«Es handelt sich um etwas ganz und gar Inoffizielles«, beruhigte ihn Tyler.»Wir bitten Sie nur um Aufklärung über die familiäre Herkunft einer jungen Dame.«
«Sie erwähnten am Telefon, daß sie sich als Ihre Halbschwester ausgibt und daß für einen DNS-Test die nötigen Voraussetzungen fehlen.«
«Richtig!«antwortete Woody.
«Sie glauben aber nicht«, er schaute die Anwesenden der Reihe nach fragend an,»daß sie Ihre Halbschwester ist?«
Daraufhin herrschte kurzes Schweigen.
«Nein, keineswegs«, erwiderte Tyler.»Andererseits besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß sie die Wahrheit sagt. Unser Auftrag an Sie lautet, unwiderlegbare Beweise dafür beizubringen, ob die Dame echt oder eine Hochstaplerin ist.«
«Kein Problem. Mein Honorar beträgt tausend Dollar pro Tag, zuzüglich Spesen.«
Tyler schluckte. »Tausend…«
«Die zahlen wir Ihnen!«überstimmte Woody seinen Bruder.
«Ich brauche sämtliche Informationen über die Frau, die Sie besitzen.«
«Das ist nicht gerade viel«, sagte Kendall.
«Sie hat keinerlei Beweise für ihre Behauptung«, berichtete Tyler.»Und die Geschichten aus unseren Kindertagen, die sie angeblich von ihrer Mutter gehört hat…«
Timmons hob abwehrend eine Hand.»Moment! Wer war ihre Mutter?«
«Ihre angebliche Mutter war eine Gouvernante namens Rosemary Nelson, die uns Kinder damals betreut hat.«
«Was passierte mit ihr?«
Sie wechselten verlegene Blicke.
«Sie hatte«, sagte Woody,»ein Verhältnis mit unserem Vater und wurde schwanger. Daraufhin hat sie sich aus dem Staub gemacht und hat dann ein Mädchen zur Welt gebracht. «Er zuckte mit den Schultern.»Sie ist spurlos verschwunden.«
«Verstehe. Und diese junge Frau gibt vor, ihre Tochter zu sein?«
«So ist es.«
«Das sind nicht gerade viele Anhaltspunkte. «Timmons dachte nach.»In Ordnung«, meinte er schließlich.»Ich will sehen, was sich machen läßt.«
Als erstes suchte er die Boston Public Library auf, wo er sämtliche Zeitungsberichte auf Mikrofiches über den sechsundzwanzig Jahre zurückliegenden Skandal betreffend Harry Stanford, die Gouvernante und den Selbstmord von Mrs. Stanford las. Was er da an Material fand, hätte genug Stoff für einen Roman abgegeben.
Sein zweiter Schritt bestand darin, daß er Simon Fitzgerald einen Besuch abstattete.
«Mein Name ist Frank Timmons. Ich…«
«Ich weiß über Sie Bescheid, Mr. Timmons. Richter Stanford hat mich gebeten, Ihnen behilflich zu sein. Was kann ich für Sie tun?«
«Ich möchte die uneheliche Tochter Harry Stanfords ausfindig machen. Sie ist jetzt etwa sechsundzwanzig Jahre alt, nicht wahr?«
«Richtig. Sie wurde am 9. August 1969 im St.-Josephs-Krankenhaus in Milwaukee, Wisconsin, geboren. Ihre Mutter hat ihr den Namen Julia gegeben. «Er zuckte mit den Schultern.»Die beiden sind nie wieder aufgetaucht. Bedaure, aber das ist alles, was wir an Informationen über die beiden besitzen.«
«Es ist immerhin etwas«, meinte Timmons.»Damit ist wenigstens ein Anfang gemacht.«
Die Verwaltungsdirektorin des St.-Josephs-Krankenhauses in Milwaukee, Mrs. Dougherty, eine grauhaarige Dame in den Sechzigern, konnte sich noch erinnern.
«Aber natürlich«, sagte sie.»Wie hätte ich das vergessen können? Das war doch ein Riesenskandal, darüber haben damals alle Zeitungen berichtet — die Reporter haben herausgefunden, wer Rosemary Nelson war und die Arme überhaupt nicht mehr in Ruhe gelassen.«
«Und wohin ist sie mit ihrem Kind verzogen?«
«Das weiß ich nicht. Sie hat uns keine Nachsendeadresse hinterlassen.«
«Hat sie denn vor ihrer Entlassung die Rechnung für die Entbindung bezahlt?«
«Um die Wahrheit zu sagen — nein, das hat sie nicht.«
«Und wieso ist Ihnen das heute noch erinnerlich?«
«Weil das Ganze eine so traurige Geschichte war. Ich kann mich noch erinnern, sie hat in dem gleichen Stuhl gesessen, in dem jetzt Sie sitzen, und hat mir gebeichtet, daß sie nur einen Teil der Summe zahlen könne, und versprochen, den Rest später zu schicken. Na ja, natürlich war das gegen die Bestimmungen, aber sie hat mir so leid getan, sie war nämlich schwer krank, als sie uns verließ, müssen Sie wissen, da habe ich also eingewilligt.«
«Und sie hat Ihnen die Restsumme später tatsächlich überwiesen?«
«O ja, gewiß. Etwa zwei Monate später. Und jetzt fällt es mir auch wieder ein — sie hatte bei einer Sekretärinnenvermittlung eine Anstellung gefunden.«
«Sie können sich nicht zufällig auch noch an den Ort erinnern?«
«Leider nein. Du meine Güte, Mr. Timmons — das liegt nun schon sechsundzwanzig Jahre zurück!«
«Eine letzte Frage, Mrs. Dougherty: Heben Sie die Akten ehemaliger Patienten auf?«
«Selbstverständlich. «Sie hob den Blick.»Möchten Sie, daß ich die Unterlagen von Miss Nelson heraussuche?«
Er schenkte ihr sein liebenswürdigsten Lächeln.»Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«»Würde es Rosemary helfen?«
«Es würde ihr sogar sehr helfen.«
«Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen würden.«
Mrs. Dougherty ließ ihn allein.
Eine Viertelstunde später war sie wieder zurück — mit einem Blatt Papier in der Hand.»Da haben wir es: Rosemary Nelson. Die Absenderadresse lautet: The Elite Typing Service, Omaha, Nebraska.«
Der Elite Typing Service in Omaha, Nebraska, wurde von einem gewissen Mr. Otto Broderick geleitet, der das sechzigste Lebensjahr bestimmt längst überschritten hatte.
Er protestierte.»Wenn Sie wüßten, wie viele Frauen wir beschäftigen! Wie soll ich mich da an eine erinnern, die hier vor so langer Zeit tätig war?«
«Es war aber eine ziemlich ungewöhnliche Angestellte — eine alleinstehende Frau Ende Zwanzig, kränkelnd, mit einem Baby, das kurz davor zur Welt gekommen war und…«
«Rosemary!«
«Genau. Und wieso können Sie sich jetzt auf einmal doch an sie erinnern?«
«Nun ja, per Assoziation. Sie verstehen etwas von Mnemotechnik?«
«Ja.«
«Also — ich praktiziere eine Mnemotechnik, die sich auf das Assoziieren von Wörtern und Begriffen stützt. Damals kam gerade ein Film mit dem Titel Rosemarys Baby in die Kinos, und als sich fast gleichzeitig Rosemary bei uns bewarb und erwähnte, daß sie erst kürzlich ein Baby bekommen hätte, da habe ich eine Verbindung hergestellt und…«
«Wie lang hat Rosemary Nelson bei Ihnen gearbeitet?«
«Ach, ein Jahr ungefähr. Dann hat nämlich die Presse Wind davon bekommen, wissen Sie, und die Reporter gaben keine Ruhe mehr. Sie hat die Stadt mitten in der Nacht verlassen, um den Journalisten zu entwischen.«
«Und haben Sie eine Idee, wohin sie abgereist sein könnte, Mr. Broderick?«
«Meines Wissens nach Florida, denn sie brauchte ein wärmeres Klima. Ich habe sie einer mir bekannten Agentur empfohlen.«
«Darf ich den Namen dieser Agentur erfahren?«
«Gewiß. Es handelt sich um die Gale Agency. Daran kann ich mich noch erinnern, weil ich den Namen der Agentur mit den Stürmen assoziierte, von denen Florida jährlich heimgesucht wird.«
Zehn Tage nach seiner ersten Zusammenkunft mit den Stanfords war er wieder in Rose Hill, nachdem er sich telefonisch angekündigt hatte. Als er das Wohnzimmer betrat, wurde er schon sehnsüchtig erwartet.
«Sie erwähnten, daß Sie uns Neuigkeiten mitzuteilen hätten, Mr. Timmons«, hob Tyler an.
«So ist es. «Timmons öffnete seine Aktentasche und zog einen Stapel Unterlagen heraus.»Ein außergewöhnlich interessanter Fall«, begann er.»Als ich zunächst…«
«Kommen Sie zur Sache!«fiel ihm Woody ins Wort.»Ist sie eine Hochstaplerin? Ja oder nein?«
Timmons blickte von seinen Papieren auf.»Wenn es Ihnen recht ist, Mr. Stanford, würde ich die Sache gern auf meine Art präsentieren.«