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Der Aspekt konnte gerade noch verhindern, dass er unter Wasser gezogen wurde. Er wehrte sich gegen die wässrigen Arme, doch die ließen ihn nicht los. Seine Gliedmaßen waren gefangen, und der Tentakel, der sich um seinen Hals geschlungen hatte, raubte ihm den Atem. Nozdormu wusste, dass es sich nur um Illusionen handelte. Aber sie waren so mächtig, dass sie real geworden waren. Sein Geist war in eine der Fallen geraten, die im Brunnen lauerten. Wenn er sich nicht rasch befreite, würde er darin umkommen.

Nozdormu atmete aus – und eine Sanddecke legte sich über den Brunnen. Die Tentakel zuckten und verloren ihre Kraft. Sie zerfielen, als die Magie, die sie erschaffen hatte, alt und schwach wurde.

Doch noch während sie in sich zusammensanken, erhoben sich neue aus dem Wasser. Nozdormu hatte damit gerechnet und brachte sich mit einem Schlag seiner Schwingen in Sicherheit. Die schwarzen Tentakel griffen ins Nichts und fielen zurück in den See.

Der Drache wurde nach hinten gerissen, als sich sein Schwanz in einem Tentakel verfing. Er drehte sich um und sah, dass ihm weitere entgegen schossen. Sie tauchten von allen Seiten auf. Es waren so viele, dass der Aspekt nicht allen ausweichen konnte.

Er schlug einige zur Seite, doch mehr als ein Dutzend legten sich um seinen Körper und zogen ihn mit unglaublicher Kraft auf den sprudelnden Brunnen zu.

Ein Strudel erschien unter ihm. Nozdormu spürte selbst in den Lüften, wie stark er an ihm zerrte. Die Entfernung zwischen dem Aspekt und dem Wasser wurde immer geringer.

Der Strudel veränderte sich. Die Wellen, die an seinen Rändern aufpeitschten, wurden hart und schroff. Die Mitte sackte nach unten, während sich etwas daraus hervor schob, das auf den ersten Blick wie ein Tentakel wirkte. Es war lang und sehnig. Seine breite Spitze öffnete sich wie eine Blüte.

Ein Maul.

Nozdormus goldene Augen weiteten sich. Er wehrte sich noch heftiger als zuvor.

Der dämonische Schlund öffnete sich weiter, die Tentakel führten den Drachen darauf zu. Eine Zunge schoss heraus und berührte Nozdormus Gesicht. Die Berührung reichte aus, um sein Fleisch zu verbrennen.

Die flüsternden Stimmen aus dem Brunnen klangen nun zusehends aufgeregter, lauter. Sie jagten dem Aspekt einen Schauer über den Rücken. Nein, das waren nicht nur Dämonen …

Ein zweites Mal blies er den Tentakeln den Sand der Zeit entgegen, doch dieses Mal prasselte er nutzlos wie Staub gegen die schwarzen Formen. Nozdormu drehte sich, um wenigstens einen der Fangarme abzuschütteln, doch sie hielten ihn gnadenlos fest.

Das irritierte den Aspekt. Er war die Essenz der Zeit, und seine Schöpfer hatten ihm das Wissen um den eigenen Tod geschenkt. Das war eine Lektion gewesen, die verhindern sollte, dass er sich jemals übermächtig fühlte. Nozdormu wusste also genau, wie seine Existenz einmal enden würde und wann – und hier und jetzt war dieser Moment nicht gekommen.

Dennoch konnte er sich nicht befreien.

Die Zunge legte sich um seine Schnauze und drückte so kräftig zu, dass Nozdormu glaubte, sie würde ihm den Kiefer brechen. Er erinnerte sich daran, dass es sich nur um eine Illusion handelte, aber der Schmerz nahm nicht ab – und auch nicht die Furcht, die ihn in einer nie gekannten Stärke heimsuchte.

Er hatte die Zähne des Mauls fast erreicht. Sie schnappten zu, wollten ihn wohl verunsichern, was ihnen auch gelang. Die ganze Zeit über musste ein Teil von ihm die Realität zusammenhalten, und diese Anstrengung lastete zusätzlich auf seinen Gedanken. Wie einfach wäre es gewesen, zu kapitulieren und sich dem Brunnen zu ergeben …

Nein! Plötzlich kam Nozdormu eine verzweifelte Idee. Er wusste nicht, ob er noch über die Kraft verfügte, sie umzusetzen, aber er hatte keine andere Wahl als es zu versuchen.

Der Körper des Aspekts wirkte durchscheinend, als er sich in sich selbst zurückzuziehen versuchte.

Die Ereignisse liefen rückwärts, jede Bewegung wurde zurückgenommen. Die Zunge löste sich von seiner Schnauze. Er inhalierte den Sand, die Tentakel rollten sich auf, zogen sich in die schwarzen Wasser zurück …

Im gleichen Moment stoppte Nozdormu den Rückwärtslauf der Zeit und floh mit seinem Geist aus dem Brunnen.

Erneut schwebte er im Fluss der Zeit und versuchte die Realität zu bewahren. Nach der beinahe katastrophal geendeten Suche war er in einem schlechteren Zustand als zuvor und konnte kaum noch genügend Kraft aufbringen. Doch er schaffte es. Er hatte das Böse berührt, das den Brunnen vergiftete, und war sich klarer als zuvor bewusst, dass sein Scheitern Konsequenzen haben würde, die schlimmer als der Tod waren.

Nozdormu wusste nun, wer dahinter steckte. Selbst die schreckliche Wut der Brennenden Legion verblasste gegen diese Übeltäter.

Und es gab nichts, was der Aspekt gegen ihre Pläne unternehmen konnte. Seine Kraft reichte nur aus, um das Chaos einzugrenzen, das sie auslösten. Die anderen Aspekte konnte er nicht mehr kontaktieren, dazu war es zu spät.

Eine Hoffnung gab es jedoch noch. Es war die gleiche Hoffnung, die es von Anfang an gegeben hatte, aber sie war so schwach, dass Nozdormu kaum an einen Erfolg zu glauben wagte.

Jetzt hängt alles von ihnen ab, dachte er, während wilde Kräfte an ihm zerrten. Alles hängt von Korialstrasz und dem Menschen ab.

1

Sie rochen den Gestank, der von fern kam. Es war schwer zu sagen, welcher Geruch stärker war – der beißende Rauch, der aus der brennenden Landschaft aufstieg oder der süßliche Verwesungsgeruch der Leichen, die zu Hunderten herumlagen.

Den Nachtelfen war es gelungen, den letzten Angriff der Brennenden Legion abzuwehren, aber sie hatten erneut an Boden verloren. Lord Desdel Stareye bezeichnete es als Sammelmanöver, mit dem die Armee sich auf die Schwächen der Legion vorbereiten sollte, aber Malfurion Stormrage und seine Freunde kannten die Wahrheit. Stareye war ein Adliger, der keine Ahnung von Strategie hatte und sich nur mit gleich gesinnten Freunden umgab.

Nach Lord Ravencrests Ermordung gab es niemanden mehr, der es wagte, sich dem dünnen einflussreichen Aristokraten zu widersetzen. Neben Ravencrest gab es nur wenige Adlige, die sich in der Kriegskunst auskannten. Hinzu kam, dass der tote Kommandant der Letzte seiner Linie gewesen war und niemand aus seinem Hause die Nachfolge antreten konnte. Stareye besaß zwar den nötigen Ehrgeiz, aber seine Unfähigkeit würde dafür sorgen, dass er und sein Volk untergingen, wenn niemand etwas unternahm.

Doch Malfurions Gedanken drehten sich nicht um die stark gefährdete Zukunft der Armee. Eine dringendere Angelegenheit ließ seinen Blick immer wieder in Richtung der entfernten Stadt Zin-Azshari gleiten, die einst die Hauptstadt des Reiches der Nachtelfen gewesen war. Noch im Morgengrauen, als das erste Licht des Tages den Horizont rot färbte, dachte er nur an sein Versagen.

Die ganze Zeit über beschäftigte er sich nur damit, dass er die beiden Menschen verloren hatte, die ihm am meisten bedeuteten: die wunderschöne Tyrande und seinen Zwillingsbruder Illidan.

Nachtelfen alterten sehr langsam, aber der junge Malfurion wirkte bedeutend älter, als seine wenigen Dekaden es hätten vermuten lassen. Er war immer noch so groß wie die meisten Angehörigen seines Volkes – etwas über zwei Meter – und ebenso schlank und dunkel wie sie. Seine geschlitzten silbernen Augen – Augen ohne Pupillen – offenbarten jedoch einen Grad an Reife und Verbitterung, die man bei den meisten Nachtelfen vergeblich suchte. Malfurions Gesichtszüge hatten etwas Wölfisches, das man sonst nur bei seinem Bruder fand.

Bemerkenswert war auch sein schulterlanges dunkelgrünes Haar, das sich stark von dem mitternachtsblauen seines Zwillings unterschied. Die Blicke der Leute richteten sich häufig auf seinen Schopf, wenn sie nicht gerade die schlichte Kleidung betrachteten, die er bevorzugte. Malfurion studierte die druidischen Künste und hatte nichts übrig für die farbenprächtigen, glitzernden Gewänder, die bei seinem Volk als normal galten. Statt dessen kleidete er sich mit einem einfachen Stoffhemd, einer Lederweste und Lederhose sowie kniehohen Stiefeln, die ebenfalls aus Leder bestanden. Die extravagante Kleidung seines Volkes war ein Hinweis auf dessen ausufernden Lebensstil gewesen und auf seine angeborene Arroganz. Beides widerstrebte Malfurions Charakter.