmiedet.«
Marc zuckte mit den Schultern.»Wie soll man denn in so einer Situation konkrete Pläne schmieden? Solch große Summen übersteigen einfach jedes Vorstellungsvermögen!«
«Die Erbschaft wird unser aller Leben von Grund auf verändern«, versicherte Tyler.
Woody nickte zustimmend.»Der Mistkerl von einem Vater hätte es uns schenken sollen, als er noch lebte — da hätten wir alle miteinander Freude gehabt. Wenn es nicht unschicklich wäre, Tote zu hassen, dann würde ich euch jetzt was erzählen…«
«Woody!«rief Kendall tadelnd.
«Wir wollen doch keine Heuchler sein. Wir haben ihn alle verachtet, und er hatte es verdient. Erinnert euch doch nur, wie er versucht hat, uns…«
In dem Moment betrat Clark den Raum, blieb an der Tür stehen und sagte:»Entschuldigung, aber draußen wartet eine gewisse Julia Stanford.«
Kapitel 13
«Julia Stanford?«
Sie sahen sich bestürzt an, waren wie versteinert.
Woody explodierte.»Wenn das Julia Stanford ist, freß ich 'nen Besen!«
«Ich schlage vor«, warf Tyler ein,»daß wir in die Bibliothek gehen«, um gleich darauf Clark anzuweisen:»Bringen Sie die junge Dame bitte dorthin.«
«Jawohl, Sir.«
In der Tür blieb sie stehen, blickte zu ihnen herüber, und es war nicht zu übersehen, daß ihr die Situation peinlich war.»Ich… ich wäre wohl besser nicht gekommen. «Ihre Stimme zitterte.
«Da haben Sie verdammt recht!«platzte Woody heraus.»Wer sind Sie überhaupt?«
«Ich bin Julia Stanford. «Sie war so nervös, daß sie stotterte.
«Ich will doch nicht wissen, wie Sie sich nennen!«fuhr er sie an.»Ich will wissen, wer Sie sind! Wer Sie wirklich sind, meine ich.«
Sie wollte etwas sagen.»Ich…«
Sie schluckte und schüttelte den Kopf.»Meine Mutter hieß Rosemary Nelson. Harry Stanford war mein Vater.«
Die anderen tauschten fragende Blicke.
«Können Sie das beweisen?«fragte Tyler.
«Ich glaube nicht«, sie räusperte sich,»daß ich dafür einen vorzeigbaren Beweis habe.«
«Natürlich nicht!«donnerte Woody.»Wie können Sie den Nerv haben, uns…«
Kendall unterbrach ihn.»Sie können sich gewiß vorstellen, daß Ihr Erscheinen uns überrascht. Falls Ihre Behauptung wahr ist, dann… wären Sie ja unsere Halbschwester.«
Julia nickte.»Sie sind Kendall. «Sie deutete mit einer
Kopfbewegung zum Richter.»Sie sind Tyler. «Sie sah den jüngeren Bruder an.»Und Sie sind Woodrow, man nennt Sie aber Woody.«
«Was Sie natürlich in jeder beliebigen Illustrierten gelesen haben könnten«, bemerkte Woody mit ätzendem Sarkasmus.
Da schaltete sich Tyler ein.»Sie können sich gewiß in unsere Lage versetzen, Miss… ähm… Ohne einen hieb- und stichfesten Beweis können wir unmöglich akzeptieren, daß…«
«Verstehe. «Sie schaute sich unsicher um.»Ich weiß gar nicht, warum ich überhaupt hergekommen bin.«
«Ach nein, da bin ich aber anderer Ansicht«, höhnte Woody.»Der Grund liegt doch klar auf der Hand — das Geld.«
«Ich bin nicht am Geld interessiert!«widersprach sie in einem Ton der Entrüstung.»In Wahrheit ist es so, daß ich… Ich hatte nur gehofft, endlich meine Angehörigen kennenzulernen… meine Familie.«
Kendall musterte sie prüfend.»Und wo ist Ihre Mutter?«
«Sie ist gestorben. Als ich die Nachricht vom Tod unseres Vaters las… «
«Haben Sie sofort beschlossen, uns aufzusuchen«, brachte Woody ihren Satz zu Ende.
Tyler ignorierte ihn.»Sie behaupten«, wandte er sich an die junge Frau,»daß Sie keinen juristischen Beweis für Ihre Identität besitzen?«
«Einen juristischen…? Nein, ich glaube nicht. Diese Frage ist mir nie in den Sinn gekommen. Aber manche Dinge könnte ich unmöglich wissen, wenn ich sie nicht von meiner Mutter gehört hätte.«
«Was zum Beispiel?«fragte Marc.
Sie dachte kurz nach.»Ich kann mich erinnern, daß meine Mutter ein Gewächshaus hinter dem Hause hier erwähnte. Sie war eine Pflanzen- und Blumennärrin und hat dort oft Stunden zugebracht…«
«Von dem Gewächshaus hat mehr als eine Zeitschrift Fotos gebracht!«
«Was haben Sie sonst noch von Ihrer Mutter gehört?«wollte Tyler wissen.
«Ach, sie hat mir ja so viel erzählt! Von Ihnen allen und von der schönen Zeit, die sie damals mit Ihnen erlebt hat — meine Mutter hat immer wieder gern davon erzählt. «Sie überlegte.»An einem Tag ist meine Mutter beispielsweise mit Ihnen, da müssen Sie aber noch ganz klein gewesen sein, vielleicht können Sie sich deshalb nicht mehr daran erinnern, im Schwanenboot über den Teich gerudert, und dabei ist einer von Ihnen fast ins Wasser gefallen. Ich weiß aber nicht mehr, wer es gewesen ist.«