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Er mußte gegen das Schlingern des Schiffes ankämpfen, taumelte zum Schreibtisch hinüber, packte eine Handvoll Papiere und schob die Glastür zum Außendeck auf, dann verstreute er einige Papiere auf der Veranda und warf ein paar über Bord.

Danach kehrte er wieder ins Badezimmer zurück, zerrte den toten Stanford aus der Wanne, zog ihm Pyjama, Morgenmantel und Hausschuhe an und schleppte ihn auf Deck. Als Dmitri die Reling erreicht hatte, hielt er kurz inne, bevor er die Leiche über Bord warf. Er zählte bis fünf, griff nach dem Hörer des Bordtelefons und brüllte hinein:»Mann über Bord!«

Bei Dmitris genauer Schilderung des Geschehens spürte Tyler sexuelle Erregung in sich aufsteigen. Er konnte fast das Seewasser auf der Zunge schmecken, das in die Lungen seines Vaters strömte, er spürte die schreckliche Angst — und dann nichts mehr.

Es ist aus, dachte Tyler, um sich sofort zu korrigieren: Nein, jetzt fängt das Spiel überhaupt erst an. Jetzt ist der Moment für den Zug mit der Königin gekommen.

Kapitel 17

Auf den letzten Schachzug, die Krönung seines genialen Spielplans, kam Tyler durch Zufall.

Er hatte über das Testament des Vaters nachgedacht, als er plötzlich eine Stinkwut empfand, weil Woody und Kendall den gleichen Erbteil erhalten würden wie er. Das steht ihnen nicht zu. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte Vater sie völlig aus seinem Testament gestrichen. Ohne mich hätten sie gar nichts bekommen, jetzt kriegen beide je ein Drittel von allem — das ist nicht fair. Aber was soll ich dagegen machen?

Nun besaß er allerdings die eine Aktie am Konzern, die ihm seine Mutter vor langer Zeit geschenkt hatte. Und plötzlich fielen ihm wieder die Worte seines Vaters ein: »Was soll er mit dieser einen Aktie anfangen? Die Firma übernehmen?«

Tyler kam ins Grübeln. Woody und Kendall haben zusammen genau eine Zweidrittelmehrheit der Stanford-Enterprises-Aktien aus dem väterlichen Besitz. Gibt es einen Weg, daß ich mit der einen zusätzlichen Aktie meiner Mutter die Kontrolle übernehmen kann? Und wie aus heiterem Himmel fiel ihm eine so geniale Lösung dieses Problems ein, daß es ihm die Sprache verschlug.

«Außerdem muß ich Sie von der Möglichkeit eines weiteren, vierten Erben in Kenntnis setzen… Das Testament Ihres Vaters enthält die ausdrückliche Bestimmung, daß seine Hinterlassenschaft zu gleichen Teilen unter alle Nachkommen aufzuteilen ist… Sie sind sich, wie ich gewiß annehmen darf, der Tatsache bewußt, daß Ihr Vater vor vielen Jahren mit der Gouvernante hier in Rose Hill ein Kind zeugte…«

Und falls Julia auftauchen sollte, wären wir vier, überlegte Tyler. Und falls ich über ihren Stimmenanteil verfügen könnte, besäße ich fünfzig Prozent der Aktien meines Vaters plus die eine Aktie, die mir bereits gehört. Damit könnte ich die Stanford Enterprises übernehmen, und ich könnte den Stuhl meines Vaters beanspruchen. Und plötzlich machten seine Gedanken einen Sprung: Rosemary ist tot und hat ihrer Tochter wahrscheinlich nie erzählt, wer ihr Vater ist. Warum muß also unbedingt die echte Julia Stanford auftauchen?

Er war ihr vor zwei Monaten zum ersten Mal begegnet, gleich zu Beginn der neuen Sitzungsperiode. Der Gerichtsdiener hatte den Zuschauern verkündet:»Das

Bezirksgericht von Cook County tritt zusammen unter dem Vorsitz des Ehrenwerten Richters Stanford. Erheben Sie sich.«

Tyler kam aus seinen Amtsräumen, nahm auf dem Richterstuhl Platz und blickte zur Angeklagten hinüber. Der erste Fall war State of Illinois gegen Margo Posner, die Anklage lautete auf Körperverletzung und versuchten Mord.

Der stellvertretende Staatsanwalt erhob sich.»Euer Ehren, die Angeklagte ist eine gefährliche Person, die sich auf den Straßen von Chicago nicht frei bewegen sollte. Der Staat wird zeigen, daß sie ein langes Vorstrafenregister hat: Sie ist des Diebstahls in Geschäften und privat überführt und als Prostituierte amtsbekannt. Sie gehörte einer Gruppe von Frauen an, die für einen Zuhälter namens Rafael tätig waren. Im Januar dieses Jahres kam es zwischen beiden zu einem heftigen Streit, bei dem die Angeklagte den Zuhälter und seinen Begleiter mit voller Absicht und kaltblütig erschießen wollte.«

«Ist das eine oder das andere Opfer daran gestorben?«

«Nein, Euer Ehren, beide wurden mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die Pistole in Margo Posners Besitz war eine illegale Waffe.«

Tyler musterte die Angeklagte und war überrascht, denn sie entsprach so gar nicht der Vorstellung, die er sich nach den Worten des stellvertretenden Staatsanwalts von ihr gemacht hatte. Sie war eine gutgekleidete, attraktive junge Frau Ende Zwanzig und strahlte eine unaufdringliche Eleganz aus, die den gegen sie erhobenen Vorwürfen total widersprach. Da sieht man wieder mal, dachte Tyler. Man kann wirklich nie wissen.

Er hörte der Beweisführung beider Parteien zu, doch sein Blick war auf die Angeklagte gerichtet — sie hatte etwas an sich, das ihn an seine Schwester erinnerte.

Als die Plädoyers beendet waren, ging der Fall an die Geschworenen, die nach einer vierstündigen Beratung mit einem Schuldspruch bezüglich allen Punkten der Anklage in den Gerichtssaal zurückkehrten.

Tylers Blick ruhte auf der Angeklagten, als er die Strafe verkündete:»Das Gericht kann in diesem Fall keine mildernden Umstände erkennen. Sie sind hiermit zu einer fünfjährigen Haftstrafe im Dwight Correctional Center verurteilt… Der nächste Fall.«

Was ihn bei Margo Posner an Kendall erinnerte, fiel ihm erst ein, als sie abgeführt wurde: Sie hatte die gleichen grauen Augen, die Augen Harry Stanfords.

Nach Dmitris Anruf erinnerte er sich wieder an Margo Posner. Der erste Teil des Schachspiels war erfolgreich beendet. Tyler hatte jeden Zug sorgfältig vorausgeplant und hatte die klassische Eröffnung mit der Königinstrategie verfolgt. Jetzt mußte er in die mittlere Spielphase eintreten.

Tyler stattete Margo Posner in der Frauenhaftanstalt einen Besuch ab.

«Sie erinnern sich an mich?«fragte Tyler.

«Wie könnte ich Sie vergessen!«Ihre Augen blitzten ihn an.»Ich verdanke es Ihnen, daß ich hier einsitze.«

«Wie geht's?«erkundigte sich Tyler.

Sie zog eine Grimasse.»Sie wollen mich wohl verarschen! Das ist hier die Hölle!«

«Was würden Sie davon halten, herauszukommen?«»Was würde ich…? Ist das Ihr Ernst?«

«Mein völliger Ernst. Ich könnte es arrangieren.«

«Also, das… das ist ja fantastisch! Und was hätte ich als Gegenleistung zu tun?«

«Nun, es gibt tatsächlich etwas, worum ich Sie bitten werde.«

Sie betrachtete ihn kokett.»Klar doch, kein Problem.«

«Das ist es aber nicht, was ich mir vorstelle.«

«Und was stellen Sie sich vor, Richter?«fragte sie vorsichtig.

«Ich möchte Sie darum bitten, mir zu helfen, jemandem einen kleinen Streich zu spielen.«

«Was für einen Streich?«

«Ich möchte Sie bitten, sich als eine andere Frau auszugeben und deren Rolle zu übernehmen.«

«Mich als jemand anders ausgeben? Ich wüßte nicht, wie ich…«

«Für Sie springen dabei fünfundzwanzigtausend Dollar heraus.«

Ihr Ton änderte sich schlagartig.»Okay«, sagte sie rasch,»ich kann alle imitieren. Und an wen hatten Sie gedacht?«

Tyler beugte sich vor und erklärte es ihr.

Tyler sorgte dafür, daß Margo Posner auf seine Verantwortung auf freien Fuß kam.

«Ich habe in Erfahrung gebracht«, so erläuterte er dem Gerichtspräsidenten Keith Percy,»daß sie eine hochbegabte Künstlerin ist und daß ihr sehr daran liegt, ein normales, anständiges Leben zu führen. Ich halte es für wichtig, daß wir solchen Menschen, wann immer möglich, eine Chance zur Rehabilitierung geben. Meinst du nicht auch?«